Ein Haus für den Kanton Basel

Die Beziehung von Architektur und Macht prägt das Schaffen des Basler Architekten Manuel Herz. Zurzeit tüftelt er mit Studierenden an einem neuen Regierungsgebäude für den wiedervereinigten Kanton Basel – nur als Übung, versteht sich.

Propagiert einen «neuen Brutalismus» in der Architektur: Manuel Herz. (Bild: Stefan Bohrer)

Die Beziehung von Architektur und Macht prägt das Schaffen des Basler Architekten Manuel Herz. Zurzeit tüftelt er mit Studierenden an einem neuen Regierungsgebäude für den wiedervereinigten Kanton Basel – nur als Übung, versteht sich.

Man könnte das Architekturbüro von Manuel Herz leicht über­sehen. Hinter einem weiten Schaufenster versinken die beiden engen Räume, die sich Herz mit einer Jugendfreundin teilt, in der zurück­haltenden Beschaulichkeit der St. Johanns-Vorstadt.

Dagegen wirkt das Bürokonglomerat aus Alt und Neu von Herzog & de Meuron, nur wenige Hundert Meter rheinabwärts, wie eine Grossfabrik – eine, in der auch nachts im Akkord gearbeitet wird. Die beiden Architektur-Titanen waren es auch, die Herz vor sieben Jahren nach Basel holten – als Oberassistent ans 1999 gegründete ETH Studio Basel. Sein erster Job war «Metro Basel» – eine städtebauliche Studie in Comicform. «Ein herrliches Instrument, um mich mit der Stadt vertraut zu machen.»

Und wie wirkte Basel auf einen, der in Köln aufwuchs, in London studierte und in Stockholm und in Boston lehrte? Zu Beginn habe er sich schon ein wenig gewundert, wie heftig hier über die Streckenführung von Trams, Abfallsäcke auf Trottoirs oder die Verlegung von Schrebergärten debattiert werde. «Der Versuch, Stabilität zu konstruieren», nennt der 43-Jährige diese Mentalität.

Unsinnige Kantonsgrenze

Schon während der Recherche zu «Metro Basel» beschäftigte sich Herz mit der Kantonsgrenze zwischen Basel-Landschaft und Basel-Stadt. «Sie leuchtete mir nie ein, denn sie ist aus raumplanerischer Sicht unsinnig.» Zu viel Bürokratie, zu viele Hürden und zu viele Grenzen. «Die Fusion wird kommen», ist er sich sicher.

Was das architektonisch bedeuten könnte, untersucht Herz derzeit als Gastprofessor an der ETH Zürich mit seinen Studierenden. Ein neues Kantonsparlament für das wiedervereinigte Basel sollen sie entwerfen und danach forschen, welche Form einem neuen Selbstverständnis als Vollkanton gerecht würde.

Mit seinen Studierenden hat Herz dafür die Kantons­parlamente der Schweiz fotografiert – von innen wie von aussen. «Keiner, dem wir die Bilder zeigten, konnte den Standort der Parlamente erraten.» Wie kommt es, fragte sich Herz, dass in einem Land, in dem die direkte Demokratie «die Muttermilch der Nation» zu sein scheint, niemand weiss, wo die darauf basierende Macht überhaupt verhandelt wird?

«Macht ist fast unsichtbar und entzieht sich der Öffentlichkeit.»

Im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich herrsche in der Schweiz ein tiefes Unbehagen gegenüber dem Monumentalen und Machtvollen, sagt der Architekt. «Macht ist hierzulande beinahe unsichtbar und entzieht sich damit der Öffentlichkeit.» Ob das neue ­Kantonsparlament für Basel aus dieser Tradition ausbrechen soll, überlässt Herz den Studierenden. Insgeheim wird er es sich aber auf jeden Fall wünschen.
Herz macht nämlich keinen Hehl aus seiner Vorliebe für das Politische in der Architektur. In einem Manifest von 2004 propagierte er einen «neuen Brutalismus»: eine konfrontative Architektur anstelle einer subversiven. Für eine, die unsinnige Regeln und Konventionen nicht durch Vertuschen und Mogeln umgeht, sondern durch Konfrontation stürzt.

Bei seinem ersten Bauprojekt in Köln machte Herz sich diese deshalb gleich zum Programm. «Legal / Illegal» nannte er den knallroten Fremdkörper, den er als Hauserweiterung in eine halb historische, halb verschandelte Häuserzeile pflanzte. Sein Entwurf war mit den rechtlichen Vor­gaben unvereinbar. Natürlich hätte er die kritischen Punkte in den Plänen verstecken können, sagt Herz. Doch er suchte bewusst die Fehde; wollte die Bürokraten mit der Absurdität der Überregulierung konfrontieren. Dafür nahm er auch die anderthalb Jahre Bewilligungsverfahren in Kauf. Ähnlich expressiv wie in Köln baute Herz später auch in Mainz.

1999 gewann er den Wettbewerb für die neue Synagoge. Mainz war im 11. und 12. Jahrhundert eines der wichtigsten Zentren für jüdische Kultur. «Die Zeit, als Juden glaubten, sich im Land der Täter verstecken zu müssen, war vorbei. Es war nur legitim, wieder sichtbar und zu einem aktiven Teil der Stadt zu werden.»

Exil als Quelle der Kreativität

Herz entwarf ein skulpturales, kantiges Monument mit geriffelter, reliefartiger und grün schimmernder Keramikfassade. Herz nannte sein Werk «Licht der Diaspora». Die Diaspora ist für ihn nicht nur Entfremdung, sondern auch Quelle für Kreativität und Ursprung eines tragbaren Raumbegriffs. Ein solcher ist zugleich Teil von Herz’ Biografie: Er wuchs als Sohn eines Schweden und einer Israelin in Deutschland auf. «Meine Eltern haben mich sicherlich insofern geprägt, als ich keinem bestimmten Ort emotional zu stark verbunden bin.»

Die Themen Diaspora, Migration und das Leben in der Fremde prägen auch Herz’ Forschung.

Die Themen Diaspora, Migration und das Leben in der Fremde prägen auch Herz’ Forschung. Anfang Jahr ist im Lars Müller Verlag sein 500 Seiten starkes Werk über die Flüchtlingslager der Sahrauis am äussersten westlichen Zipfel von Algerien erschienen. 170 000 Menschen leben dort, seit die Westsahara 1975 durch Marokko okkupiert wurde. Meist würden solche Lager als Orte des Elends und Chaos dargestellt; wo Flüchtlinge dahin­siechen und ihrer Handlungsmöglichkeiten komplett beraubt sind. Oder, wo Oxfam, Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfswerke als grosse Retter des Westens auftreten. Herz ist jedoch überzeugt, dass sich Flüchtlingslager auch anders, nämlich städtebaulich, beschreiben lassen.

Orte der Zerstreuung

Er zog los und suchte die Normalität im andauernden Ausnahmezustand. Was er fand waren Orte der Begegnung und Zerstreuung; Ministerien für Bildung, Kultur, Erziehung und Verteidigung; Märkte und eine der höchsten Alphabetisierungsraten in ganz Nordafrika. Anders gesagt: Er fand Indikatoren der Urbanisierung.

«Die Sahrauis in Algerien machen etwas Brillantes: Sie nutzen die Zeit im Exil, um ihre Gesellschaft zu reformieren und das Staatsführen für die Zeit nach ihrer Rückkehr zu üben.» Aus einer traditionell nomadischen und clanbasierten Gesellschaft wurde innert kürzester Zeit eine verdichtete und auf Kleinfamilie basierende. Eine basisdemokratische und selbstgesteuerte Urbanisierung im Eiltempo also.

Politische Architektur

Genauso wie seine Architektur hat auch Herz’ Buch eine politische Dimension: Nicht nur, dass es auf das über 30-jährige Exil der Sahrauis und die «letzte Kolonie der Welt», wie es im Buch heisst, aufmerksam macht. Wichtiger sei der grundsätzliche Perspektivenwechsel auf Flüchtlingslager: «Wir müssen den Menschen vertrauen, dass sie sich selbstständig organisieren können, statt sie durch Fremdbestimmung zu entmündigen.»

Herz forscht derzeit wieder in Afrika. Seine nächste Publikation ist der afrikanischen Moderne gewidmet. Als sich in den 1960er- und 1970er-Jahren die kolonialen Regimes in vielen afrikanischen Staaten verabschiedeten, habe der Kontinent eine fanta­s-tische Baukultur hervorgebracht.

Es galt, eine adäquate Form für die – zumindest kurzfristig – wiedererlangte Freiheit und ein neues Selbstbewusstsein zu finden. Es ging um Macht und deren Repräsentation im öffentlichen Raum. Um eine Aufgabe also, die derjenigen von Herz’ Studenten gar nicht so fremd ist, die sich derzeit in Zürich an der Findung eines passenden architektonischen Ausdrucks für das wiedervereinigte Basel abmühen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.05.13

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