Eindringliche Formen

«Form Follows Function» heisst ein Grundsatz des Produktedesigns. Gilt das auch für Waffen und Sextoys? Danach fragt die Ausstellung «Redplot».

Drei Personenminen, ein Lustgerät. (Bild: Nils Fisch)

«Form Follows Function» heisst ein Grundsatz des Produktedesigns. Gilt das auch für Waffen und Sextoys? Danach fragt die Ausstellung «Redplot».

Sex und Gewalt können einiges gemeinsam haben. In beiden Fällen kann Machtausübung eine Rolle spielen. Wer mächtig ist, gilt als potent. Dass es folglich Analogien zwischen Sextoys und Waffen gibt, erstaunt nicht. Die Ausstellung «Redplot» macht sich im Ausstellungsraum der Schule für Gestaltung gerade auf die Suche nach diesen Ähnlichkeiten – und konfrontiert uns nicht nur mit Kuriositäten wie einem Masturbator in Form einer Handgranate oder einem als Cupcake getarnten Vibrator, sondern auch mit unseren Bedürfnissen und Ängsten.

Im Interview erklärt die Kuratorin der Ausstellung «Redplot», Alexandra Schüssler, was die Herausforderungen bei der Bearbeitung des Themas waren:
«Ich wollte 08/15 bleiben»

Am Anfang von «Redplot» stand jedoch eine andere Frage, jene nach dem Design: Ist der Grundsatz des Produktedesigns, «Form Follows Function», bei Waffen und Lovetoys auch anwendbar? Das wollte Kuratorin Alexandra Schüssler wissen. Und muss nach ihrer Feldforschung antworten: nein, nicht immer. In manchen Fällen scheint die Ästhetik des Produktes die Funktion zu überdecken.

Zum Cupcake-Vibrator greifen sicher wenige wegen seiner Zweckmäs­sigkeit – wahrscheinlich taugt das rosa Ding eher zum scherzhaften Geschenk, das schliesslich unbeachtet in einer Schublade landet. Doch ist das mit Sextoys nicht ohnehin so, dass sie möglichst im Geheimen behalten werden und nicht jedem Besucher auf dem Tablett serviert? Dass ein Sammler seine Waffensammlung präsentiert, selbst wenn sie im Normalfall vor den Händen Unbefugter geschützt im verschlossenen Schrank liegt, ist schon eher vorstellbar.

Betrachtet man die beiden für diese Ausstellung gewählten Objektkategorien im alltäglichen Gebrauch, so offenbaren sich zunächst einmal grosse Unterschiede. Man darf sich denn auch ungeniert fragen, ob die Paarung überhaupt Sinn macht.

Es muss passen

«Waffen sind letzten Endes Maschinen», sagt Hanspeter Beierer, Inhaber des gleichnamigen Waffengeschäftes an der Basler Schneidergasse. Für viele sind sie ein Berufs- oder Sportinstrument. Für diese überwiegt in der Wahl der richtigen Waffe ihre Funktionalität. Beierer zieht den Vergleich zum Schuhkauf: «Die Waffe muss ­sitzen. Man sucht, was passt.» Sprich: Sie muss gut in der Hand liegen, angenehm zu tragen sein und ihren Zweck erfüllen. Ästhetische Kriterien sind weniger wichtig.

Bei einem Waffensammler wiederum erhalten diese vielleicht mehr Gewicht. Doch selbst diese interessierten sich meist eher für die Technik, die dahintersteckt, sagt Beierer. «Dass jemand einen ästhetischen Anspruch an eine Waffe hat, ist die Ausnahme.» Zu diesen gehört der Scheich, der für seine Leibgarde eine Maschinenpistole mit einer Dekoration aus 24 Karat Gold massanfertigen liess, die man nun in «Redplot» bewundern kann.

Frauen mögen keine Dildos in Penisform.

Doch Otto Normalverbraucher? Grundsätzlich seien Waffen in ihrer Gestaltung in den letzten Jahrzehnten gleich geblieben, erklärt Beierer. Hierin unterscheiden sie sich von den Lovetoys, deren Design sich täglich verändert. Ein Trend, der auszumachen ist, ist jener hin zu mehr Unauffälligkeit: Vibratoren werden als Feigenblätter getarnt, die auch als Dekoobjekte durchgehen könnten, oder sie erhalten Form und Aussehen einer überdimensionierten Zuckermandel. Beides lässt sich ohne Problem ins Schlafzimmerregal stellen, doch wie funktionstauglich diese Dinger tatsächlich sind, sei dahingestellt.

Etwas für jede Phantasie

Klassische Formen verkaufen sich laut Erica Schoenauer, die seit 15 Jahren ihren Laden «Erica’s Erotic-Shop» an der Missionsstrasse führt, immer noch am besten – also phallusförmige Vibratoren. Hingegen mögen Frauen keine Dildos in Penisform, wie sie ­erzählt – auch wenn der Durchschnittsdildo genau das ist: ein Silikonpenis-Abguss mit dem Namen «Average Joe» (Durchschnitts-Typ). Dieser wurde «Redplot»-Kuratorin Alexandra Schüssler in einem Sexshop ausgehändigt, als sie nach einem 08/15-Dildo fragte. Es gibt ihn in verschiedenen Ausführungen, mit Namen – und Beruf: sei es Darnell, der Fitnesstrainer, oder Miguel, der Barkeeper. Etwas für jeden Geschmack, für jede Phantasie.

Erstaunlich oft ist kaum ersichtlich, was Waffe, was Sexspielzeug ist.

Doch die Frauen haben es gern ­weniger plakativ, meint Schoenauer: «Am meisten verkaufe ich die gläsernen Dildos. Diese sind auch sehr unauffällig, da ist es egal, wenn sie mal auf dem Nachttisch liegengelassen werden.» Und grundsätzlich ginge es ja vor allem darum, etwas den Bedürfnissen Entsprechendes zu finden – wie bei den Waffen auch.
Passen mussten auch die Objekte in der Ausstellung. So fallen beim Besuch schnell Formanalogien auf – die Exponate sind bewusst gruppiert: elegante metallene Dildos neben Patronenhülsen in allen Grössen. Hölzerne Kampftrainingsdolche neben Holzdildos. Manche Ähnlichkeiten wiederum sieht man erst auf den zweiten Blick, ja, erstaunlich oft ist kaum ersichtlich, was Waffe, was Sexspielzeug ist. So gross scheinen die Unterschiede also doch nicht zu sein. Nur zeigen sich die Gemeinsamkeiten vielleicht weniger im alltäglichen Gebrauch als vielmehr auf einer anderen Ebene.

Der menschliche Körper, er steht im Zentrum der Funktion all dieser Objekte, dieser Produkte. Die einen zielen darauf, ihm Lust zu bereiten –bis hin zum «kleinen Tod». Die anderen, ihn zu verletzen. Meist liegt dazwischen eine feine, wenn auch bedeutende Grenze.

Triebgesteuert

Beide Produktgruppen und die damit verbundenen Tätigkeiten werfen Fragen nach Stimulation, nach Impuls und (Selbst-)Kontrolle auf. Beiden liegt ein menschlicher Trieb zugrunde. «Eros» und «Thanatos» hat Sigmund Freud sie genannt – Lebenstrieb und Todestrieb. Die beiden Triebe sind bei Freud untrennbar miteinander verbunden. Sie gehen eine Vermischung ein, etwa indem zu einer gesunden sexuellen Beziehung (laut Freud) immer eine aggressive Beimischung gehört.

Der Todestrieb kann in Destruktion umschlagen, wenn er sich gegen andere richtet – oder aber im Gegenteil lebenser­haltend wirken. Diese Dualität tragen Waffen in sich: Sie werden im Extremfall eingesetzt, um das eigene Leben zu schützen, indem man ein anderes zerstört.

Alexandra Schüssler ist sich der Dualitäten bewusst: Sie nennt ihre Ausstellung «janusköpfig», in Anlehnung an den römischen Gott des ­Anfangs und des Endes, den Gott mit den zwei Gesichtern. Man kann dies auf die Gegenüberstellung von öffentlichem und privatem Bild beziehen. Oder eben nur auf die Waffen. Aber natürlich vor allem auf die Konfrontation von Waffen und Lovetoys – diese klingt zuallererst plakativ: zwei Sensation und Kontroverse heraufbeschwörende ­Materien, scheinbar so gegensätzlich. Und dabei so verwandt.

«Redplot», Ausstellungsraum der Schule für Gestaltung, Spalenvorstadt 2. Bis 10. Januar 2014.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 08.11.13

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