Tomas Schweigens Installation von John Gays «The Beggar’s Opera» für seine «Far a Day Cage»-Truppe ist inhaltlich irgendwo zwischen Lo-Fi-Kino, Multimedia-Experiment und Schauspiel-Farce anzusiedeln. Das ist formal bestechend, ganz erfrischend anzusehen, aber inhaltlich etwas gar belanglos.
Ideen haben diese «Far a Day Cage»-Leute! Faszinierende Ideen, das muss man ihnen lassen. Und sie können etwas! Das Ganze ist formal absolut verblüffend, technisch brilliant umgesetzt und vom Ansatz her höchst originell und noch nie vorher so gesehen. Daran gibt es ganz und gar nichts zu rütteln. Das ist dann auch ganz vergnüglich anzuschauen. Bis zu einem gewissen Punkt zumindest. Bis man sich zu fragen beginnt, was einem dieses Theater eigentlich zu sagen hat.
Doch wir wollen zuerst mal versuchen nachzuerzählen, wie sich das Ganze präsentiert. Das ist gar nicht so einfach. Aber die Eingangserklärung der beiden Bühnenbildner (Stephan Weber und Demian Wohler), als Schwarzweiss-Film auf die grosse Kino-Leinwand gebannt, bietet schon einmal einen Ansatz hierfür. Apropos Kino: Das ganze Schaupielhaus trägt ein Kino-Kostüm: mit Stofftapetenbändern sowie 1950er-Leuchtern an den Wänden und der Decke.
Das geteilte Bild
Aber zurück zu den Bühnenbildern. Sie erzählen, dass sie sich nicht auf ein Bild einigen können und deshalb jeder sein eigenes kreiert. Nebeneinander. Aber weil es sich um einen Film handelt, zumal um einen, der nicht durch gestochene Tiefenschärfe brilliert, ist dieses geteilte Bild nicht als solches erkennbar. Das liegt letztlich daran, dass die beiden Filme so ineinander verwoben werden, dass sich das geteilte Bild zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügt.
Verstanden, wie das funktioniert? Haben wir im Zuschauerraum auch noch nicht so richtig, denn zuerst geht es mal nur als Schwarzweissfilm los. Zu sehen ist John Gays «The Beggar’s Opera», eine arme Oper, die eine Halbweltszenerie zum Inhalt hat. Am besten nachzuvolziehen ist das, wenn man erklärt, das dieses Musiktheaterstück aus dem 18. Jahrhundert als Vorlage für die «Dreigroschenoper» von Brecht/Weill gedient hatte. Doch um Inhalt geht geht es an diesem Abend eigentlich weniger. Zumindest wird er, wird die Geschichte und ihre womögliche Ausage vom Formalen in den Hintergrund gedrängt.
Lo-Fi-Multimedia-Spielerei
Wir sehen nun also einen Schwarzweissfilm als eine Art Film-noir-Parodie. Natürlich merkt man ein bisschen, dass das Bild zusammengestzt ist. Auch dass die Schauspieler synchronisiert sind, erstens, weil bei einem der Männer (Jessie Inman) die Stimme doch ziemlich weiblich klingt und beim andern (Silvester von Hösslin) die Lippenbewegungen manchmal nicht ganz mit dem Gesprochenen übereinstimmen. Und vielleicht ahnt man auch bereits ein wenig, dass hier nicht einfach ein Film abgespielt wird, sondern dass dies alles live gespielt, aufgenommen und projiziert wird. Und dass auch die Filmmusik nicht von Band kommt.
Dem ist tatsächlich so. Denn nach einiger Zeit werden alle Schauspielerinnen und Schauspieler (neben den bereits erwähnten sind dies: Philippe Graff, Vera von Gunten und Mareike Sedl) aus der Unterbühne an die Oberfläche hochgefahren. Samt Hightech-Kameras und Lowe-Tech-Mobiliar. Und es beginnt eine zweite Phase, die man als «The Making of» bezeichnen könnte. Zu bestaunen ist, wie das scheinbar verzettelte Spiel von zwei parallel verlaufenden Live-Aufnahmen, wie sich die Live-Synchronisation von stumm die Lippen bewegenden Schauspielern, wie sich die Live-Musik und auf höchst originelle Weile erzeugte Geräusche auf der Leinwand darüber zu einem präzis abgestimmten Gesamtbild zusammenfügen.
Formal bestechend
Das bringt einen zum Staunen, und man denkt: «Wow, dass dies funktioniert». Die spielerische Präzision (oder Präzision im Spiel), der Ideenreichtum, die Originalität sind faszinierend. Das ist so einnehmend, dass das, was eigentlich inhaltlich gespielt wird, so ziemlich verloren geht. Irgendwie geht es um Gangstertum, um Verrat, Bestechung und Kopfgeldgeschäfte, soviel sieht man (Kostüme: Anne Buffetrille), bekommt man natürlich mit. Um «The Beggar’s Opera» eben. Wenn man nun aber einen Blick ins Programheft wirft, dann scheint es Regisseur Tomas Schweigen um noch viel mehr gegangen zu sein. «Sieht man noch genauer hin, dann erkennt man in diesem nun beinahe 300 Jahre alten Stoff durchaus auch Fragestellungen und Überschriften, die man mühelos aktuellen Debatten um Sharing-Strategien, Umverteilung, Grundeinkommen voranstellen könnte.»
Das haben wir nicht wirklich erkannt. Vielleicht liegt es an der spektakulären Oberfläche, dass uns dieses genauere Hinblicken hinter die Fassade der Form verwehrt blieb. Eine Dreiviertelstunde schauen wir dem verblüffend konstruierten und amüsanten Treiben ganz gerne zu. Doch irgendwann hat man das Prinzip verstanden, und man beginnt sich mit der Frage auseinander zu setzen, was uns dieses Theater inhaltlich zu erzählen hat – eine Frage, die unbeantwortet bleibt. Einem grösseren Teil des Publikums scheint dies indes nicht allzu sehr gestört zu haben. Der Applaus nach fünf Viertelstunden Spiel war herzlich.
«The Beggar’s Opera»
nach John Gay
Regie: Tomas Schweigen, Raum: Stephan Weber, Video: Demian Wohler, Kostüme: Anne Buffetrille, Musikalische Leitung: Martin Gantenbein
Mit: Philippe Graff, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Jesse Inman, Mareike Sedl, Stephan Weber, Demian Wohler
Schauspielhaus, Theater Basel
Die nächsten Vorstellungen: 19.10., 1.11., 5.11., 12.11. und 22.11.2013