Die Baselbieter Bildungslandschaft steht vor einem Umbruch. Die angestrebte Harmonisierung der Schulen und mit ihr der Lehrplan 21 stehen zunehmend in der Kritik. Jetzt bezieht der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) Stellung.
In Baselland herrscht Unmut wegen der Ausbildung für die Sekundarstufe I. Über 1100 Baselbieter Lehrkräfte unterzeichneten in den Monaten Januar und Februar eine Forderung nach besser ausgebildeten Sek-I-Lehrkräften. Das Unterschriftenverfahren leitete das Komitee «Qualität an den Schulen und in der Ausbildung der Sek-I Lehrkräfte» unter dem Vorsitz von Otto Schwarzenbach (Sek Oberwil). An der Medienorientierung präsentierten Nadine Berger und Lukas Erni die Anliegen der Sek-I-Lehrer.
Um Sek-I-Lehrer zu werden, gibt es heute die Möglichkeit, entweder an der Universität zwei Fächer zu studieren und die pädagogische Ausbildung danach anzuhängen, oder die ganze Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule (PH) zu absolvieren, allerdings mit einer geringeren fachlichen Vertiefung. Eine geplante Zusammenlegung der Fächer im Lehrplan 21 sieht vor, dass Sek-I Lehrer künftig immer drei Fächer unterrichten. Die unterschreibenden Lehrerinnen und Lehrer wehren sich dagegen, dass fehlende Teilfächer durch eine Kurzausbildung nachgeholt werden können.
Ausbildungs-Missstand wird moniert
Das Komitee plädiert zudem für eine Erhöhung des fachwissenschaftlichen Anteils der Ausbildung an der PH – nur, wenn die Lehrperson wirklich etwas drauf habe, könne «der Funken rüberspringen» beim Unterrichten von Schülern mit einem hohen intellektuellen Potential. Zudem könne eine mangelhafte Ausbildung der Lehrkräfte zu gefährlichen Risiken führen, zum Beispiel im praktischen Chemieunterricht. Der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) werde alles daran setzen, den Forderungen des Komitees Nachdruck zu verleihen, wie Vereinspräsident Michael Weiss versichert.
«Damit der Funken rüberspringt, müssen Sek-I-Lehrer etwas drauf haben.»
Doch der LVB hat auch andere, noch dringlichere Sorgen. Seit das Baselland den Lehrplan 21 als einziger Projektkanton abgelehnt hat, gibt es bezüglich der angestrebten Harmonisierung der Schweizer Schulen viele Fragezeichen. Das interkantonale HarmoS-Konkordat, dem Kantone seit 2007 beitreten können, hat das Ziel, die Struktur der obligatorischen Schulzeit zu vereinheitlichen und die Mobilitätshindernisse zwischen den Kantonen zu verringern.
Neben der Anpassung der Schulstruktur (zwei Jahre Kindergarten, sechs Jahre Primarschule, drei Jahre Sekundarschule für alle) sieht Harmos auch einen einheitlichen Lehrplan vor, sowie eine Kompetenzorientierung des Unterrichts. Der letzte Punkt bedeutet vereinfacht gesagt, dass Kinder sich künftig Fachwissen nicht mehr primär aneignen müssen, sondern vielmehr die Fähigkeiten erwerben, um gewisse Problemlösungen zu bewältigen und etwa über Recherchemethoden an das nötige Wissen zu gelangen.
Schulharmonisierung steht schweizweit in der Kritik
Die Veränderungen, die mit Harmos einhergehen sollen, klingen vielversprechend. Die beiden Basel schlossen sich dem HarmoS-Konkordat im Mai (Basel-Stadt) und September (Baselland) 2010 an. Doch mittlerweile ist das Vertrauen in die Harmonisierung der Schulen schweizweit markant gesunken.
Der Schweizer Lehrerverband stellt sich zwar hinter den Lehrplan 21, bezeichnet ihn jedoch als «überladen und schwer verständlich». Er würde keine bestehenden Probleme beheben, sondern neue schaffen, heisst es von mehreren Seiten. Und mit dem Forum Allgemeinbildung Schweiz wehren sich Gymnasiallehrer, Fachdidaktiker, PH- sowie Universitätsdozenten aus verschiedenen Kantonen gegen die mit der Kompetenzorientierung einhergehende Ökonomisierung des Schulwesens.
Nirgends sind die kritischen Stimmen allerdings so laut wie im Baselbiet, das den Lehrplan 21 als einziger Projektkanton ablehnte. Seither lautet die grosse Frage: Wie weiter? Dieser Frage sieht der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich-Pelloli anscheinend gelassen entgegen. Er rechnet nicht damit, dass eine alternative Lösung gefunden werden muss, sondern hofft darauf, dass der Lehrplan in den kritisierten Punkten angepasst und dennoch umgesetzt werden kann.
Komitee Starke Schule fordert Abnabelung von HarmoS
Das Komitee Starke Schule Baselland lancierte Ende Februar eine Initiative, die den Austritt aus dem HarmoS-Konkordat fordert. Dahinter steht Wüthrich nicht: «Die Motive der Initiative sind für mich nicht nachvollziehbar», sagt er.
Die «bildungspolitische Isolation» des Baselbiets sei keinesfalls anzustreben, auch in der Wirtschaft hat Wüthrich Bedenken, dass mit einer Sonderregelung die falschen Zeichen gesetzt würden. Doch seines Erachtens hat die Initiative keine grossen Chancen. «Dass sich ausgerechnet Baselland in die bildungspolitische Isolation manövriert, ist für mich nicht vorstellbar», sagt Wüthrich, seien doch bisherige Abstimmungen über die Bildungsharmonisierung mit einem eindeutigen Mehr angenommen worden.
Frappanter Abwärtstrend
Der LVB weist an der Pressekonferenz allerdings auf einen frappanten Abwärtstrend bei der Zustimmung für die Schulharmonisierung hin: Stimmten 2006 noch 91 Prozent der Stimmberechtigten in Baselland für eine Harmonisierung, waren bei der Abstimmung über den HarmoS-Beitritt 2010 nur noch 56 Prozent bereit, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Der LVB hat als Reaktion auf die Harmos-Austrittsinitiative seine Mitglieder befragt, und kam zu dem Ergebnis, dass nur 22,4 Prozent der Umfrage-Teilnehmer das Vertrauen in Harmos noch nicht verloren haben. Vereinspräsident Michael Weiss sagt: «Das Ergebnis signalisiert einen tiefen Vertrauensverlust.»
Obwohl Bildungsdirektor Urs Wüthrich-Pelloli vor der Abstimmung versichert habe, dass genügend Mittel für die Umstellung auf HarmoS zur Verfügung stünden, stelle sich nun heraus, dass die Weiterbildungen für die Primarlehrerinnen und -lehrer mit unbezahltem Mehraufwand verbunden seien. Zudem vermittle ein Blick über die Kantonsgrenzen hinaus den Eindruck, dass die Schulsysteme der Kantone mit Ausnahme der beiden Basel seit den Anfängen von HarmoS weiter auseinandergedriftet seien als je zuvor.
Der neue Lehrplan lasse zu wenig Spielraum
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Lehrplan 21 wenig Spielraum für die individuelle Gestaltung des Unterrichts lässt. Der neue Lehrplan würde die Lehrpersonen zu stark kontrollieren und somit ihre Kreativität ausbremsen. Das Forum Allgemeinbildung FACH schreibt dazu auf seiner Website: «Wir setzen auf Lehrfreiheit und Methodenfreiheit im Rahmen der bestehenden Lehrpläne, damit Lehrerinnen und Lehrer weiterhin persönliche und fassbare Vorbilder sein können.»
Trotz dieser negativen Bilanz für HarmoS betont Weiss, dass viele Lehrpersonen sich noch keine endgültige Meinung gebildet hätten: «Die Beteiligung der LVB-Mitglieder an der Umfrage war ziemlich tief, trotz der Brisanz des Themas.» Viele seien einem Austritt gegenüber skeptisch, weil bereits viel Geld, Zeit und Energie für Harmos aufgebracht wurde.
Diesbezüglich kann der LVB entwarnen: Die bereits beschlossenen und bewährten Anpassungen würden auch bei einem Austritt beibehalten werden, etwa die Umstellung der Schulstruktur, oder die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts.
Der LVB hat Harmos noch nicht ganz begraben
Doch obwohl Michael Weiss im Namen des LVB die negativen Folgen eines Harmos-Austritts kleinredet und die positiven Auswirkungen grossschreibt, scheint er weiterhin auf eine flexiblere Auslegung des Konkordats zu pochen: Das Harmos-Konkordat sollte laut Weiss dort wieder verbindlicher werden, wo dies nötig sei, um die Mobilitätshindernisse wie versprochen auszumerzen. In anderen Punkten hingegen plädiert der LVB für eine weniger restriktive Auslegung des neuen Lehrplans.
Weiss sagt: «Die Tür zu Harmos ist für uns immer noch einen Spalt weit offen. Meine Hoffnung ist, dass noch vor der Abstimmung über den Austritt die Erziehungsdirektorenkonferenz erkennt, dass es an der Zeit ist, die Bedenken der HarmoS-Skeptiker ernst zu nehmen und zur Rettung der Schulharmonisierung auch Kompromisse einzugehen.»
Zumindest in einem Punkt scheinen sich die unterschiedlichen Akteure einig zu sein: Eine Harmonisierung des Schulwesens ist eine überzeugende Idee. Einzig, wer genau was unter dieser Harmonisierung versteht, bleibt nach wie vor schwammig.