Der Basler Theatermacher Boris Nikitin lotet auf der Bühne den flirrenden Raum zwischen Realität und Spiel aus und avanciert damit zum begehrten Festivalgast.
Boris Nikitin führt Besucher auf Theaterreisen – aktuell zu einer Predigt-Performance in die Kirche des Benediktinerklosters Mariastein. Der 34-jährige Basler ist aber auch selber ein Theaterreisender. Für das Gespräch mit der TagesWoche war ein Telefonanruf nach New Delhi nötig. Dort richtete er zusammen mit seiner indischen Kollegin Zuleikha Chaudhari eine theatrale Rauminstallation ein.
Der Titel der Installation «Also the real thing» könnte eine Art Leitspruch für das Schaffen von Niktin sein. «Mich interessieren die Momente, wenn das Publikum nicht mehr klar zwischen richtig und falsch, zwischen Wahrheit und Manipulation entscheiden kann», sagt er: «Also das Flirren zwischen Realität und Spiel.»
Meister der Zwiespältigkeit
Für ihr Projekt im Rahmen der Austellung «Insert 2014» im Indira Gandhi National Centre for Arts in New Delhi betteten Nikitin und Chaudhari eine tatsächliche Audition mit indischen Schauspielern in eine Rauminstallation ein. Zu erleben war dann schliesslich ein Reenactment, also eine Nachstellung des wirklichen Vorsprechens. Oder «die Repräsentation einer Repräsentation», wie sich Nikitin ausdrückt.
Ganz ähnlich wie der Titel seiner Rauminstallation in New Delhi klang auch derjenige der Dokumentar-Theatertage, mit der er im April 2013 in Basel für grosses Aufsehen gesorgt hat: «It’s The Real Thing». Dort stand neben der umstrittenen szenischen Lesung der Verteidigungsrede des rechtsextremen norwegischen Massenmörders Anders Breivik («Breiviks Erklärung») unter anderem auch ein organisierter Besuch einer tatsächlichen Gerichtsverhandlung auf dem Programm, die dadurch den Charakter einer Live-Performance bekam.
Hintersinnige Irritationsmomente
Für hintersinnige Irritationsmomente sorgt Nikitin aber auch bei seinen vordergründig konventionellen Bühnenprojekten. Mit «Sei nicht du selbst», einem von der Kaserne Basel koproduzierten Auftragswerk für das Schauspielhaus Graz und das Festival Steirischer Herbst, führte Nikitin fünf Schauspielerinnen und Schauspieler auf einen skurril-witzigen Selbst- oder besser Fremdfindungstrip auf den Grenzraum zwischen Selbstdarstellung und gefälschten Biografien.
Dieses Projekt ist nun zum ersten Schweizer Theatertreffen eingeladen worden. Die vom Schweizerischen Bühnenverband initiierte «Leistungsschau des schweizerischen Theaterschaffens» wird Ende Mai im Winterthur «sieben herausragende Schauspielproduktionen» präsentieren. Nikitin hat mit der Einladung erst richtig von der Existenz dieses frisch lancierten nationalen Theatertreffens erfahren. «Aber natürlich freut mich die Einladung sehr», sagt er.
Ein regelmässiger Festival-Gast
Nikitin, der von 2002 bis 2008 in Giessen angewandte Theaterwissenschaften studierte, war bereits früh Gast an renommierten Festivals. 2009 wurden seine zwei Projekte «Woyzeck» und «F wie Fälschung» zum «Impulse»-Festival eingeladen, das im Zweijahresrhythmus in Bochum, Köln, Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr nach Eigendeklaration die «wichtigsten freien Theaterproduktionen aus dem deutschsprachigen Raum» zeigt. «Sei nicht du selbst» war am Festival Steirischer Herbst in Graz zu sehen und aktuell arbeitet er an einer Opernproduktion für ein weiteres renommiertes Festival, dessen Namen er noch nicht genannt haben möchte, weil das Festival sein Programm noch nicht veröffentlicht hat.
Zudem arbeitet Nikitin auch regelmässig an deutschen Stadttheatern. So auch am Theater Freiburg, für das er seine theatrale Kirchenexpedition mit dem Titel «How to Win Friends and Influence People» inszeniert hat. Der Titel des Projekts bezieht sich auf den gleichnamigen Klassiker der Motivationsliteratur von Dale Carnegie aus dem Jahr 1936. Zusammen mit dem Schauspieler Matthias Breitenbach spürt Nikitin darin der rhetorischen Überzeugungskraft einer Predigt nach.
Von der Mormonenkirche ins Kloster
In Freiburg i. Br. fand die gespielte Predigt im Kirchenraum der dortigen Mormonen-Gemeinde statt. Die Basler Mormonen vermochten ihre Skepsis nicht ganz abzulegen, so dass Nikitin einen alternativen Aufführungsort suchen musste und mit der Klosterkirche in Mariastein schliesslich auch einen vorzüglichen Ersatz gefunden hat. «Abt Peter von Sury hat sofort zugesagt», freut sich Nikitin.
So werden am Donnerstag, Samstag und Sonntag Menschen an eine inszenierte Predigt pilgern, die man an einer richtigen Predigt wohl nicht so oft antrifft. Und auf der anderen Seite hofft Nikitin, dass sich auch der eine oder andere Klosterbruder unters Publikum mischen wird, um zu erleben, wie ein Schauspieler in ihrer Kirche ihre Glaubensfragen behandelt.
Eine Predigt im Benediktinerkloster Mariastein
von Boris Nikitin
Ein Gastspiel des Theaters Freiburg, eingeladen von der Kaserne Basel
Am 20., 22. und 23. März, 20 Uhr, in der Klosterkirche Mariastein
Die Kaserne Basel bietet einen Shuttlebus für Hin- und Rückfahrt an (begrenzte Platzzahl)
Abfahrt: 19 Uhr Kaserne Basel