Künstler Enrique Fontanilles wurde am 20. Juni auf dem Messeplatz verhaftet – kein Wunder, ist das sein kultureller Tiefpunkt im vergangenen Jahr. Da denkt er lieber zurück an die Ferien auf Hawaii und freut sich über politischen Mut in anderen Ländern.
1. Was war Ihr kulturelles Highlight 2014?
Das Aufleben der Occupy-Bewegung in Hongkong, auch Regenschirm-Revolution genannt. Für mich ist die Occupy-Bewegung nicht nur das Sinnbild – sie ist der Prototyp einer zeitgemässen Form des Umganges mit der sozialen Frage. Die Bewegung entspringt nicht Ideologien, ihre Inhalte entstehen aus dem Zusammentreffen engagierter Menschen. Occupy ist der Triumph der Präsenz, sprich eines gemeinschaftlichen Prozesses über ideologische Positionen.
2. Und der kulturelle Tiefpunkt?
Das waren natürlich die Ereignisse auf dem Messeplatz am 20. Juni während der Art Basel. Ich hätte nie gedacht, dass ein Veranstalter, der sich als Kulturinstitution versteht, die Polizei gegen Kunstschaffende mobilisiert. Der absolute Tiefpunkt war dann das Gutheissen des Polizeieinsatzes durch die Basler Regierung mitten im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft gegen eben diesen Polizeieinsatz.
3. Gabs einen albernsten Trend?
«Die Anbetung des Geldes» in allen Klassen und Bereichen unserer Gesellschaft; ein Trend, der sich in den 1980er-Jahren etabliert hat und auch 2014 leider nicht abzuklingen scheint.
4. Was haben Sie verpasst?
«My Name is Salt», ein Film von Farida Pacha über Menschen, die in Indien das weisseste Salz der Erde anbauen. Und zu viele Jodo-Übungsstunden bei Luc Quaglia, die ich wegen lauter unvorhergesehener Ereignisse nicht wahrnehmen konnte.
5. Haben Sie etwas vermisst?
2013 war ich mit meiner Frau Irène und meinem Sohn Naoum zusammen auf Hawaii. Wir sind dort über erkaltete Lava gewandert und haben schwimmend in das tiefe Blau des Pazifiks geblickt. Ich erinnere mich gerne daran und sehne mich nach diesen Bildern.
6. Gibt es etwas, das Sie positiv überrascht hat?
Der phantastische Aufstieg der «Podemos»-Partei in Spanien, die aus der «Indignados»-Bewegung hervorgegangen ist. Es lässt mich auf das Ende des korrupten Zweiparteiensystems hoffen.
7. Was war Ihr grösster Fehler im 2014?
Urs Staub vom Bundesamt für Kultur nicht zu seiner hervorragenden Arbeit gratuliert zu haben. Keiner hätte einen Doktortitel mehr verdient als er. Ich sehe sein «Vergehen», sich einen «falschen» Doktortitel angeeignet zu haben, als eine grossartige Performance in einer Zeit, die von Titeln, Preisen und Hierarchien charakterisiert ist.
8. Ihr Jahr in einem Lied zusammengefasst?
Das Lied zur ersten Frage:
9. Und Ihr liebstes Youtube-Video 2014?
Da ich so gut wie nie auf Youtube bin, nehme ich die Gelegenheit wahr, um auf den Film «Timbuktu» von Abderrahmane Sissako hinzuweisen (läuft derzeit im Kino Camera) – insbesondere auf die Szene, in der Jugendliche Fussball ohne Ball spielen.
10. Wofür haben Sie viel Geld ausgegeben – und hat es sich gelohnt?
2014 habe ich einzig für Steuern viel Geld ausgegeben!
11. Worauf freuen Sie sich im 2015?
Auf meine letzte Lehrveranstaltung an der HEART in Perpignan. Leider wird diese fortschrittliche Kunstschule nach dem Wahlsieg des Front National schon im kommenden Sommer geschlossen. Und dann freue ich mich auch auf den Beginn eines grossen Projektes mit diezelle. Kunst im öffentlichen Raum soll hier eine ganz neue Dimension annehmen.
12. Was wären Ihre Wünsche an Basel fürs kommende Jahr?
Ich wünsche mir von den Schulen mehr Reflektion zu sozialen Themen. Von der Politik wünsche ich mir mehr Einsatz und Mut für einen innovativen und kreativen gesellschaftlichen Zusammenhalt der Stadt.
Dossier: Kulturjahr 2014
Wie haben Kulturschaffende und -interessierte das Jahr 2014 erlebt? Wir haben sie gefragt.