Ein Film, der das Bild der Favelas in Rio prägte

«City of God», von der Kritik ekstatisch gefeiert und mit vier Oscar-Nominationen geadelt, erzählt die Geschichte des Strassengangsters Li’l Zé. Eigentlicher Protagonist des Films ist jedoch die Favela «Cidade de Deus».

Nachwuchsfotograf Buscapé will nur eines: Raus aus dieser Stadt.

Im Schatten des Zuckerhuts wuchert in den Armenvierteln von Rio de Janeiro die Gewalt der Jugendgangs. Der Film «Cidade de Deus» war so erfolgreich, dass er das Bild der Favelas in Rio nachhaltig geprägt hat.

Das Messer gewetzt, ein Huhn rennt davon, die Jungs hinterher durch die engen Gassen, jeder mit einer scharfen Pistole in der Hand. Die skurrile Verfolgungsszene, unterlegt mit brasilianischer Musik und gefilmt mit schnellen, hektischen Schnitten einer Handkamera im Bewegungstempo eines Videoclips, nimmt die allgegenwärtige Gewalt schon vorweg, die noch kommen wird. Rennende Jungs, verdammte Opfer und überall Knarren.

«Cidade de Deus», vor zwölf Jahren im Kino, von der Kritik mit ekstatisch gefeiert und mit vier Oscar-Nominationen geadelt, ist brutales, kraftvolles Ghettokino. «Cidade de Deus», Name der gleichnamigen Favela in Rio de Janeiro, handelt vom Aufstieg und Fall des Strassengangsters Li’l Zé.

Als halbwüchsiger Knabe tötet er zum ersten Mal, schiesst sich in einer Gewaltorgie zum Herrn des Viertels empor und erliegt am Ende seiner eigenen Saat. Gegenstück ist der schüchterne Nachwuchsfotograf Buscapé, der nur raus will aus der «Cidade». Er schiesst Fotos vom Bandenkrieg, die ihm einen Weg als Profifotograf ermöglichen, deren Veröffentlichung jedoch sein Leben gefährden würden. Die Darsteller sind praktisch ausnahmslos Laien, die in den Favelas aufgewachsen sind und in ihrem improvisierten Spiel quasi ihre eigenen Biografien nachspielen.

Die Waffen haben die soziale Kontrolle übernommen

Eigentlicher Protagonist des Films ist jedoch die Favela selbst und ihre elenden sozialen Verhältnisse. Weit weg von den touristischen Sujets der Stadt, dem Zuckerhut, der Copacabana und den Coktailbars, bilden die weit in die Höhe ragenden Wohnsilos der Stadt Gottes eine Festung, aus der kaum etwas nach draussen dringt. 1981 von der Stadtverwaltung als Sozialviertel hochgezogen, um die selbstgebastelten Slums zu ersetzen, und seither von der Regierung und der gesellschaftlichen Elite ignoriert, haben die Waffen die sozialen Kontrolle übernommen.

Der Film von Fernando Meirelles, inszeniert nach einer Buchvorlage von Paulo Lins, der selbst ein Kind der «Cidade» ist, hat die Favelas weltberühmt gemacht. Mittlerweile werden sie sogar für Touristenführungen angeboten. Die Mordrate hat sich dank einer erhöhten Polizeipräsenz verringert, nicht verändert haben sich jedoch die misslichen sozialen Verhältnisse, die vor allem der schwarzen Bevölkerung kaum einen Aufstieg zulassen. Zehn Jahre nach dem Kinoerfolg haben sich zwei brasilianische Dokumentarfilmer auf die Spuren der Darsteller von «Cidade de Deus» gemacht. Manche, wie die mittlerweile in Hollywood angekommene Alice Braga oder der Musiker Seu Jorge, haben die Favelas längst hinter sich gelassen, andere sind in ihnen untergegangen und verschollen.

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Leandro Firmino, 1978,  war als Bandenchef Li’l Zé vor zwölf Jahren einer der Hauptdarsteller. Er arbeitet weiterhin im Film, vor allem im brasilianischen, ist Vater geworden und bleibt dem Viertel verbunden. Dort, wo er herkommt, wo er berühmt geworden ist und ihn jeder kennt.

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