Reiseführer oder Architekturkritik? Die eben erschienene Neuausgabe des Architekturführers Basel von Dorothee Huber taugt zu beidem.
Dass eine Stadt, die sich selber gerne als Architekturstadt sieht, lange Jahre ohne Gesamtüberblick über ihre Baugeschichte auskommt, ist eigentlich erstaunlich. Der zuletzt 1996 in zweiter Auflage beim damaligen Architekturmuseum Basel erschienene Architekturführer von Dorothee Huber war jedenfalls längst vergriffen, ohne dass sich ein Verlag um Abhilfe bemüht hätte. Andere Publikationen wie beispielsweise Lutz Windhöfels gleichnamiges Buch zeigen dagegen nur eine Auswahl von Bauten aus jüngerer Zeit. Sie lösen deshalb die mit dem Titel «Architekturführer Basel» verbundenen Erwartungen nur bedingt ein.
Anlass zur Freude dürfte uns unter diesen Umständen bereits die Tatsache geben, dass Dorothee Hubers Buch seit diesem Dezember wieder zu haben ist. Und das erst noch in einer überarbeiteten und stark erweiterten Ausgabe. Ein weiterer Grund zur Freude: dass Huber mit ihren profunden Kenntnissen dafür gewonnen werden konnte.
Gut zwanzig Jahre nach Abschluss der Arbeiten zur ersten Auflage sah sie sich mit der Frage konfrontiert, ob eine «sanfte Renovation oder ein Totalumbau» anstehe. Angesichts der Vorzüge der alten Ausgabe entschied sie sich zurecht für die «sanfte» Variante und beliess grosse Teile in ihrer ursprünglichen Form. Durchgehend neu sind allerdings die Architekturporträts in Farbe aus der Hand Tom Bisigs. Sie tragen wesentlich zum frischen Eindruck bei, von dem die bereits bekannten Kapitel profitieren.
Handliches Hochformat
Vertraut zeigt sich im Übrigen die äussere Erscheinung des Buchs: Das handliche Hochformat ist gleich geblieben und passt selbst jetzt mit den gut 50 Seiten, die hinzugekommen sind, in jede Tasche – wie es sich für einen Reiseführer gehört. Freilich wurde auch hier das Erscheinungsbild aufgefrischt: Zeigte das alte Cover Mauersteine und geschalten Beton, scheint das neue Buch in seiner allseits steingrauen Aufmachung selbst zum Steinquader geworden zu sein.
Man kann diese Anspielung auf den Stein als Fundament der Architektur als lustigen Einfall der Buchgestalter werten. Man kann darin aber ebenso einen Hinweis auf die Bedeutung eines Architekturführers sehen: Ein solches Buch lenkt unseren Blick auf eine bestimmte Auswahl von Bauten und bestimmt damit massgeblich, was wir als Architektur der Stadt wahrnehmen.
Um so löblicher ist es deshalb, dass im Architekturführer Basel der Versuch einer umfassenden Darstellung unternommen wird, der von der Keltensiedlung im Bereich der Voltastrasse bis zum neuen Campus der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) auf dem Dreispitz-Areal führt – und damit in die unmittelbare Gegenwart.
Auch geografisch geht das Buch über die unmittelbaren Stadtgrenzen hinaus und richtet hier und dort die Aufmerksamkeit auf die Umgebung der Stadt. Der so ausgebreitete Reichtum an Architekturen lässt das Buch zu einem wahren Schatzkästlein werden. Selbst beim oberflächlichen Durchblättern entdeckt man darin immer wieder Neues – etwa das als Dorf getarnte Fabrikationsgebäude der ehemaligen Haas’schen Schriftgiesserei in Münchenstein oder das eben renovierte Brunnmattschulhaus von Förderer, Otto und Zwimpfer aus den Sechzigerjahren.
Zwar erfolgt der Gang durch die Baugeschichte chronologisch, gleichzeitig werden aber einzelne Epochen thematisch zusammengefasst und mit Erläuterungen versehen, so dass sich das Buch durchaus auch kontinuierlich als Architekturgeschichte der Stadt Basel lesen lässt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Definition einer Epoche zusehends schwieriger wird, je näher sie der Gegenwart ist. Das hat in der Neuauflage dazu geführt, dass die Betrachtungen über die Nachkriegsarchitektur neu geordnet und erweitert wurden.
Im Vergleich besonders interessant zu sehen ist die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre: Beeindruckend, wie viel in dieser verhältnismässig kurzen Zeit an neuer Architektur hinzugekommen ist. Und wie beispielsweise der sich bereits in der ersten Ausgabe ankündende Erfolg von Herzog & de Meuron fortsetzt und dem bekanntesten Basler Architekturbüro ähnlich viele Einträge beschert wie den früheren Grössen Melchior Berri oder Hans Bernoulli.
Kritik als Vorteil
Mitunter geraten die jüngeren Einträge auch zu delikaten Angelegenheiten, wenn sie indirekt die Frage aufwerfen, ob ein Architekturführer auch Bauten und Überbauungen zeigen soll, deren Qualität durchaus in Zweifel gezogen werden kann. Anders gesagt: Darf in einem Architekturführer auch Architekturkritik geäussert werden? Allein die Tatsache, dass eine Auswahl getroffen wird, macht die Forderung nach einem gänzlich neutralen Standpunkt unglaubwürdig. Kommt hinzu, dass in manchen Fällen die schiere Grösse das Gesicht der Stadt derart prägt, dass man sich kaum darüber ausschweigen kann, selbst wenn einem das vielleicht am nächsten läge.
So lässt sich denn etwa bei den kurzen Erläuterungstexten zur Entwicklung des Messegeländes und zum Novartis Campus ein gewisses Unbehagen der Autorin erahnen. Es ruft der Leserin und dem Leser in Erinnerung, dass es sich bei der Architektur nicht bloss um eine schöne Kunst handelt. Und das ist mit Sicherheit kein Nachteil der Neuausgabe. Denn eine Architekturstadt sollte sich nicht bloss dadurch auszeichnen, dass Architektur gebaut wird, sondern auch dadurch, dass differenziert über Architektur gesprochen wird. Dazu leistet der Architekturführer Basel einen unentbehrlichen Beitrag, indem er mit gutem Beispiel vorangeht und uns einen Eindruck von der städtebaulichen Entwicklung und dem architektonischen Reichtum Basels vermittelt. Deshalb sei der Architekturführer nicht nur den Architekturinteressierten wärmstens empfohlen, sondern auch all jenen, die es noch werden wollen.
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Dorothee Huber: «Architekturführer Basel», 500 S., Christoph Merian Verlag, 2014.