Eine Nacht im Buchladen

Matthyas Jenny, Basels berühmter Bewahrer der Literatur, lanciert etwas einmaliges in der Schweiz: In seiner Buchhandlung Bachletten kann man eine Nacht verbringen und dabei in allen Büchern schmökern. Wir haben dieses Projekt vorab ausprobiert und zwischen Buchdeckeln übernachtet.

Hoteltest der anderen Art: Nachts in der Buchhandlung. (Bild: Nils Fisch)

Matthyas Jenny, Basels berühmter Bewahrer der Literatur, lanciert etwas einmaliges in der Schweiz: In seiner Buchhandlung Bachletten kann man eine Nacht verbringen und dabei in allen Büchern schmökern. Wir haben dieses Projekt vorab ausprobiert und zwischen Buchdeckeln übernachtet.

Montag, 30. Juli, 19 Uhr: In der Buchhandlung Bachletten herrscht Chaos. Bücher liegen herum, stapeln sich am Boden, türmen sich zu Papierfestungen. Inmitten des Ladens, umgeben von Buchbergen, liegt eine Matratze inklusive Kopfkissen für mich bereit. «Hier werden Sie schlafen», erklärt mein Gastgeber, der mich freundlich empfängt.

Matthyas Jenny trägt ein weisses Hemd, schwarze Hosen und unablässig eine Kippe zwischen den Lippen. Ausser er hält sich im Laden auf, dort ist Rauchen verboten. Die Buchhandlung grenzt an seine Wohnung, in der sich Küche, Bad, Arbeits- und Schlafzimmer befinden. Die Zimmer sind vollgestopft mit Ordnern, Dossiers, Papieren – und natürlich Büchern. Wir gehen auf den Balkon, Jenny offeriert mir einen Schaumwein, «Henkell trocken». Wenn ich eine Buchhandlung betrete, stelle ich mich in Sachen Alkohol eher auf Rotwein ein, aber wir wollen mal nicht so sein. Wir sitzen auf dem Balkon, rauchen und lauschen der Umgebung. «Nachts kann man manchmal die Löwen vom Zoo drüben brüllen hören», sagt Matthyas Jenny.

Wir reden über unsere Arbeit und Familien. Dann erzählt mir Jenny von der Bäckerei, die man schräg gegenüber sieht. Nietzsche habe darin gewohnt, damals. Bald schon schwelgt Jenny, der Erfinder des «Tages der Poesie», in Erinnerungen an die 70er-Jahre, als der Mann auf der Strasse noch als «Sauhund» tituliert wurde, weil er lange Haare trug. Die Musik war auch anders. Zumindest gab es sie nur auf Schallplatte. Matthyas Jenny holt eine Papiertüte mit alten LPs aus dem Keller und zeigt sie mir mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut. Darunter befinden sich längst vergessene Namen wie Erroll Garner oder Mikis Theodorakis.

Magie, Stille und ein bisschen Schaudern

Es wird spät, nur mit Mühe kann ich mich von der interessanten und herzlichen Persönlichkeit Jennys nach drei Stunden losreissen, um endlich in dessen Literatursammlung zu wühlen. Ich betrachte die Bücherregale im Laden und lese Namen wie Friedrich Dürrenmatt und Glauser, Michael Theurillat und Martin Suter. Anscheinend stehe ich vor der Sammlung schweizerischer Literatur. Ich schlurfe weiter umher, viele moderne Bücher präsentieren sich mir, ich ziehe wahllos einige hervor. «Die Dynamik des Tötens» von Michaela Christ. Kenne ich nicht, langweilt mich. «Mach sie fertig» von Jens Lapidas. Der Titel klingt spannend, der Klappentext nicht. Ich ziehe ein neues heraus, «Der Golem». Kenne ich endlich. Liest sich so, wie man sich «2001: Odyssee im Weltraum» ansieht: geflasht und mit dem dumpfen Gewissen, nichts kapiert zu haben.

Irgendwie will bei mir keine heimelige Lesestimmung aufkommen, dazu ist das kalte Licht der Deckenlampen zu gleissend und grell. Also schalte ich die Lichter bis auf eines aus, und schon breitet sich Dunkelheit im Raum aus, verspricht Magie, Stille und ein bisschen Schaudern. Im Halbdunkel suche ich weiter nach literarischen Schätzen und stosse auf ein Buch über Piraten. Mit dieser Beute unter dem Arm lege ich mich auf mein Bettlager und lese im Schein der Tischlampe über die Plünderungen berühmter Seeteufel wie Störtebeker oder Blackbeard.

Zwischen Büchern schlafen legen

Nach einer Weile, es dürfte Mitternacht sein, werde ich todmüde und lege mich schlafen. In der Nacht höre ich jemanden leise an die mit Vorhängen verhüllten Schaufenster des Buchladens klopfen. Mein Herz klopft lauter, doch meine Glieder sind zu gelähmt um aufzustehen und nachzusehen, wer draussen auf der Strasse sein könnte. Das Klopfen wiederholt sich nicht mehr, und ich versuche wieder einzuschlafen.

Später, in tief finstrer Nacht, dreht sich ein Schlüssel im Schloss und die Ladentüre wird aufgestossen. Ein Mann tritt leise ein. Doch ich wurde von Jenny vorgewarnt, es komme um 4 Uhr morgens der Buchhändler um neue Bücher zu bringen. Ich stelle mich also schlafend, um nicht Gefahr zu laufen, ein nächtliches Gespräch mit dem Bücherlieferanten führen zu müssen. Er stellt die Kiste mit der neuen Ware ab und entschwindet in die Nacht. Wieder versuche ich einzuschlafen.

Um 7 Uhr klingelt der Wecker. Durch die weissen Vorhänge schimmert das Tageslicht. Matthyas Jenny ist bereits wach. Ich geselle mich zu ihm und wir trinken zusammen Kaffee und rauchen Zigaretten. Er bietet mir Gipfeli und Konfi an und ich greife herzhaft zu. Während ich kaue, frage ich ihn, ob er wie angekündigt im Keller auf der Couch geschlafen habe. «Nein, ich habe in der oberen Wohnung geschlafen, in der ich und meine inzwischen verstorbene Frau gelebt haben. Ich habe seit fünf Jahren nicht mehr dort oben geschlafen», sagt Jenny und schaut dabei in die Ferne, während sein Gesicht einen traurigen Ausdruck annimmt. Ich habe keinen Hunger mehr.

Jenny fasst sich wieder, und wir plaudern wie gestern Abend über dies und jenes. Dann wird es Zeit für mich zu gehen, die Buchhandlung öffnet bald, das Tagesgeschäft wartet. Zum Abschied schenkt mir Matthyas Jenny einen Stoss Bücher von seinem ehemaligen Verlag «Nachtmaschine». Er begleitet mich zur Tür, wo wir uns die Hand geben und verabschieden. Auch wenn ich die Löwen vom Basler Zoo nicht brüllen gehört habe, war es eine an- und aufregende Nacht. Sehr zur Nachahmung empfohlen.

Für eine Nacht in der «Hotel-Buchhandlung Bachletten» kann man sich bei Matthyas Jenny auf Facebook oder unter der Nummer +41 61 281 8133 anmelden. Die Übernachtungsmöglichkeit besteht nur an Abenden vor Feiertagen und ist beim Kauf von Büchern gratis, ansonsten kostet sie 80.- pro Person.

 

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