Em Blues voruus

Nach zehn Jahren sind Züri West in die Kuppel zurückgekehrt: Beim ersten von zwei grossen Konzerten im kleinen Rahmen begeisterte die Band mit konzentrierter Spielfreude und guter Laune.

Warme Farben, warme Klänge unter dem Kuppeldach: Züri West.

Nach zehn Jahren sind Züri West in die Kuppel zurückgekehrt: Beim ersten von zwei grossen Konzerten im kleinen Rahmen begeisterte die Band mit konzentrierter Spielfreude und guter Laune.

«Jetzt geit’s mr wieder viu viu besser», singt Kuno Lauener zum Auftakt. Und diese ersten Worte, die er ans Publikum richtet, diese Anfangszeile aus dem herrlichen Stück «Blues» (vom legendären selbstbetitelten 94er-Album) ist durchaus symptomatisch zu verstehen: Züri West sind «em Blues voruus». Offenkundig nicht betupft darüber, dass die Kuppel nicht ganz ausverkauft ist (die Berner spielten heuer schon zweimal in Basel – in der Kasernen-Reithalle und am Summerstage Open Air).

Die zum Septett aufgestockte Live-Band ist gut gelaunt und in bester Spiellaune. Nah am Publikum. Wie schon vor zehn Jahren, als die Herren aus Bern zuletzt im intimen Rahmen der Kuppel auftraten. Wer damals dabei war, mag sich bis heute an ein grosses Konzert im kleinen Rahmen erinnern. Auch Kuno Lauener hat es nicht vergessen. In einer seiner unterhaltsamen Ansagen erwähnt er, wie ihnen damals gesagt wurde: «Kommt bald wieder, beim nächsten Mal spielt ihr im Kuppelneubau…» Und jetzt habe man nicht mehr länger warten wollen, sagt Lauener und lacht verschmitzt.

Von Vogelnestern und Gastmusikern

Es ist nicht die einzige Anekdote, mit der er ein familiäres Gefühl ins Nachtigallenwäldeli zaubert. Später erwähnt er, dass er seinerzeit mit Jacques Herzog in der Jury sass und die eingereichten Architekturprojekte für den Kuppel-Neubau begutachtete. Man entschied sich für den umgedrehten Brotkorb der Lost Architekten und ging danach ins Donati schlemmen. 2008 dann schaltete Lauener den Fernseher ein, um sich Olympia in Peking anzuschauen – und war baff erstaunt, als ihm die Parallelen zwischen dem Kuppel-Brotkorb und dem Vogelnest von Herzog & De Meuron auffielen. So ein Zufall aber auch! «Wir waren sozusagen Geburtshelfer des Olympiastadions», sagt Lauener – und entlockt gar Gitarrist Küse Fehlmann ein Lachen.

Die Stimmung ist entspannt, die Freude namentlich zwei Gastmusikern ins Gesicht geschrieben: Das Bläserduo, das sich Züri West erfreulicherweise leisten (Dionne Warwick, do you read me?!), strahlt immer wieder auf ansteckende Weise. Thomas Knuchel (Trompete und Flügelhorn) und Tino Horat (Posaune und Keyboards) haben Spass, dieser überträgt sich vom Schrägdach bis in die hinteren Reihen des Publikums. Sie sind nicht die einzigen neuen Gesichter auf der Göteborg-Tour: An Stelle von Jürg Schmidhauser zupft Tevfik Kuyas den Bass. Souverän und auf den Punkt mit Schlagzeuger Gert Stäuble, aber im Unterschied zu Schmidhauser (an dessen brillante Sololäufe wir uns gerne erinnern) auch unauffälliger.

Von Gitarre-Johnnys und Calexico-Trompeten

Dafür fällt ein anderer an den Saiten auf: Kuno Lauener greift sich ganz gerne mal ein Instrument und entlockt ihm ein Blues-Lick, schrammelt mit oder spielt – im Fall von «Fingt Ds Glück Eim», das er seinem Fussballclub, YB, widmet – auf einem E-Bass das Leitmotiv. Flankiert wird er von Küse Fehlmann und Tom Etter, die sich an der Leadgitarre abwechseln und auch mal gemeinsam eine gepflegte Wall of Sound errichten, so wie im aktuellen Albumopener «3027». Gepflegt, weil Züri West nichts dem Zufall überlassen, sich in den Instrumentalpassagen nie in Uferlosigkeit verlieren, sondern dem Popformat fast ausnahmslos die Treue halten. Ihre Klangkaskaden sind konstruiert und dosiert. Einen furioseren, enthemmten Ausbruch hätte man zwar auch mal begrüsst. Aber zwingend ist das nicht, weil die Band nie das Gefühl einer spannungsfreien Routine aufkommen lässt, sondern die Refrains mit leisen Chören im Hintergrund und gelegentlichen Bläsersätzen gekonnt anreichert. Es ist ein gelungener Seiltanz, den Züri West vollbringen. Ein Seiltanz, in dem neue Lieder wie «Gitarre-Johnny» auf der Bühne dazugewinnen, weil sich eine hypnotische Wirkung entfaltet und das Stück mit einer herrlichen Western-Trompete angereichert wird (holà Calexico!). Man hätte sich zwar frische Highlights wie «50 Wörter» oder «Bugguwau» gewünscht, man mag auch von der alternativen Uptempo-Version von «Haubi Songs» weniger angetan sein als vom 2008er-Titelstück. Aber diese kritischen Gedanken verflüchtigen sich, kaum sind sie uns durch den Kopf gefahren. Werden verdrängt von Glanzlichtern wie der tiefgründigen, neuen Ballade «När bring i wieder öpper um» oder der fantastischen Replik an die Adresse von Charlotte Gainsbourg («05:55»).

Schönheitsfehler: «Johnny & Mary» oder ein Cover zuviel

Keine Frage: Die Berner Band kann nach über 25 Jahren aus einem reichhaltigen Fundus grosser Mundartsongs schöpfen, sodass man ihr vielleicht das eine Cover zuviel vorwerfen mag (an diesem Donnerstag etwa «Johnny & Mary» von Robert Palmer selig, das als Zugabe serviert wird). Ein adaptiertes Dessert, das fade rüberkommt und nicht nötig wäre, wenn man bedenkt, wie viele starke Eigenkompositionen sich allein auf «Haubi Songs» fanden. «Johnny & Mary» ist auch fader als «I ha di gärn gha», mit dem sie in unserem Sprachraum die Originalversion von Prince längst vergessen gemacht haben.

Wenn wirs schon von den Covers haben: Unmittelbar nach Mani Matters 40. Todestag spielen Züri West den «Alpeflug», mit eingeschobenem Halftime-Teil in Form von «Cantaloupe Island», jenem Hancock-Klassiker, der damals, als sie «Alpeflug» erstmals neu interpretierten, in einer Version von US3 den Acid-Jazz populär machte. Jenen Acid-Jazz wiederum, den Dänu Boemle in der Kuppel jahrelang im Rahmen seiner Tanznächte auflegte.

Boemle, Carambole: Erinnerungen an unsere Jugendjahre

Vielleicht interpretieren wir jetzt zu viel hinein, aber die Einbettung von «Cantaloupe Island» in den «Alpeflug» liess sich durchaus als versteckte Hommage an Boemle verstehen, der vor 20 Jahren den «Matterrock»-Sampler initiiert hatte. Für jene, die es nicht wissen: Boemle, Berner Moderator und Musiker, hatte seinen Lebensmittelpunkt viele Jahre lang nach Basel, ins Gundeli verlagert. Vor fünf Jahren schied er nach langer Krankheit aus dem Leben. Danach versammelten sich Freunde hier in der Kuppel, um musikalisch und umgeben von seinen Bildern, Abschied zu nehmen.

Kuno widmete dem Berner Freund das vor Einsamkeit strotzende «Zimmerwaud» (2004) – eine der vergessenen Perlen, die die Band an diesem Abend auf die Bühne bringt und damit klarmacht, dass sie sich der Rolling-Stones-Taktik verweigert, ihr Set mit 25 Klassikern zu bestücken und auf Nummer sicher zu gehen. So fehlen «Mojito», «Toucher» oder «Hanspeter» in der Setliste, auch Klassiker aus ihren Anfangsjahren wie «Senne» oder «Fritig». Was nicht heisst, dass sie gänzlich resistent sind gegen Publikumswünsche. «7:7» wird mehrfach gefordert, zunächst winkt Kuno ab und wir denken uns: Klar, verständlich, wer spielt heute noch Carambole? Man muss die Vergangenheit auch mal hinter sich lassen können. Umso überraschender, als Gastmusiker Tino Horat im zweiten (oder wars der dritte?) Zugabenblock diese umwerfend schöne, poetische Ballade auf dem Keyboard anstimmt.

Fast schon entschuldigend sagt Lauener, dass die neue Formation 35 Lieder einstudiert habe und man daher nicht allen Wünschen entsprechen könne. Nichts für ungut. Niemand nahm an diesem Abend einen unerwünschten Blues mit nach Hause.

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