Iggy Pop rekonstruiert an der Baloise Session seine Hits und reisst das Publikum mit. Auch, weil er seinen Körper noch einmal bis an die Schmerzgrenze zwingt. Während er gefeiert wird, müssen die Konzertveranstalter Buhrufe und Pfiffe über sich ergehen lassen.
Es ist grotesk: Draussen auf dem Messeplatz blinken die Spassmaschinen, vergnügen sich die Massen, drinnen fragt ein Festivalpräsident sein Konzertpublikum «Seid ihr ready, habt ihr die richtigen Finken an?». Der angekündigte Gast lässt die Ansage ins Leere laufen und sich bitten. Bis er unter frenetischem Applaus die Eventhalle der Messe stürmt und proklamiert: «No Fun»!
Er hat seine alte Band überlebt
Iggy Pop ist in Basel gelandet. Ohne seine einstige Begleitband The Stooges. Von deren Originalbesetzung ist er der letzte Überlebende. Er, der viele Jahre den gleichen Lebensstil wie Keith Richards pflegte, dieser unverwüstliche Mann, will uns mit 68 Jahren noch einmal zeigen, warum er sich als «Godfather of Punk» den Eintrag in den Geschichtsbüchern gesichert hat. Ob er sich an der Kerzenlichtatmosphäre und den Clubtischen an der Baloise Session stört? Nein. Iggy zieht seine Show durch.
Dabei weiss er sehr genau, was das Publikum von ihm erwartet. Nach zwei Konzertminuten schon entledigt er sich seiner schwarzen Lederjacke, entblösst seinen von der Sonne in Florida gebräunten Oberkörper. Ekstase vor der Bühne. Iggy zuckt, stolziert, verrenkt sich und lässt sich auf Händen tragen. «Now I Wanna Be Your Dog».
Lässt sich auf Händen tragen: Iggy Pop. (Bild: Dominik Plüss)
Der Sänger umgarnt sein Publikum mit Charme und beleidigt es kurz darauf als «Motherfucker». Iggy Pop erfüllt die Erwartungen, pflegt seinen Kult, sein Image, diese Projektionsfläche für alle Fantasien, die man mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll verbindet. Wer, wenn nicht er verkörpert diese Dreifaltigkeit mit jeder Sehne seines Körpers?
Es geht Schlag auf Schlag: Pop betört mit seinem tiefen Bariton im zeitlos coolen Shufflerock «The Passenger» und zeigt, wie gut es um seine Stimme steht, ehe er die Eröffnungsminuten mit «Lust For Life» krönt, jenem mitreissenden Song, in dem er das beste seiner Heimatstadt Detroit vereint hat: Motown und Garagenrock.
Welch ein Auftakt! Zwar wirken die Songtempi ein Mü behäbiger als nötig – und Iggy klettert auch nicht mehr auf die Gitarrenverstärker. Dafür aber haut er gleich zu Beginn vier Hits raus, vier potentielle Zugaben.
Brillantes Klangkonzept
Wir verstehen: Hier lädt einer zur Revue, zur Rekonstruktion seiner Karriere – was auch mithilfe eines brillant durchdachten Klangkonzepts gelingt: In «Lust For Life» schlauft der Toningenieur Iggys Stimme durch Hall und Verzerrer, sodass man sich in einem Betonkeller der Punk-Ära wähnt, während in «Nightclubbing», das durch Grace Jones‘ Coverversion bekannter wurde als durch Iggy Pop selber, kaputte Stripclub-Atmosphäre im Heroinflash in den Saal gezaubert wird.
Das klingt alles ganz hervorragend, so stilgerecht und satt, dass man die Perfektion als unpunkig bemängeln könnte – aber sie setzt gezielt Energien frei und Stimmungen um. Iggy gibt das «Wild Child», während ihm seine vier Mitmusiker in beinahe stoischer Manier den Rücken freihalten – mit hervorragendem Spiel und einem herausragenden Leadgitarristen: Was Kevin Armstrong im Hintergrund an Sounds erzeugt, etwa in «Sister Midnight», hat Robert-Fripp-Qualität.
Das Konzert begeistert, ist dramaturgisch durchdacht und birgt auch Überraschungen – so etwa das vergessene «Mass Production», auf dem 1977er-Album «Idiot» zu finden. Es wirkt live noch weitaus hypnotischer als auf Platte.Es wäre alles so gut gewesen, dass man danach nur vom Konzert gesprochen hätte. Doch geschieht etwas, das nie hätte passieren dürfen: Iggy und Band machen nach mehr als einer Stunde einen überraschenden Abgang, der letzte Loop ist noch nicht verklungen, als die Festivalverantwortlichen Matthias Müller und Beatrice Stirnimann ins Scheinwerferlicht schreiten.
Mangelndes Fingerspitzengefühl
Der Unterbruch ist abrupt, unnötig, irritierend. Pfiffe und Buhrufe übertönen das Veranstalterduo, das eine nicht gerade schöne Trophäe in der Hand hält und Iggy auszeichnen möchte. Mit dem Baloise Session Lifetime Achievement Award 2015, einem Preis, auf den kein Weltstar gewartet hat.
Das Publikum will diesen Moment der Eitelkeit nicht. Es will Musik, will die Reise fortsetzen, zu der sie die Band mitgenommen hat. Das Pfeifkonzert hält an. Den Veranstaltern fehlt das Gespür für die Situation, ja, sie begehen den Fehler, zu drohen: «Iggy kommt erst wieder, wenn ihr uns rasch ausreden lässt.»
Trotz und Drohung: eine schlechte Idee. Die Sympathien sind verspielt, die Peinlichkeit ist nicht mehr zu überbieten. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Festivals unterläuft dieser Fauxpas. Bedauerlich.
Iggys Band platzt herein, will weiterspielen; Iggy ebenso. Er versucht die Situation zu retten, lässt sich umarmen von Stirnimann und reimt: «When I get a fucking award – it makes me bored». Jubel aus dem Publikum. Elegant leitet er damit zu seinem nächsten Song über, mit den in diesem Rahmen nicht an Ironie zu übertreffenden Zeilen: «I’m bored – I’m the Chairman of the Board.» Die überforderten Veranstalter räumen das Feld.
Iggy gibt alles
Es ist der Anfang des Endes eines grandiosen Konzerts – auch wenn Iggy Pop die Jeanshose schon weiter heruntergelassen hat als an diesem Abend, auch wenn er schon mehr Fans auf die Bühne liess. Nicht alle Provokationen, nicht alle Trademarks muss er bis an sein Lebensende so kultivieren wie 1970. Kann er vielleicht auch nicht. In den letzten zwei Songs humpelt er jedenfalls mit einem Bein.
Warum tut er sich das an, wo er doch angeblich an Hüftproblemen leidet? Weil er von den Tantiemen allein nicht leben kann, wie er kürzlich verlauten liess. Nun, wir sind froh, dass er noch auf Tour gehen muss. Denn Iggy Pop ist auch im Jahr 2015 seinen Eintrittspreis wert.