Am Ende siegte der Literatur-Doyen: Peter von Matt erhält für seine Essaysammlung den Schweizer Buchpreis. Damit ehrt die Jury auch ein bisschen ihresgleichen. Ein kommentierender Bericht.
Die Überraschung war gross, der Applaus in unserer Wahrnehmung eher höflich, jedenfalls nicht euphorisch, als am Ende einer einstündigen Literaturgala der Name des Schweizer Buchpreisträgers 2012 verkündet wurde: Peter von Matt. Der 75-jährige Germanist wurde im Foyer des Theater Basel für «Das Kalb vor der Gotthardpost» ausgezeichnet, seine Sammlung vorwiegend älterer Essays.
Damit schöpft die fünfköpfige Jury die Möglichkeiten ihrer Freiheit aus und würdigt erstmals einen Essayisten. Eine Jury, der Hans Ulrich Probst (DRS2), Andreas Isenschmid (NZZ am Sonntag), Alexandra Kedves (Tages-Anzeiger), Thomas Strässle (Privatdozent Uni Zürich) und Christine Lötscher (freie Kritikerin) angehören, die also mit Philologen und Literaturkritikern besetzt ist und die damit auch ein bisschen ihresgleichen auszeichnet.
Es lässt sich treffend darüber streiten, ob dieser Preis zwingend an den Doyen von Matt vergeben werden musste – schwingt doch die Vermutung mit, dass hier ein Lebenswerk ausgezeichnet wird, ein konservativer Konsens gefunden wurde. Zudem hätte der emeritierte Professor die Ausstrahlung dieses Preises und den Geldbetrag (30’000 Franken) nicht nötig – im Unterschied zu den vier jüngeren Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die es ebenfalls auf diese Shortlist geschafft hatten.
«Es war ein intensives Ringen, am Ende würde man am liebsten zwei, drei Titel vergeben», erklärte Juror Hans Ulrich Probst dem Publikum. Nachdem 2011 mit Catalin Dorian Florescu zum dritten Mal in Folge ein Erzähler mit Wurzeln in Osteuropa geehrt wurde (und Grössen wie Adolf Muschg leer ausgegangen waren), würdigt man jetzt mit von Matt einen Autor, der klassische Schweizer Literatur und Politik in klugen Aufsätzen zusammenführt, quasi einen Klassiker und sicheren Wert.
Peter von Matts freundschaftliche Geste
In seiner Dankesrede sagte von Matt, dass er sich freue, auch für seinen Verlag und seine Kolleginnen und Kollegen, die in der Schweiz essayistisch und publizistisch tätig seien. Und mit Blick in die vorderste Reihe, in der Sibylle Berg, Thomas Meyer, Alain Claude Sulzer und Ursula Fricker sassen, fügte er hinzu: «Ich freue mich auch, dass ich diese grossartigen Autorinnen und Autoren kennenlernen konnte – und hoffe, dass ich diese freundschaftliche Beziehung weiter pflegen kann.»
Tatsächlich waren sich die fünf der Shortlist nicht mehr fremd, hatten sie in den vergangenen Wochen doch gemeinsam eine Lesetour bestritten und sich und ihre Werke im deutschsprachigen Raum präsentiert (nicht aber in der Romandie, weshalb man auch vom Deutschschweizer Buchpreis sprechen könnte).
Gerade für die beiden jüngeren Nominierten, Thomas Meyer und Ursula Fricker, eine Gelegenheit, um mit Publikum in Kontakt zu treten, was gemäss Marianne Sax vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband eines der Ziele gewesen sei. «Auch die Wirkung, die die Nominierung auf die Verkäufe hatte, ist beachtlich und erfreut», sagte sie.
Der Verband wird den Preis auch in Zukunft mit LiteraturBasel vergeben, wie Hans Georg Signer in seiner Ansprache betonte. Er machte sich zudem – wie zwischen den Zeilen herauszuspüren war – für ein Festival ohne Buchmesse stark, so, wie es in diesem Jahr erstmals über die Bühnen der Stadt gegangen ist. (In diesem Zusammenhang sei auf unsere laufende Wochendebatte verwiesen).
Zwar wurde bedauert, dass der Schweizer Buchpreis ohne Unterstützung des Bundes ausgerichtet werden müsse (dieser lanciert einen eidgenössischen Preis, der künftig in Solothurn verliehen wird). Dennoch wurde klar, dass auf dieses Highlight am Ende des Literaturfestivals nicht verzichtet werden sollte, fieberten doch Hunderte mit Spannung dem Juryentscheid entgegen. Beste Werbung für Literatur jenseits des globalen Mainstreams (wie etwa «50 Shades of Grey»), ganz im Sinne also der ausrichtenden Institutionen.
Eine alt Bundesrätin muntert Sibylle Berg auf
Mit einem im Anschluss live übertragenen Radio-Interview endete die BuchBasel, wie sie am Donnerstag begonnen hatte: Vor gelichteten Rängen im Foyer des Theater Basel. Immerhin: Der Aufmarsch zur Preisverleihung war beachtlich, nicht nur das Parterre, sondern auch die Stufen des Foyers bis auf den letzten Platz besetzt. Damit wurde Hans Georg Signers Aussage, «die Schweiz tut sich schwer mit Verehrung, mit der Sympathie von Schriftstellerinnen und Schriftstellern», widerlegt. Das Interesse war gross.
Kaum aber war der Sieger geehrt, zogen es viele vor, sich dem Apéro zuzuwenden und über Sinn des Juryentscheids zu debattieren, als dem Radiointerview mit von Matt zuzuhören. Manche nutzten zudem die Gelegenheit und kauften eines der nominierten Bücher, das zuvor von den Laudatoren beschrieben und beworben worden war. So etwa eine ältere, distinguierte Dame, die eine sichtbar enttäuschte Sibylle Berg ansprach, aufmunterte und um eine Widmung bat. «Wie heissen sie denn?», fragte Frau Berg freundlich lächelnd. «Elisabeth Kopp», sagte die Dame, und ihr Begleiter fügte hinzu: «Sie war einmal Schweizer Bundesrätin.» Peter von Matt hätte das sicher gewusst. Wenn es um ein historisches Bewusstsein dieses Landes geht, dann hat er den Preis sicher völlig verdient.