Gleich zwei Fussball-Publikationen aus Basler Federn sind auf den Markt gekommen: eine zur Europameisterschaft in Frankreich und eine, die sich vertieft mit der Basler Fankultur beschäftigt. Beide lohnenswerter Lesestoff.
Wer sich an diesem Dienstag zum St.-Jakob-Park und dem Spiel des FCB gegen Thun aufmacht, wird womöglich den fliegenden Händlern des Fanclubs St. Jakob begegnen. Erst am Vorabend stellte dieser das Werk «Erfolg isch nid alles im Lääbe» vor, eine aufwendige Recherche von Historikern und Soziologen zur Basler Fussball-Fankultur, unaufgeregt gestaltet mit Anspielung auf das Fanzine-Design früherer Tage, reich bebildert und erschienen im Schwabe Verlag.
Seinen ganz eigenen Schick hat auch das 58-seitige Magazin «Talonnade» zur Fussball-Europameisterschaft. Nicht nur wegen des unaufgeregten Covers und dem Titel: Talonnade, französisch für «Absatztrick». So elegant und verspielt kommen dann auch die Texte diverser Basler Autoren und die Illustrationen von Mattia Jonathan Serena daher.
Die Klammer: Eine Basler Fussballkulturbar
Eine Klammer dieser beiden Publikationen ist das «didi:offensiv», eine vor eineinhalb Jahren am Erasmusplatz eröffnete Kneipe, die sich den selbst zuerkannten Status als Fussballkulturbar mit ihrem regelmässigen Programm redlich verdient. So auch im laufenden Monat Mai und im EM-Sommer.
Die beiden «didi»-Macher haben sich fein aufgeteilt. Der eine, Raphael Pfister, ist eine der Triebfedern beim «Talonnade» gewesen, an dem auch der «Saal 12» mitgewirkt hat. Dort, in der Breite angesiedelt, ist der Begegnungsraum der FCB-Fans aus der Muttenzerkurve. Im «Talonnade» tauchen Pseudonyme auf, die man aus dem Kurvenblatt «Schreyhals» wiederzuerkennen glaubt.
Ausserdem unter der bunt zusammengewürftelten Schar von 18 Autorinnen und Autoren: der in Riehen lebende Schriftsteller Wolfgang Bortlik («Über Sprache im Fusball»), der Kabarettist Roland Suter («Wenn Fussball wieder Arbeit wäre») oder die Historikerin Anina Jost, die sich für ihre Masterarbeit an der Uni Bern mit den Sicherheitsfragen der Euro 2016 auseinandergesetzt hat.
Das trägt hier und da etwas fussballkultur-pessimistische Töne bei und unbedingt auch Kommerzkritik, wie an der Vernissage am Freitag, 6. Mai, durchdrang (im «didi:offensiv», wo sonst?). Was das Heft nichtsdestotrotz zu transportieren vermag: Liebe zum und Leidenschaft für das grosse Spiel. Denn am Ende des Tages sitzen dann doch wieder alle vor dem Fernseher, wenn in Frankreich angepfiffen wird.
Akademiker gehen der Fankultur auf den Grund
Das Magazin wird vor dem Thun-Spiel auch auf der Plattform des Joggeli, neuerdings als rechtsfreier Raum bekannt, verkauft. Der Preis: «Me gitt was me wott.» Zum Sonderpreis von 30 Franken (regulär im Buchhandel: 38.–) ist dort auch das Fankultur-Buch zu haben (ebenso am 25. Mai, beim letzten Spiel der Saison). Die Muttenzerkurve merkt auf ihrer Website dazu an, dass sie nicht am Inhalt beteiligt war und dieser «nicht unbedingt unseren Ansichten entspricht».
Eine Geschichte der Basler Fussball-Fankultur. (Bild: Schwabe Verlag)
Gefälligkeit war auch nicht die Absicht, die der Fanclub St. Jakob bei seinem Jubiläumsprojekt hatte. 1975 gegründet, ist er die älteste Fanvereinigung des FC Basel und der älteste bekannte Fanclub in der Schweiz überhaupt; unterdessen auf rund 50 Mitglieder geschrumpft.
Unter anderem mit Stiftungsgeldern sowie aus den Swisslos-Fonds der beiden Halbkantone und unabhängig vom FC Basel finanziert, nimmt «Erfolg isch nid alles im Lääbe» für sich in Anspruch, «zum ersten Mal einen fundierten Blick auf vier Jahrzehnte Basler Fussball-Fankultur zu werfen», wie Fanclub-Präsident Guido Morselli und Projektleiter Benedikt Pfister sagen.
Benedikt Pfister ist der zweite Spielmacher im «didi:offensiv», ausserdem Historiker und im sechsköpfigen Autorenteam aus Philosophen und Soziologen vertreten, die alle ein Herz für den FCB haben. Ausser vielleicht Saro Pepe, dem ebenso weltoffenen wie rührigen Leiter von Museum und Archiv des FC Zürich. Er geht der speziellen Rivalität von FCB und FCZ auf den Grund.
Und als Zugabe: Das Outing des Urs Meier
Das ergibt alles zusammen tatsächlich einen tiefen Einblick in die Fankultur, wie sie sich seit der Benthaus-Ära entwickelt hat. Das Buch beleuchtet die Gewalt im Stadion, die dunklen Jahre in der Nationalliga B, die Wiedergeburt und die Auswirkungen des als «Schande von Basel» bekannten und sich just jährenden 13. Mai 2006.
Die Akademiker haben, wie sie selbst deklarieren, ein populärwissenschaftliches Werk geschaffen, das bei allem strengen Ansatz auch Lesevergnügen und Haltung bietet. Und sie haben auch eine kleine Überraschung parat. Unter den zu Wort kommenden Zeitzeugen wie dem FCB-Urgestein Gusti Nussbaumer ist auch Urs Meier. Das ehemalige Aushängeschild der Schweizer Schiedsrichter outet sich an dieser Stelle als FCB-Fan seit Jugendtagen.
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● «Erfolg isch nid alles im Lääbe – Eine Geschichte der Basler Fussball-Fankultur», herausgegeben vom FC Basel Fanclub St. Jakob, Schwabe-Verlag, 140 Seiten, 38 Franken
● «Talonnade» (franz. für «Absatztrick») – ein Basler Magazin zur Fussball-Europameisterschaft 2016, 58 Seiten, Preis: Me gitt was me wott; erhältlich in der Fussballkulturbar «didi:offensiv», Erasmusplatz 12, sowie im «Saal 12», Weidengasse 53
● Das Programm von «didi:offensiv» und «Saal 12» zur Euro 2016 zum Download
Benedikt Pfister im «Talk» zum Buch bei Telebasel: