Einfach nur stark – Marlene Dumas in der Fondation Beyeler

«The Image as Burden» – «Das Bild als Bürde» heisst die Marlene Dumas-Ausstellung in der Fondation Beyeler, analog zu einem ihrer Bildtitel. Doch die Schau ist alles andere als das: Sie schafft es, dass man sich in die Malerei verliebt.

«Auf der Suche nach dem perfekten Liebhaber», eine Werkserie von Marlene Dumas in der Fondation Beyeler. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

«The Image as Burden» – «Das Bild als Bürde» heisst die Marlene Dumas-Ausstellung in der Fondation Beyeler, analog zu einem ihrer Bildtitel. Doch die Schau ist alles andere als das: Sie schafft es, dass man sich in die Malerei verliebt.

Man könne bei Marlene Dumas‘ Kunst über so viele unterschiedliche Aspekte reden, sagte Sam Keller, der Direktor der Fondation Beyeler, beim Vorstellen der neuesten Schau in seinem Haus. Man könne sie anekdotisch lesen, psychologisch, feministisch, politisch, auf ihre Biografie bezogen, aber auch stilistisch oder maltechnisch. Man kann.

Eigentlich aber muss man einfach schauen. Denn dann ergibt sich alles von selbst.

Und schauen, das tut man. Schon bevor man die Ausstellung betritt, blickt einem dieses nackte Kind entgegen. Seine Augen fallen zuerst auf – dunkle Ovale. Dann die Hände, eine blutrot, die andere bläulich-rot und dunkel. Es hat etwas Erschreckendes aus der Distanz, was so gar nicht zu dem rundlich-empfindlichen Kindskörper passen mag.

«The Painter» heisst das Werk von Marlene Dumas, das ihre dreijährige Tochter zeigt und über das schon so viel geschrieben wurde, dass man denkt, man müsse nicht auch noch etwas dazu sagen. Bis man es sieht und sich davon in Bann nehmen lässt.



Die Künstlerin und ihr Bild «The Painter».

Die Künstlerin und ihr Bild «The Painter». (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Beim Nähertreten zeigt sich, dass die Augen gar nicht so bedrohlich sind. Es ist der typische Blick einer Dreijährigen, die unverhohlen und unverstellt zeigt, dass ihr etwas nicht in den Kram passt. Trotzig. Dennoch irritiert das Bild. Die Füsse, die im Nichts enden. Der bläulich verfärbte Bauch, die grünlichen Haare. Überhaupt die kalte Farbigkeit des Gemäldes, die keine Reproduktion exakt wiedergeben kann. So funktioniert nur im Originalwerk der starke Kontrast zwischen der kalten Atmosphäre und dem warmen Blutrot der linken Hand wirklich gut. Erschreckend gut.

Selten mag man den ersten Raum einer Ausstellung nur unwillig in Richtung des nächsten verlassen, weil man denkt, man habe den Höhepunkt bereits gesehen. Zum Glück gibt es bei Marlene Dumas derer viele. Fast 40 Schaffensjahre bildet die Schau in der Fondation Beyeler in ihrer Vielfalt ab, unzählige Werke sind vertreten – soviele, dass der grosse Saal zu kleineren Räumen umgebaut werden musste. Und so ist es, wie die Künstlerin selber sagt: Manche Bilder werden einen mehr, andere weniger anziehen.

Letztere auszusortieren jedoch fällt schwer. Denn vor den Werken von Marlene Dumas kann man sich wieder in die Malerei verlieben.



Die Augen, die Augen: «Waterproof Mascara» von 2008.

Die Augen, die Augen: «Waterproof Mascara» von 2008. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Da sind Farbverläufe, bei denen nicht mehr wirklich nachvollziehbar ist, wie sie zustande kamen – zum Beispiel im fast in einer Ecke versteckten «Lovesick», wo die gesamte linke Seite des Bildes in ein dunkles Grün-Blau getaucht ist, das zu schillern und sich in die Unendlichkeit fortzusetzen scheint.

Da sind die Augen, immer wieder die Augen, die so gut zeigen, was Dumas einst mit «Was du nicht sehen kannst, musst du malen» beschrieb: Dunkle Fenster. Zur Seele? In einen Abgrund? Ins Nichts?

Da ist der Farbauftrag, der mal nur wie ein Hauch auf der Leinwand liegt, mal dicker aufgetragen ist, wo nötig.

Da ist die Serie von weinenden Menschen, gemalt anlässlich des Todes der Mutter, darunter das fabelhafte «For Whom the Bells Tolls».



«For Whom the Bell Tolls» – eine weinende Frau.

«For Whom the Bell Tolls» – eine weinende Frau. (Bild: Peter Cox, © 2015, ProLitteris)

Da sind die unzähligen Tuschezeichnungen auf Papier. Grossartige Köpfe, die in ihrer Schiefheit so unecht erscheinen, was durch den eindringlichen und lebendigen Ausdruck der Augen wieder mehr als wettgemacht wird. Überlebensgrosse Körper, liegend, tot, die sich in den unendlichen Grund des Papiers hineingesogen zu haben scheinen.

Und da sind die sechs Magdalenen-Bilder – bis zu drei Meter grosse Frauenfiguren, die uns selbstbewusst von ihren schwarzen Leinwandgründen in die Augen blicken und die ausser ihrem Titel so gar nichts mit der Lieblichkeit ihres biblischen Vorbildes gemein haben.

Überlebensgross: Zwei der Magdalenen-Bilder.

Überlebensgross: Zwei der Magdalenen-Bilder. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Marlene Dumas‘ Kunst bedeutet Konfrontation. Mit den Figuren. Mit dem Medium der Malerei. Und nicht zuletzt auch mit sich selbst. Denn es sind Menschen, die sie darstellt. In ihrer Menschlichkeit, in ihrer Verletzlichkeit. Kämpferisch, traurig, versehrt, voller Emotionen – doch nur selten glücklich.

Und trotzdem bedeutet es nichts als Freude, diese Menschen anzusehen.

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«Marlene Dumas – The Image as Burden», Fondation Beyeler, 31. Mai bis 6. September 2015. Wer kann, der sollte sich am 14. August (18.30 Uhr) den Vortrag der Künstlerin anhören gehen – nur schon ihre Stimme ist den Besuch wert.

Marlene Dumas, die Malerin
1953 in Kapstadt / Südafrika geboren, wanderte Marlene Dumas mit 23 Jahren nach Amsterdam aus, wo sie bis heute lebt. Die Apartheid – der Konflikt zwischen Schwarz und Weiss –, die sie an ihrem Geburtsort miterlebte, prägte ihre Arbeit, wurde jedoch nie zu ihrem Hauptthema. Stattdessen setzt sie sich bis heute mit der menschlichen Figur auseinander. Ihre Motive findet sie in Fotografien, Filmen oder anderen Dokumenten – sie malt nie nach dem lebenden Modell. Dumas gilt heute als eine der bedeutendesten und einflussreichsten Malerinnen.


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