Kein Wölkchen trübt den heiteren Himmel über Hollywood, als die Nachricht wie ein Blitz einschlägt: Am 4. April 1968 wird der schwarze Pastor und Bürgerrechtler Martin Luther King erschossen. Der Amerikanische Traum stirbt am helllichten Tag.
Für James Baldwin (1924–1987) ist es ein Déjà-entendu: Der Autor ist im Begriff, das kurze Leben des nur drei Jahre zuvor ermordeten Malcolm X in eine drehbuchtaugliche Form zu bringen, als er am Telefon von dem Attentat erfährt. Wie Malcolm X hatte Baldwin auch Martin Luther King persönlich gekannt.
Jetzt sind die beiden einflussreichsten Exponenten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung tot – und James Baldwin kann nur noch versuchen, das Scheitern des Widerstandes als Zeitzeuge festzuhalten. 1979 beginnt er die Arbeit zu seinem Buch «Remember This House», das unvollendet bleiben wird.
Regisseur Raoul Peck («Der junge Karl Marx») nimmt dieses Fragment in seinem Dokumentarfilm «I Am Not Your Negro» als Grundlage für ein Porträt des schwarzen Intellektuellen, der anhand dreier ermordeter Freunde – darunter King und Malcolm X – die Geschichte der Schwarzen und damit der USA selbst erzählen will: «Es ist keine schöne Geschichte.»
Peck stellt eine Collage von Bild- und Tondokumenten zusammen, Fernsehaufnahmen und Spielfilmszenen, die Baldwin erwähnt, wenn er den Mangel an schwarzen Identifikationsfiguren thematisiert: Als Junge bewundert er den schiesswütigen Cowboy John Wayne, bis er sich in den misshandelten Rothäuten wiedererkennt.
Schwarzer Protest
Von den täglichen Anwürfen und Diskriminierungen zermürbt, flüchtet der schwarze Homosexuelle Anfang der Fünfzigerjahre aus dem New Yorker Ghetto nach Europa. Erst als die Schwarzen auf den Strassen protestieren, kehrt Baldwin in die USA zurück. Der Schriftsteller will diesen Aufstand selbst miterleben und -tragen: In Fernsehdebatten vertritt Baldwin eine Haltung, die in weissen Ohren befremdlich klingt: Der Rassismus ist euer eigenes Problem.
Baldwin verspürt keinen Hass auf Weisse, er stellt vielmehr fest, dass diese nicht im Reinen sind mit sich selbst und das zum Problem der Schwarzen machen: «Genau das, was die Weissen an den Negern (‹negros›) nicht verstehen, enthüllt, was sie an sich selbst nicht verstehen.» (hier gehts zum PDF)
Weisse Ignoranz
«I Am Not Your Negro» ist das erschreckend zeitlose Porträt eines schwarzen Intellektuellen, der seine Hoffnung auf die Überwindung der Gegensätze nicht aufgeben wollte, aber scharfe Worte fand für den moralischen Verfall, dem sich die weisse Bevölkerung durch ihre Ignoranz aussetzt.
Gesprochen werden Baldwins Gedanken von Samuel L. Jackson, der – von weissen Filmemachern – gerne für laute Rollen engagiert wird. Davon ist hier nichts zu hören, die Melancholie ist echt. Und wenn Raoul Peck aktuelle Bilder von Gewalt gegen Schwarze einblendet und US-Präsident Donald Trump gewisse «Unannehmlichkeiten» schönredet, ist das Grauen über die Geschichtsvergessenheit vollkommen.
«Ich bin kein Neger», erklärt Baldwin in Pecks Dokumentarfilm: «Die Weissen müssen sich vielmehr fragen, wozu sie den Neger überhaupt brauchen.» Baldwin gibt darauf eine Antwort: Für schwülstiges Kino wie «Guess Who’s Coming to Dinner» (1967) zum Beispiel, in dem eine weisse Frau ihren schwarzen Freund – gespielt von Baldwins Freund Sidney Poitier – mit nach Hause nimmt und ihrem Vater damit Gelegenheit gibt, moralische Überlegenheit zu demonstrieren.
Fünfzig Jahre später bringt der US-amerikanische Stand-up-Comedian Jordan Peele («Key & Peele») jetzt seine eigene Version von «Guess Who’s Coming to Dinner» ins Kino, und seine Empfehlung an den schwarzen Hauptdarsteller und Helden Chris (Daniel Kaluuya) steckt schon im Filmtitel drin: «Get Out», hau ab, bevor es zu spät ist. Denn diese Satire färbt ihren Humor so nachtschwarz, dass er sich kaum mehr vom Horror unterscheiden lässt.
Liberaler Rassismus
Wozu brauchen die Weissen den Neger bei Jordan Peele? Sie wollen ihm, in aller Höflichkeit, das Leben nehmen. Appropriation nennt sich die harmlosere Form dieser kulturellen Aneignung, die in der liberalen und angeblich post-rassistischen US-Mittelschicht grassiert. Gangsta-Rap und Twerking – Schwarzsein gilt als cooles Lifestyle-Accessoire, solange die Ohren und der Hintern weiss sind. Dahinter aber steckt dieselbe, als Unschuld kaschierte Gleichgültigkeit, die schon Baldwin kritisierte.
Kommt hinzu, dass Peele es mit der Aneignung ganz wörtlich meint. In «Get Out» fährt Chris mit seiner weissen Freundin aufs Land. Das Paar will Roses Eltern auf deren herrschaftlichem Anwesen besuchen. «Wissen deine Eltern, dass ich schwarz bin?», fragt Chris präventiv. «Wieso?», gibt sich Rose erstaunt, «es sind doch keine Rassisten.» Tatsächlich würde Roses Vater Barack Obama jederzeit wieder wählen, sagt er, und die schwarzen Bediensteten gehörten sozusagen mit zur Familie.
Sogar ein weisses US-Publikum ist begeistert, wenn sich der schwarze Held zur Wehr setzt.
Doch irgendetwas ist faul in diesem properen Südstaaten-Idyll. Roses Mutter verpasst Chris unaufgefordert eine Hypnosetherapie, um ihn vom Rauchen zu kurieren – angeblich nur zu seinem Besten. Aber der Zweifel nagt an Chris, und wie sich sein mühsam unterdrückter Argwohn zur Gewissheit über eine tödliche Bedrohung wandelt, ist ebenso clever inszeniert wie schockierend.
Gewaltlosigkeit werde nur dann bewundert, wenn Schwarze sie ausübten, schrieb Baldwin. Für die Fiktion in «Get Out» gilt das nicht. Die Vehemenz, mit der sich der schwarze Held zuletzt gegen seine Unterdrücker auflehnt, begeistert sogar ein weisses US-Publikum. Der Mainstream-Erfolg ist fast schon unheimlich, bestätigt aber James Baldwins Einschätzung: Der wahre Neger ist weiss.