Ein fantastisches Nebenprojekt

Moderat brachten in der Basler Kaserne ihr wunderbares zweites Album auf die Bühne – und dabei die Reithalle zum Kochen. Die Berliner zeigten, wie Sound & Vision harmonieren können und wie man Elektropop mit ausgeklügelten Visuals als Mehrwert auf die Bühne bringt.

Licht und Schatten: Moderat, 30. Mai 2014, begeistern in der ausverkauften Reithalle der Kaserne Base. (Bild: Alain Appel)

Moderat brachten in der Basler Kaserne ihr wunderbares zweites Album auf die Bühne – und dabei die Reithalle zum Kochen. Die Berliner führten eindrücklich vor, wie man Elektropop mit ausgeklügelten Visuals als Mehrwert auf die Bühne bringt.

Es gab eine Zeit im jungen Jahrtausend, da galten die belgischen Soulwax/2manyDJs als steilster Liveact im Elektropop-Bereich, bis sie von Gruppen wie Hot Chip abgelöst wurden – wir erinnern uns noch gut an deren Lagerhallen-Gig auf dem nt/Areal, im Rahmen der Art Basel Party. Das war 2008.

Und dann, ja, dann kam das Jahr 2009 – und mit ihm Moderat. Die Berliner Musiker Gernot Bronsert und Sebastian Szary (Modeselektor) und Sascha Ring (Apparat) spannten für ein gemeinsames Album zusammen – und für eine Tournee. 

Unvergesslich, wie das Trio am Montreux Jazzfestival das Publikum mit seinen stimmigen Klang- und Bildschichten ins Staunen (und streckenweise in Trance) versetzte. Eigentlich waren Underworld die Headliner an diesem Abend, doch die Briten wurden von den Berlinern völlig in den Schatten gestellt: Underworlds Show markierte einen unzeitgemässen Rückfall in die längst vergangene Rave-Ära (mit Luftballon und Konfetti als Special Effects), Moderat hingegen zeigten, wie viel eleganter elektronische Musik heute auf die Bühne gebracht werden kann: Die beiden Modeselektoren, spezialisiert auf Bässe und Beats, legten den Boden für die Melodien von Apparat, diesem melodiösen Singer-Elektrowriter – all das begleitet von wunderbaren Visualisierungen. 

Mit «II» sich selber übertroffen 

Ihren guten Ruf haben Moderat seither noch steigern können: Im letzten Jahr brachten sie ihr zweites, schlicht «II» betiteltes  Album heraus – und übertrafen sich damit selber.

Entsprechend schnell verbreitete sich die Nachricht und die Vorfreude, als das Basler Konzertdatum bekannt wurde. Man darf von einem kleinen Coup des Kasernen-Musikbüros sprechen, das die Berliner dafür gewinnen konnte, nach dem Auftritt am renommierten Primavera Festival in Barcelona noch einen Stopover am Rheinknie einzulegen, ehe sie nach München weiterreisten. 

Warmer Empfang, warme Sounds

Die Fangemeinde von Moderat: beachtlich, die Reithalle war fast ausverkauft, der Jubel gross, als das Trio kurz vor 23 Uhr die Bühne betrat und sich hinter seine Apparate stellte.

Wo andere hinter dem DJ-Pult nun einfach die Sequenzer starten und dazu mit dem Kopf nicken oder das Publikum anfeuern, lenkt diese Gruppe die Aufmerksamkeit auf eine grössere Inszenierung: Auf die Visuals, die Projektionen und Lichter. Die drei Musiker selber stehen im Halbschatten.

Wie die Elektro-Pioniere Kraftwerk legen auch Moderat grossen Wert auf stimmige Visualisierungen ihrer Musik – allerdings muss man bei ihnen keine 3D-Brille aufsetzen. Räumlichen Tiefeneffekt erzielen sie – respektive das von ihnen beauftragte Designer-Kollektiv Pfadfinderei – indem 4 Leinwände überkreuzt mit Projektionen bespielt werden. Neckisch!

Fast alle Filme sind schwarz/weiss, nur selten sorgt ein tiefes Blutrot für Farbtupfer. Weitaus stärker schattiert mit vielen Grautönen sind die Stücke von Moderat, die mitunter wie kleine vertonte Träume klingen. Passt, denn wie gaben sie doch 2013 dem «Zeit Magazin» zu Protokoll? «Wir bewegen uns in einem traumähnlichen Zustand, in dem unglaublich viel gelingt.» Und: «Unser Traumzustand wird in dem Moment unterbrochen, in dem wir unsere Kinder in den Arm nehmen.» 

Diese Sätze sagen viel aus über die Gefühlswelten, in die einen die Musik von Moderat entführt. Zum repetitiven 6/8-Takt-Stück «A New Error» erblickt man Hände die sich berühren, ergreifen, streicheln. Hände, die miteinander sprechen. So wie jene eines Erwachsenen und eines Babys.

Intimität, Verletzlichkeit. Sinnlichkeit. Wo bei Kraftwerk jeweils die kühle Mensch-Maschine aktiviert wird, setzen Moderat, in den 1970ern gerade mal zur Welt gekommen, auf menschliche Wärme.

Ihr hört die Musik nicht? Dann quasselt doch weniger!

Diese Sinnlichkeit wird in allen Abstufungen transportiert – auch lautstärkemässig, was sich leider nicht allen Besuchern erschliesst, denn hin und wieder fordert eine Stimme «lauter!». Dabei ist nicht die Lautstärke der Musik das Problem in den leisen Passagen, sondern das Publikum selber. Wer quasselt statt lauscht, hat nicht gecheckt, worum es hier geht: Um Musik. Um ein Konzert. Nicht um eine Bar mit Party.

Schade, dass einigen Konzertbesuchern der Respekt für die Bühnendarbietung abgeht – statt sich über Piano-Passagen lauthals zu beschweren, würden sie sich besser voll darauf einlassen und eintauchen.  

Denn ohne Piano kein Crescendo, keine Dynamik, keine Spannung, keine Wechselwirkung. Geschickt spielen Moderat mit diesen Variationen, bauen manche Lieder über Minuten auf, wobei man eine Verwandtschaft zu den britischen TripHoppern von Archive feststellen kann (zum Beispiel in «Damage Done»). Vereinzelt spielt Sascha Ring E-Gitarre, lässt diese im Hintergrund den Raum erweitern – als wäre Robert Fripp Pate gestanden.

Sinnlichkeit durch Apparat

Das grösste Mass an musikalischer Sinnlichkeit wird – das mag jetzt paradox klingen, durch Apparat besorgt: Mit seiner samtenen Stimme macht er einige Tracks zu Liedern. Zu Songs.

Schöne Songs. Sehr schöne gar, wenn wir an «Bad Kingdom» denken. Untenrum wummert ein bassiger Synthie, ein funky phrasierter Schlagzeuggroove – und darüber schwebt ein wunderbarer Soulgesang, der im Refrain so herrlich melancholisch eine Sehnsucht ausdrückt, wie wir sie in den 80er-Jahren von britischen Pop-Gruppen – allen voran Talk Talk – erfahren haben. 

Zugegeben: Es sind nicht alle Stücke, die Moderat in gut 100 Minuten aufführen, gleichsam mitreissend. Aber immer dann, wenn man das Gefühl hat, die Repetition würde überstrapaziert, der hypnotische Zustand von Langeweile abgelöst, erfreuen Moderat mit einer Melodie, die betört oder einem Rhythmus, mit dem man mitmuss – meist synkopierter und punktierter Art. Einfach immer nur die Viertel mit der Bass Drum durchhämmern, das überlassen Moderat anderen Elektrokünstlern. Ihre Grooves sind lüpfiger, sie treiben sie oft im Shuffle vorwärts – oder aber sie legen sie verzögert und laidback hinter den Takt. Besonders eindrücklich und neckisch etwa in der ersten Zugabe, «Gita». In Kombination mit dem Kopfstimmen-Soulgesang von Apparat hört und fühlt sich das unwiderstehlich an. 

Dass Moderat auf diese Zugabe noch zwei weitere folgen liessen, darunter das sehr vernachlässigbare Stück «Let In The Light» … – ein dramaturgischer Schönheitsfehler. Doch von ein, zwei solchen Durchhängern abgesehen: Wunderbar. Welch fantastisches Nebenprojekt!

Zum Trost für jene, die es verpasst haben (und für jene, die es nochmals erleben möchten): Das Trio kommt im Sommer noch einmal in die Schweiz – für Auftritte am Open Air St. Gallen und am Montreux Jazz Festival

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