Ein Schiff wird kommen

«Mit dem letzten Schiff» heisst der neue Roman von Eveline Hasler. Darin richtet die Schweizer Autorin ihr Augenmerk auf einen Nebenschauplatz im Zweiten Weltkrieg: Auf all die Dichter und Denker, die sich auf der Flucht vor dem Naziregime in Südfrankreich einfanden, in der Hoffnung auf einen Retter in der Not. Einer dieser Retter war Varian Fry.

Varian Fry mit André Breton, André Masson und Bretons Frau Jacqueline (v.r.n.l.) in dessen Büro in Marseille im Jahr 1941. (Bild: imago)

«Mit dem letzten Schiff» heisst der neue Roman von Eveline Hasler. Darin richtet die Schweizer Autorin ihr Augenmerk auf einen Nebenschauplatz im Zweiten Weltkrieg: Auf all die Dichter und Denker, die sich auf der Flucht vor dem Naziregime in Südfrankreich einfanden, in der Hoffnung auf einen Retter in der Not. Einer dieser Retter war Varian Fry.

Es hätte doch so spannend sein können: Eveline Hasler widmet ihren neuen Roman dem US-Amerikaner Varian Fry, der im Zweiten Weltkrieg fast zweitausend Menschen vor den Nazis rettete. Darunter befanden sich weltberühmte Künstler und Intellektuelle wie Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel oder Max Ernst. Von Frankreich aus verhalf Fry diesen zur Flucht in die USA. Bei dieser Ausgangslage denkt man unwillkürlich an Spannung, an Dramatik, an harte, persönliche Schicksale. Und weil man Eveline Hasler als virtuose Erzählerin kennt, die gerne dokumentarische Fakten mit Fiktion mischt, erhofft man sich eine mitreissende Lektüre.

Nach 219 Seiten jedoch legt man «Mit dem letzten Schiff» etwas enttäuscht zur Seite. Wars das schon?, fragt man sich. Irgendwie ist man der Figur Varian Fry nicht nahe gekommen. Im Epilog erst wird sein Profil etwas geschärft – zu spät.

Doch was erzählt uns Eveline Hasler stattdessen? Das ist vordergründig tatsächlich die Geschichte des Journalisten Fry, der 1940 vom Emergency Rescue Comitee nach Marseille geschickt wird – einem Komitee unter dem Patronat der First Lady Eleanor Roosevelt mit dem Zweck, verfolgten Künstlern und Autoren bei der Flucht in die USA zu helfen. In Marseille strandeten zahlreiche von ihnen auf der Flucht vor den Nazis, in der Hoffnung, in diesem wichtigen Mittelmeerhafen ein Schiff in eine bessere Welt zu erwischen.

Einsatz für die Schwachen

In diesem «Hexenkessel», wie Hasler schreibt, arbeitet nicht nur Fry an der Rettung unzähliger Menschen, sondern auch zwei Schweizerinnen. Eine Berner Krankenschwester des Roten Kreuzes namens Elsbeth Kasser und die Glarnerin Rösy Näf. Die beiden führen gemeinsam zuerst ein Heim für flüchtige Kinder und Jugendliche, bis es Kasser weiterzieht ins Internierungslager Gurs, wo sie versucht, sich für die Schwachen einzusetzen. Die beiden Frauen spielen neben Fry die Hauptrollen im Roman, bleiben aber ebenfalls nur skizzenhaft gezeichnet.

Viele gute Seelen und Kämpfer nimmt Hasler in ihr Buch auf, dazu auch noch einige Figuren, die der Rettung bedürfen. Die weltbekannten ebenso wie gänzlich unbekannte. Justus Rosenfeld beispielsweise, genannt Gussie, der bald Fry behilflich ist – und der Eveline Hasler auch hauptsächlich bei ihrer Recherche beistand. Oder Menschen, die später zu Berühmtheiten wurden wie der spätere Résistance-Kämpfer Stéphane Hessel. All das sind spannende Figuren, deren Lebensgeschichten man in eigene Bücher packen könnte. Doch Eveline Hasler hat sich für sie alle zusammen nur diese 219 Seiten Platz genommen. Und so bleibt sie notgedrungen an der Oberfläche der Charaktere hängen. Wollte sie nicht mehr, oder konnte sie nicht?

Reichhaltige Fakten

Trotzdem: In der ausführlichen historischen Recherche, in all den rohen Fakten stecken derart viele Details, dass man aufpassen muss wie ein Heftlimacher, um den Erzählstrang nicht aus den Augen zu verlieren. Da weiss man zwar, dass der übergewichtige Heinrich Mann es irgendwie über einen Bergpass schaffte, oder welche Art von Fellmantel Max Ernst gerne trug und dass er die Damen mit seinen blauen Augen verzauberte – das wärs zu diesem wichtigen Maler dann aber auch schon. Das schnelle Tempo treibt die Lektüre zwar vorwärts und lässt die Erzählung auch nicht langweilig werden, doch etwas mehr fiktives Fleisch am Knochen wünschte man sich an vielen Stellen.

Und doch ist «Mit dem letzten Schiff» ein lesenswertes Buch, weil es einen Aspekt des Zweiten Weltkriegs in den Fokus stellt, der sonst eher in den Hintergrund rückt. Weil es von kleinen Episoden erzählt, die später in Werken der geretteten Dichter und Denker erzählt worden sind. Und weil es die hektische Stimmung, die in Marseille im Jahr 1941 geherrscht haben muss, im Grundton passend wiedergibt.

Eveline Hasler
Eveline Hasler wurde in Glarus geboren, studierte Psychologie und Geschichte in Fribourg und Paris und war einige Zeit als Lehrerin tätig. Heute lebt sie im Tessin. Sie schreibt vor allem historische Romane, aber auch Lyrik, Kinderbücher, Kolumnen, Reportagen sowie Radio- und Zeitschriftenbeiträge. Zu ihren bekanntesten Romanen gehören jene über Anna Göldin («Anna Göldin, letzte Hexe») oder Emily Kempin-Spyri («Die Wachsflügelfrau»). Haslers Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Viele ihrer Bücher erscheinen im Nagel & Kimche Verlag.

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