Fabian Chiquets Musikperformance «The Wedding Party Massacre» führt Tanz, Pop, Video und Pathos zusammen. Das knallt. Aber es macht einen auch ratlos. Die Ambivalenz lässt sich noch bis 27. September im Haus der elektronischen Künste in Basel nachfühlen.
Bedrohlich knallen die Sechzehntel, Tribal-Rhythmen durchdringen den Raum. Dazu entlädt sich ein Lichtgewitter und eine Tänzerin (Miryam Garcia Mariblanca) sowie ein Tänzer (Henry Monsanto) bringen mit ihren Bewegungen Leidenschaft und Kampfgeist zum Ausdruck. Wir sind Zeugen des «Wedding Party Massacre», das Fabian Chiquet, Heimatbasler und Wahlberner, im Untergeschoss des HeK veranstaltet.
Man kennt den 30-Jährigen als Musiker und Songwriter von The bianca Story, einer der aufregendsten Basler Bands der letzten Jahre. Einer Band, die uns mit Inszenierungen wie «M & The Acid Monks» bereits zu phantastischen Ausflügen in die Musiktheaterwelt mitgenommen hat. Das «Wedding Party Massacre» ist allerdings Chiquets eigenes Projekt, für das er immerhin zwei weitere Bandmitglieder zusammengetrommelt hat: Gitarrist Jonas Wolf und Bassist Joël Fonsegrive. Ergänzt wird diese Besetzung durch den Zürcher Schlagzeuger Moritz Vontobel (E-Drums).
Durchgetaktet, abgestimmt
Der Raum wirkt kühl, düster, das Bühnenbild wird ausschliesslich durch Lichter und Videoeinspielungen erzeugt, die Instrumente sind mobil, die Performer ebenso, ständig in Bewegung, alles im Fluss: Das komplette Programm ist durchgetaktet, durchprogrammiert. Grosse, ja, grossartige Arbeit, das alles aufeinander abzustimmen – erfordert dies doch Perfektion, lässt keine Abweichung zu, keine Improvisation. Im Hintergrund laufen Effekte und Loops, die die mal druckvollen mal reduzierten Songs unterfüttern, effektvoll bis kaskadenhaft. Darüber schichten Gitarre und Bass ihre Läufe und Chiquet seine Gesänge.
Inspirieren liess sich Chiquet wie schon für sein früheres Stück «Parade» bei Jean Cocteau (1889-1963), jenem französischen Künstler, Dichter und Denker, dem in Basel lange Zeit ein Kabinett gewidmet war. Lose basiert das «Wedding Party Massacre» auf Cocteaus Libretto zu «Les mariés de la Tour Eiffel». Allerdings ist der Bezug nicht offensichtlich – was nicht weiter schlimm ist.
Generalist der Künste
Wichtiger scheint uns die Parallele, dass Cocteau ein Generalist der Künste war, der interdisziplinär arbeitete, bevor dieser Begriff überhaupt Allgemeingut (und Allgemeinplatz) war. Ein künstlerischer Spreizfuss ist auch Chiquet, der für dieses Projekt ein Dutzend kreativer Leute an Bord geholt hat, vom Videokünstler Gregor Brändli (dessen schöne Schwarz-Weiss-Ästhetik schon im James-Gruntz-Clip «Countless Roads» aufgefallen ist) bis zu den genannten Musikern und Tänzern.
Ist es Theater? Eher weniger.
Ein modernes Musical? Vielleicht, wäre da eine Handlung, die ohne Vorwissen nachvollziehbar wäre. Ist diese aber nicht.
Ein Kunstprojekt? Könnte hinkommen, schliesslich ist vieles assoziativ, zu assoziativ, um in die Kategorie Rockoper aufgenommen zu werden.
Allerdings ist da auch ein ordentliches Mass an Videogame-Ästhetik: Die fetten Beats, die HipHop-Dramatik und die klanglichen Stimmverfremdungen.
Dazu wirft Chiquet in seinen Songtexten mit Schlagwörtern um sich, allerdings auch mal mit zweifelhaftem Resultat: Zeilen wie «In your eyes, danger lies – come on, we go wild, yeah!» sind – nun ja – nicht gerade herausfordernd.
Wo Krieg auf Unterhaltung trifft
Dabei hat er das Stück doch unter dem Einfluss der Kriegsszenarien der jüngeren Zeit geschrieben, wie er uns vor der Basler Premiere erzählt. Von der Ukraine bis Syrien schien es im vergangenen Jahr an allen Ecken und Enden zu brennen. Er fragte sich: «Was bleibt da am Ende übrig?»
Das Spektakel von Krieg mit dem Spektakel der Unterhaltung zusammenführen, das war eine Idee, die er für das «Wedding Party Massacre» verfolgte. Wir verstehen: Da hat einer die Überforderung, die Ohnmacht angesichts der Bad News in Musik und in Performance verpackt. «Too Much Information», wie er in einem der Songs feststellt.
Als Spektakel nimmt man die Show denn auch wahr, allerdings überstrahlt dieses die hintergründigen oder nachdenklichen Ansätze. Mit Pop und Popstarposen wendet sich Chiquet ans leider nur spärlich erschienene Premierenpublikum, die Maske fällt nicht, ironische Brüche sind kaum erkennbar. Vielleicht auch, weil dafür ein roter Faden erkenntlich sein müsste, eine Handlung – und eine Hand, die uns durch diese führt, die für Verständnis sorgt. Doch bei diesem assoziativen Spiel mit Gefühlszuständen ist das nicht der Fall. Chiquet wagt den Tanz auf dem Minenfeld der Unterhaltungsindustrie.
Im Videoclip zu «Wanna Marry Me?» wird er deutlicher, projiziert das Lachen unserer Landespolitiker im Hintergrund, während er in DJ Antoine’scher Manier zum Refrain ansetzt: «We’re happy, cause we don’t know» (was an «Ma chérie» erinnert). Durch die plakativen Politiker-Bilder verstehen wir die Ironie: Wir leben auf einer Insel, hier in der Schweiz, mit uns selber beschäftigt – entweder naiv, ahnungslos oder ignorant, was da draussen, in der wirklichen, krisengeschüttelten Welt, eigentlich abgeht.
Viel Inszenierung, wenig Aussagekraft, so könnte das brutale Verdikt am Ende der Vorstellung lauten. Aber die Bühne ist hier auch eine Spielwiese für ein Multitalent, das neue Experimente wagt. So wie einst Cocteau, der sich nicht immer mit gleichem Erfolg auf neues Terrain begab, immer aber weitermachte. «Alles ist Poesie», sagte Cocteau. Und wenn uns die neueste Poesie seines Bewunderers Chiquet auch nicht ganz so tief berühren konnte: Beim nächsten Mal ist wieder alles anders.
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Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, Basel.
Weitere Aufführungen 25.-27.9.2015, jeweils 21 Uhr.