Ein imperialer Krach(t)

Christian Krachts neuer Roman «Imperium» erscheint eigentlich erst am Donnerstag. Dank eines Artikels im «Spiegel» ist der Literaturskandal aber vorher schon perfekt. Dabei hätte das Buch auch von ganz alleine zu überzeugen gewusst.

Immer wieder umstritten: Der Schweizer Autor Christian Kracht. (Bild: Nina Lueth/laif)

Christian Krachts neuer Roman «Imperium» erscheint eigentlich erst am Donnerstag. Dank eines Artikels im «Spiegel» ist der Literaturskandal aber vorher schon perfekt. Dabei hätte das Buch auch von ganz alleine zu überzeugen gewusst.

Irgendwo sitzt Christian Kracht und lacht sich neben allem Ärger sicher ins Fäustchen. Welcher Autor würde das nicht tun, wenn er unerwartet auf allen Kanälen Propaganda erhält. Auch wenn der «Spiegel» in seiner Rezension (leider nicht online erhältlich) des neuen Kracht-Romans «Imperium» am Montag nicht grad nett mit dem Schweizer Autoren umgesprungen ist, so veröffentlichten daraufhin selbst Zeitungen und Onlineportale, die ansonsten keine Zeile für Buchbesprechungen übrig haben, Repliken auf die erhobenen Vorwürfe: Die Literaturwelt hat endlich wieder einen Skandal!

Der «Türsteher der rechten Gedanken zu sein», wirft die deutsche Zeitschrift dem Schreiberling vor, und bringt als Argument diverse Zitate aus dem neuen Roman an. Er öffne damit dem «antimodernen, demokratiefeindlichen, totalitären Denken» den Weg in den Mainstream, so Autorenkollege Georg Diez im Artikel. Humbug, sagen wir nach der Lektüre des Romans: Durch das Lesen von «Imperium» wird man weder zum Antisemit noch zum Verehrer totalitärer Regimes. Eine bitterböse (und grandiose) Satire hat Kracht vorgelegt – und schwer zu erkennen ist das nicht.

Kokosnusssüchtiger Antiheld

Der Antiheld – es sind immer Antihelden, denen Kracht seine Bücher widmet – heisst August Engelhardt, und hätte es ihn nicht wirklich gegeben, so hätte Kracht ihn erfinden müssen. 24 Jahre alt war Engelhardt, als der «Bartträger, Vegetarier, Nudist» sich Ende des 19. Jahrhunderts in die deutsche Kolonie Neupommern im Pazifik aufmachte, um dort eine Kolonie im Kleinen zu gründen. Nudisten sollten die Bewohner sein, und nur von den gottgleichen heimischen Kokosnüssen sollten sie sich ernähren, um ewiges Leben zu erlangen. Engelhardt sah sich «als Prophet und Missionar zugleich», und er dachte, er «könne Kraft seiner grossen Idee die Welt, die ihm feindlich, dumm und grausam dünkte, für immer verändern».

Kracht schreibt die teils historisch verbürgte, teils fiktive Geschichte in den Worten des 19. Jahrhunderts nieder. Sein manierierter Stil, der immer schon durchschien und Kritikern Grund zum Mäkeln bot, ist hier noch stärker ausgeprägt, und er passt wie nie. Der Stil hindert nicht den Lesefluss, doch er unterstreicht den Ton der beschriebenen Epoche und das Gekünstelte der Charaktere. Denn keine der Figuren im Buch ist wahrhaft ernst zu nehmen. Weder Engelhardt, der im Verlauf der Erzählung mehr und mehr zum Jammerlappen mutiert und darin irgendwie erstaunlicherweise sympathisch bleibt. Auch nicht die anderen deutschen Kolonisten, vom Erzähler als «blässliche, borstige, vulgäre, ihrer Erscheinung nach an Erdferkel erinnernde» Menschen beschrieben. Und erst recht nicht Engelhardts wenige Mitstreiter, die er immer auch als Konkurrenten sieht. Wundert es uns, dass sie das Zeitliche segnen? Nein, denn in einer bitterbösen Satire ist dies Programm. Dass der eine durch einen Unfall (?) mit einer Kokosnuss den Eingang nach «Ultima Thule» findet, ist nur eine von vielen zynischen Randnotizen.

Untergangsfantasien

Dass Kracht auf August Engelhardt stiess, war für den Autoren ein Glücksfall, denn diese historische Figur birgt in sich genau diese Untergangsfantasien, diesen Hang, sich in einer Utopie zu versteigen, der Kracht fasziniert. Alle seine Romanfiguren tragen in sich einen unbewussten Drang hin zur (Selbst-)Zerstörung – der Protagonist im Debüt «Faserland», der sich auf einem Drogentrip quer durch Deutschland in den Kanon der Popliteratur hochgeschwungen hat, ebenso wie jener aus «1979», der sich durch eine apokalyptisch überzeichnete Welt bewegt. Am düstersten aber ging es in «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten» zu und her, für welches Kracht die Utopie einer Sowjetrepublik Schweiz entwarf.

Im Gegensatz zu diesem 2008 erschienenen Roman kommt «Imperium» richtig fröhlich daher. Den sowieso schon merkwürdigen Figuren dichtet Kracht noch weitere verschrobene Züge an, so dass sie zur Karikatur ihrer selbst verkommen. Auch lässt er keine Gelegenheit aus, einigen Zeitgenossen ein oder zwei Seitenhiebe zu verpassen. Zu diesen gehört auch ein «kleiner Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase».

Dass Kracht Hitler in «Imperium» mehrmals erwähnt, und das auch noch in abwertendem Tonfall, kann jedoch kein Grund sein, ihm «rechtes Gedankengut» zu unterstellen, wie das im «Spiegel» geschah. Wer Krachts bisher erschienene Romane kennt, weiss zudem, dass dem Autoren totalitäre Welten nicht nur nicht fremd sind, sondern für ihn ein merkwürdiges Faszinosum darstellen. Auch daraus jedoch ist ihm kein Strick zu drehen. Auch Georg Diez, der Verfasser des «Spiegel»-Artikels hat dies wohl gemerkt. Denn jedes von ihm aus dem Buch gepickte Zitat lässt sich durch seinen Kontext entkräften. Diez versucht deshalb, die «Methode Kracht» anhand eines Mailverkehrs mit dem US-Künstler David Woodard, der gewisse Sympathien zu rechtsextremen Exponenten offen pflegt, darzulegen. Tatsächlich wirft dieser Austausch Fragen auf, die jedoch auch Diez nicht ausreichend beantwortet.

Provokation als Programm

Vielleicht aber ist es auch ganz anders. Kracht, im Ruf stehend, immer höflich zu sein, provoziert gerne. Ein einziges Wort mag als Zündfaktor dienen. In «Imperium» ist es gleich zu Beginn der «rechtmässige Ehren- und Vorsitzplatz», den Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anstrebte, der den Unmut von Georg Diez weckte. Auch bleiben Krachts Romane oftmals rätselhaft, Parabeln gleich nur teilweise entschlüsselbar.

Ähnlich geht es der Literaturkritik mit dem Autoren. Was ist Spiel, was ist Ernst, fragt man sich bei Kracht immer wieder. Am Schluss ist es meist eine Mischung aus allem. Inwieweit also rührt Kracht absichtlich an derart heikle Themen wie den Rechtsextremismus? Hat er vielleicht gar ein fiktives Alter Ego erfunden, das sich mit Woodard austauscht, um uns zu täuschen? Oder meint er es tatsächlich ernst, wenn er Woodard «teutonische Bauten» wie das Berliner Olympiastadion zeigen möchte? Imagination ist Krachts Stärke, das Einfühlen in seine Protagonisten verläuft jeweils so, als würde er eine Autobiografie verfassen. Kracht sei ein «Gesamtkunstwerk», durfte man auch schon hören, alles an ihm sei Inszenierung.

Was auch immer es diesmal ist: Die Reduktion der Diskussion über eine mögliche Rechtslastigkeit des Autoren wird seinem neuen Roman nicht gerecht, denn «Imperium» ist unbestritten Krachts bisher ausgereiftestes Buch. Dem Skandal zum Trotz.

  • Christian Kracht: «Imperium», Kiepenheuer & Witsch, 2012. ISBN 978-3-462-04131-6.

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