Ein israelischer Musiker, der lieber über seine Kunst sprechen würde

Als er zum ersten Mal in der Schweiz spielte, kamen vier Leute. Jetzt eröffnet der israelische Folksänger Sun Tailor die Konzertsaison im Parterre Basel – und hofft, dass es um seine Musik geht, nicht um Politik.

Folksänger Sun Tailor: «Wozu soll Kunst gut sein, wenn man sie nicht als Gelegenheit nutzt, Menschen zusammenzubringen.»

Als er zum ersten Mal in der Schweiz spielte, kamen vier Leute. Jetzt eröffnet der israelische Folksänger Sun Tailor die Konzertsaison im Parterre Basel – und hofft dass es um seine Musik geht, nicht um Politik.

Arnon Naor hat auf die Frage gewartet, auch am Ende eines fast zweistündigen Gesprächs. Naor, 35, ist eine der bekannteren Figuren der alternativen Rock- und Folkszene von Tel Aviv, die trotz ihrer überschaubaren Grösse derart an kreativem Potenzial überschäumt, dass man sie längst auch in Europa und Nordamerika registriert hat. Zuletzt etwa in «Noisey», dem Musikblog des Online-Magazins «Vice». Warmherzig sei der Folk, den er unter dem Bühnennamen Sun Tailor spielt, steht da, gesungen mit einer Stimme zwischen Jeff Buckley und Guy Garvey von Elbow, eingebettet in zarte Melodien von Gitarre und Piano.

Politik ist keine Ebene, auf der Arnon Naor als Singer/Songwriter seinen Ausdruck sucht – und trotzdem: Wie ist das, wenn er sich demnächst zu seiner dritten Europa-Tournee einschifft, die am 11. September im Parterre Basel beginnt. Rechnet er mit Protesten gegen seine Auftritte, mit Aufrufen zum Boykott?

Solche Aufrufe begegnen israelischen Künstlern in den vergangenen Jahren verstärkt, wenn sie sich ausserhalb der Heimat präsentieren. Im vergangenen August rief die Schweizer Sektion der internationalen Bewegung BDS (Boycotts, Divestments, Sanctions) zum Boykott des Filmfestivals Locarno auf, weil israelische Filmemacher ans Festival eingeladen wurden – mit Filmen, die von israelischen Stellen mitfinanziert wurden und deshalb, so die Argumentation von BDS, dazu dienen würden, die israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten «weisszuwaschen». Die Kampagne richtet sich primär gegen politische und wirtschaftliche Kooperationen mit Israel, aber der staatlich geförderte kulturelle Austausch wird nicht ausgespart.

Schlagzeilen machten BDS-Proteste in Basel zuletzt 2011, als das lokale Kulturfestival Culturescapes Israel als Gastland präsentierte. Wie in Locarno wurde auch in Basel die Kooperation der Festivalleitung mit staatlichen israelischen Stellen, diesmal mit der israelischen Botschaft in Bern, kritisiert. Dass BDS jedoch auch gegen Künstler aktiv wird, wenn keine direkte Verbindung zu Israel gegeben ist, zeigte vor wenigen Wochen der Fall des Reggae-Sängers Matisyahu. Der ist zwar jüdisch und trat in früheren Jahren seiner Karriere auf der Bühne als chassidischer Sänger auf, der seine Religiosität offen zeigte. Sein Pass ist jedoch amerikanisch. Dennoch wurde er von einem Musikfestival in Spanien auf Druck der lokalen BDS-Sektion kurzzeitig wieder ausgeladen, nachdem er sich geweigert hatte, seine Haltung zum Nahostkonflikt öffentlich kundzutun.

«Man soll Künstler wegen ihrer Kunst einladen, nicht, um sie zu einem politischen Statement zu zwingen.»

«Verstörend» nennt Arnon Naor den Fall Matisyahu, weil er die «hässliche Seite» der Boykott-Bewegung entlarve. Nicht nur die latenten antisemitischen Elemente, von denen sich die dezentral organisierte Bewegung nie überzeugend zu distanzieren vermochte, sondern die konsequente Verweigerung des Dialogs. «Wozu soll Kunst gut sein, wenn man sie nicht als Gelegenheit nutzt, Menschen zusammenzubringen und politische Gräben zuzuschütten?», fragt Naor. «Auch wenn ich wie andere israelische Künstler mit vielen Aspekten der israelischen Politik nicht übereinstimme, bin ich doch kein politischer Botschafter. Man soll Künstler wegen ihrer Kunst einladen und nicht, um sie zu einem politischen Statement zu zwingen. Wenn das nicht genügt – auf Wiedersehen.»

Naor rechnet zwar damit, dass Boykottaufrufe in Zukunft, je länger der Stillstand im israelisch-palästinensischen Friedensprozess andauert, «wofür meine Regierung eine grosse Verantwortung trägt», zunehmen werden. Aber sie seien noch immer die Ausnahme. «Bei meinen bisherigen Auftritten in Europa, in Grossbritannien oder in Russland wurde ich überall freundlich und respektvoll empfangen», sagt er, «und ich verhehle nie, woher ich komme.»

Sehnsuchtsort Berlin

Ein Grund dafür mag die beschauliche Grösse der Independent-Szene des israelischen Pop sein. «Selbst die bekanntesten Musiker schaffen es nicht, von der Musik zu leben, sondern gehen daneben einem Tagesjob nach. Deswegen touren sie bei jeder Gelegenheit im Ausland, knüpfen Kontakte – und bleiben manchmal gleich dort.» Grösster Sehnsuchtsort ist, wie für viele junge Europäer aus der Kreativbranche, Berlin: Ausgerechnet dort, wo vor rund 75 Jahren die «Endlösung» der nationalsozialistischen Judenverfolgung beschlossen worden ist, wuchs die Gemeinde der Exil-Israelis in den vergangenen Jahren stark an.

Aus bekannten Gründen: Das Leben ist billig, die Kulturszene lebendig und durchlässig. Auch Naor wird sich nach dem Ende der anstehenden Tour zwei Monate in Berlin niederlassen, nach Inspiration lechzen, an neuem Material arbeiten und seine Kontakte mit der deutschen Musikindustrie zu intensivieren versuchen.

Hängen bleiben wird er voraussichtlich nicht, seine Exiljahre hat er hinter sich: Als Anfangzwanziger lebte er fünf Jahre in London, besuchte dort eine Musikschule, und zog sich häufig zurück, um die grossen, fragilen und «wahrscheinlich zufällig» früh verstorbenen Stimmen des Folk aufzusaugen: Nick Drake, Jeff Buckley, Elliott Smith. Von ihnen lernte er, dass ein Song erst dann zu Ende geschrieben ist, wenn er immer wieder aufs Neue berührt. Obwohl die Musik von Sun Tailor die opulenten Arrangements nicht scheut, wovon die Glanzlichter des aktuellen Albums «This Light» zeugen, kommt Naor immer wieder auf den intimen Moment zurück.

Ein wundervoller Abend im leeren Lokal

Ob in der hehren Akustik einer Kirche in Jerusalem, ob im Zugabenteil seiner Konzerte, wenn er von der Bühne zum Publikum hinuntersteigt und ohne Mikrofon und Verstärker seine Lieder singt. Oder in jenen Momenten, durch die jeder Musiker hindurch muss, der sich im Ausland einen Namen machen will: Wenn das Lokal praktisch leer bleibt, wie vor zwei Jahren, bei seinem ersten Konzert in der Schweiz, an einem herbstlichen Wochentag in einem Kulturcafé in La-Chaux-de-Fonds. «Mein Tourveranstalter hat mich während einer Deutschlandtournee dort hinein gebucht, keine Ahnung, woher er dieses Lokal kannte», sagt er. Es waren nur vier Leute da, aber es sei «ein wundervoller Abend» gewesen.

In solchen Situationen könne man als ambitionierter Musiker sich entweder dem Frust hingeben und das Konzert möglichst schnell runterschrammeln. «Oder man nimmt die Herausforderung an, holt die Schönheit aus solch intimen Abenden heraus und wächst an ihnen.» Danach hat man das Publikum zum Freund und kann mit ihm bei einem Glas über alles reden – wenn es sein muss, auch über Politik.

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Sun Tailor: 11.9. Parterre Basel, 21 Uhr.

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