Ein Schweizer Musiker von Weltklasse

Unglaublich, was Stephan Eicher am ersten Abend des Summerstage Festivals geboten hat: ein fantastisches Konzert, dramaturgisch genial inszeniert, voller Überraschungen und neuer Arrangements. Wer ein Ticket für sein Montreux-Konzert heute hat, darf sich freuen.

Fest und Konzert Stefan Eicher in Gruen 80 an 10.07. 2014 (Bild: Alexander Preobrajenski)

Unglaublich, was Stephan Eicher am ersten Abend des Summerstage Festivals geboten hat: ein fantastisches Konzert, dramaturgisch genial inszeniert, voller Überraschungen und neuer Arrangements. Eicher ist der edle Tropfen unter den Schweizer Stars: Er wird auch im reifen Alter immer besser.

Die Landi-App hat uns für einmal angelogen. Von wegen trockener Abend. Während sich Philipp Fankhausers Band stilistisch nach Chicago shuffelt, kriegt auch Petrus den Blues. Schade, dass man sich den Sommer beim Auftakt des diesjährigen Summerstage Basel hinzudenken muss. Dabei ist das Ambiente im Münchensteiner Park im Grünen doch so idyllisch, vorne die Bühne, hinten der Hügel, all das umgeben von Bäumen und Teichen. Ein wunderbarer Rahmen für ein Open-Air-Happening.

Fankhauser gibt ein solides, aber überraschungsarmes Konzert. Das Publikum stört sich nicht daran, denn der Thuner ist ein gekonnter Unterhalter und Dienstleister, der sich ganz in die Tradition des mit Horn Section angereicherten Rhythm’n’Blues und Rock stellt. Aus Basler Sicht könnte man sagen, dass er das fortsetzt, was die Lazy Poker Blues Band in den 80er-Jahren erfolgreich in der Schweiz etabliert hat, allerdings ohne dass er diesen Sound weiterzuentwickeln weiss.

Unverwechselbar hingegen ist der Hauptact des Abends: Stephan Eicher. Ein Charaktertyp, was Gesang und Entwicklung betrifft. Seine ersten Basler Konzerte gab er in den frühen 80ern im Untergrund, im New-Wave-Club Totentanz. 

Vom Wohnzimmerkonzert zum Brass

Dass Eicher gerne experimentiert, manifestiert sich in seinem vielseitigen Oeuvre. Was er aber hier und heute auf der Bühne bietet, übertrifft alles, was wir bisher von ihm gesehen haben. 

Es beginnt als Wohnzimmerkonzert: Eicher sitzt in der Bühnenmitte, zupft die akustische Gitarre, dicht umringt von seiner Band an Violine, Posaune, Kontrabass, Shaker und Gitarre. Mit diesem unplugged-Auftakt zaubert er eine zarte Intimität in den Park, singt das irisch angehauchte «Hope», gefolgt von weiteren neueren Stücken wie «Le Sourire». Dass sich einige schiefe Töne einschleichen, ist ein Schönheitsfehler, durch die feuchtnasse Atmosphäre ausgelöst. «Man muss vielleicht erklären, dass das echte Instrumente sind», sagt Eicher, während er seine Gitarre ein erstes Mal stimmen muss.

Die Witterung beeinträchtigt nur die Stimmung der Instrumente, nicht aber jene im Publikum und der Musiker: «Das graue Wetter haben wir extra ausgesucht, weil es zu meinen Haaren passt», sagt Eicher selbstironisch. Er ist in blendender Laune, was sich auf die Besucher überträgt.

Wer zu Hause blieb, hat ohne zu übertreiben ein sensationelles Konzert verpasst. Was im kleinen akustischen Rahmen beginnt – mal folkig, mal balladesk («Weiss nid was es isch») – erfährt nach einer halben Stunde eine fliessende Steigerung in der Dynamik. Zu einem Loop wechselt Eicher an den Flügel, der Perkussionist ans Schlagzeug: Mit «La Relève» (2012) verdeutlicht er, dass er sich auch mit seinen neuen Chansons nicht vor der Weltklasse verstecken muss. Wunderbar, wie das Stück im Schluss-Crescendo wächst und wächst, voller Dramatik, wie wir sie sonst von Bands wie Arcade Fire kennen. 

Und plötzlich stehen da 20 Hörner auf der Bühne

Damit nicht genug: Eicher baut sein Konzert dramaturgisch weiter aus und damit den Rock ein. Seinen eigenen Hit «Des hauts, des bas» kombiniert er zudem elegant mit dem Soulklassiker «Papa Was A Rolling Stone». Und dann, zur Hälfte des Konzerts, lässt er auf einmal eine ganze Brass Band einmarschieren, die dem Klangbild zunächst eine tragende Note wie in einem Kirchenchoral verleiht, ehe sie im Stile eines Balkanorchesters furiose Tempi anschlägt und feurige Läufe hinlegt. Das Publikum, zunächst überrascht, ist völlig aus dem Häuschen. Man weiss, dass Eicher nicht der Typ ist, der künstlerisch stehen bleiben mag, sondern sich immer weiter entwickeln will. Was er aber hier liefert, ist ein immenser personeller Aufwand, fantastisch arrangiert, souverän dargeboten, kaum zu überbieten.

Mit Streichern hat man ihn schon erlebt, aber wer hätte gedacht, dass ein Hit wie «Déjeuner en paix» auch erstklassig klingt, wenn er für Hörner wie Cornet, Posaune und Tuba orchestriert wird? Eichhorn nennt er die geschätzten 20 zusätzlichen Musiker, aus der Innerschweiz kämen sie. Kennengelernt habe er sie vor zehn Jahren, zufällig, als sie vor dem KKL Luzern ein Ständchen gespielt hätten. Eicher war hingerissen, wie diese «Gugge» Stücke von Van Halen und AC/DC interpretierte, traute seinen Ohren kaum, wie gut das klang.

Und liefert gleich selber den Beweis, mit einer orchestralen Version von «It’s a long way to the top if you wanna Rock’n’Roll». Verführerisch tiefer gesungen als das Original, die Strophe dunkler, der Refrain umso explosiver. Sensationell. Als wären die Neu-Arrangements seiner eigenen Hits nicht grossartig genug gewesen, schafft es Eicher auch noch, dem AC/DC-Klassiker eine neue Facette abzugewinnen.

Eicher ist wie ein guter Tropfen Rotwein

In weiteren Zugaben spielt er ganz unprätentiös alte Publikumsfavoriten wie «Les Filles du Limmatquai» oder «Ce soir je bois» an, fordert damit die Spontanität seiner Band heraus und verdeutlicht, wie leger er im Sommer 2014 unterwegs ist, wie spielfreudig auch. Das manifestiert sich am Ende, als er sein Matter-Cover «Hemmige» eigentlich durchgespielt hat, aber ein Tambour in Dixieland-Manier ein letztes Encore anschlägt. Eicher schrammt auf der Gitarre, schreitet die Treppe runter, rein ins Publikum, dahinter die Band und die Blechbläser. So marschieren sie im New-Orleans-Stil übers Festivalgelände, minutenlang. Fantastisch, einfach nur fantastisch, sodass wir am Ende feststellen: Stephan Eicher ist wie ein guter Rotwein. Er reift und reift und wird immer besser. Ein Schweizer Künstler von Weltklasse. 

Schade nur, dass das schlechte Wetter der letzten Tage den Ticketverkauf ein wenig einbrechen liess: Dieses hinreissende Konzert hätte mehr Besucher verdient gehabt als 1800 Leute. 

Umso dankbarer sind wir dem Basler Veranstalter Thomas Dürr dafür, dass er das Risiko auf sich genommen hat – und angesichts des schlechten Wetters wohl auch den Verlust –, diese Grossproduktion nach Münchenstein zu holen. Denn vorerst hat Eicher nur noch eine zweite Show geplant, am Samstag in Montreux. Wer sie erlebt hat, wird sie nie mehr vergessen.
 

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