Eine Wandmalerei, die Körpereinsatz fordert

Im Gundeli hat die Künstlerin Clare Kenny eine Hausfassade neu gestaltet: Die Wandmalerei eröffnet neue Blickwinkel auf einen relativ schmucklosen Strassenzug – sofern man bereit ist, sich zu verbiegen.

Das Blau des Himmels, das Weiss der Häuser und das Orange der Sonnenstoren: Clare Kennys Wandmalerei im Gundeli.

(Bild: Karen N. Gerig)

Manchmal braucht es Zufälle im Leben. Bei Clare Kenny war es der, dass sie durch die Zeitschrift «Kunstbulletin» von einer Wettbewerbsausschreibung des Kunstkredits Basel-Stadt erfuhr. «Logischer wäre gewesen, wenn ich direkt via Kunstkredit davon erfahren hätte. Schliesslich guckt man dort als Künstlerin in Basel immer wieder nach Ausschreibungen», sagt sie und lacht. Drei Tage blieben ihr noch, nachdem sie das Inserat gesehen hatte, um ein Projekt einzureichen. Eines, das untypisch für sie war – und mit dem sie am Schluss den Wettbewerb gewann.
Jetzt ziert ihr Werk «Site Unseen» eine Hauswand an der Ecke Gundeldingerstrasse und Achilles Bischoff-Strasse und kann von jedermann betrachtet werden: Eine Wandmalerei in den Tönen Weiss, Blau und Orange.

Einen Tag vor der offiziellen Eröffnung stehen wir davor, und unsere Haltung erinnert an Bananen: Beide stark nach rechts geneigt. Der Grund liegt darin, dass nicht im ersten Moment klar wird, was hier zu sehen ist. Also erklärt die britische Künstlerin, die seit neun Jahren in Basel lebt, ihr Vorgehen.

Eine Collage aus verschiedenen Fotos

Clare Kenny arbeitet sonst im kleineren Format, meist ausgehend von eigenen und fremden Fotografien, die sie in andere Medien übersetzt. Das hat sie auch in dieser Arbeit getan: Nachdem sie die erste Runde des Wettbewerbs (für die sie eine alte Arbeit eingegeben hatte) überstanden hatte, machte sie sich mit ihrer Kamera auf in die Umgebung. Diese besteht hauptsächlich aus Wohnblöcken. Weisse und graue Gebäude mit rechten Winkeln, relativ schmucklos, so wie die Wand, die es zu gestalten galt.

Zurück im Atelier nahm Kenny die Fotos und collagierte daraus ein neues Bild. Blauer Himmel, ein paar Wölkchen, Hausecken, ein Lüftungsschacht und das Orange der Sonnenstoren als Farbtupfer. Viele Einzelbilder setzen sich zu einem Ganzen zusammen, Dreidimensionalität wechselt sich mit Flächen ab.

Architektonische Versatzstücke, neu zusammengefügt.
Architektonische Versatzstücke, neu zusammengefügt. (Bild: Karen N. Gerig)

Mit dem so entstandenen Bild bewarb sie sich für die zweite, entscheidende Runde. Dort lobte die Jury ihren Projektvorschlag «für seine Farbigkeit, Frische und künstlerische Qualität» und sprach im Januar 35’000 Franken für die Ausführung.

Ein Gerüst mit neun Treppen

Kenny machte sich an die Umsetzung, suchte und fand gleich um die Ecke ein Malerbüro, das das Bemalen der Wand für sie übernahm – «zum Glück, denn ich habe Höhenangst!». Neun Treppen hoch sei das Gerüst gewesen, und der ewige Regen der vergangenen Wochen habe der Sache auch nicht wirklich geholfen. «Es gab Zeiten, da dachte ich, es wird nie fertig», sagt Kenny.

Doch es wurde fertig und kann nun eingeweiht werden. Gespannt ist die Künstlerin vor allem auf die Reaktionen der Anwohner. «Die Quartierbevölkerung wurde zwar in das Wettbewerbsverfahren involviert», sagt sie. «Aber man weiss ja trotzdem nie.»

Mindestens fünf Jahre lang soll das Kunstwerk an seinem Ort verbleiben. Vielleicht werden also noch mehr Leute in Bananenstellung davor verharren, herauszufinden versuchen, welche Ecke des Bildes zu welchem Gebäude gehört, und so den Blick auf eine sonst so alltägliche Umgebung schärfen.

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Vernissage «Site Unseen», Donnerstag, 23. Juni 2016, 18 bis 20 Uhr, Ecke Gundeldingerstrasse 311/Achilles Bischoff-Strasse.

>> Wer mehr über Clare Kenny erfahren will – wir haben die Künstlerin vor anderthalb Jahren porträtiert: «Eine Meisterin der Täuschung»

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