Der Basler Künstler Eric Hattan durfte in Genf ein Kunstprojekt an der neuen Tramlinie 14 realisieren. Elf Masten hat er dafür neu geformt – allen möglichen Widrigkeiten bei der Planung zum Trotz.
Wenn ein Künstler mit seinem Schaffen Irritation hervorrufen will und eines seiner Werke einen Polizeieinsatz auslöst, dann darf man wohl sagen, dass er erfolgreich war. Oder nicht? «Zufrieden kann man sicher sein, ja», sagt Eric Hattan und lacht. Es ist ein Mast an einer neuen Genfer Tramlinie, der genau dies bewirkt hatte. In zwei Dritteln Höhe abgeknickt, die Lampe, die auch daran befestigt ist, zeigt nach oben, die Tramdrähte aber sind intakt. Ein besorgter Autofahrer informierte im Herbst 2014 die Polizei – derart glaubhaft wirkte das Werk des Basler Künstlers.
Was dann folgte, gleicht einer Posse: Die Polizei informierte die Feuerwehr, die bei ihrem Einsatz vor Ort merkte, dass die Lampe trotz Knick funktionierte. Ein Anruf bei den Elektrizitätswerken brachte keinen Erfolg, nur die Information, dafür seien die Verkehrsbetriebe zuständig – es handle sich ja um einen Trammast. Irgendeiner fand heraus, dass es sich dabei wohl um ein Kunstwerk handle. Zum Abschluss informierte man erneut die Polizei, die ja am Anfang dieser Telefonkette gestanden hatte. Und die daraufhin befand, dieses Kunstwerk hätte gar nie realisiert werden dürfen – weil es die Autofahrer ablenke und dadurch gefährde.
Mit dem Tram zur Kunst
Kurz zuvor erst war Hattans Werk fertiggestellt worden, nach dreieinhalbjähriger Planungszeit. Es war im Jahr 2009 die Idee von Genfer Vorortsgemeinden gewesen, die neue Tramlinie 14, welche vom Gare Cornavin durch Genf hindurch nach Bernex führen sollte, mit einem Kunstprojekt zu verbinden. Sechs Werke wollte man im Rahmen von «art et tram» realisieren. Drei Kunstschaffende fragte man direkt an, für die anderen drei Projekte schrieb man einen Wettbewerb aus. Eric Hattan wurde für die Ausschreibung eingeladen – und seine Idee für den Streckenabschnitt Confignon, die er zusammen mit dem Architekten Oliver Senn einreichte, schliesslich ausgewählt und ausgeführt.
Ein schnurgerades Stück Tramlinie ist es, mit ungefähr 60 Masten links und rechts der Fahrbahn, von der Jury des Kunstprojektes neckisch «Via Appia» genannt. Hattan und Senn setzten – inspiriert vom Fakt, dass die Masten schon gesetzt waren – als Titel «Les jeux sont faits – Rien ne va plus – Faites vos jeux» und taten genau dies: Sie spielten. In Hattans Worten: «Wir nahmen die Masten, verbogen sie, rissen sie aus und steckten sie verkehrt herum wieder in den Boden, zerstückelten sie und setzten sie neu zusammen.»
Ein Mast, zerstückelt und neu zusammengesetzt. (Bild: ©Serge Frühauf)
Fürs Einreichen der Idee reichte es, dies mit kleinen Masten aus Aluminium zu machen, die leicht verformbar sind. «In der Realität aber dienen die Masten nicht nur zur Strassenbeleuchtung, sondern auch als Träger der Tramdrähte und müssen als solche äusserst starke Kräfte aushalten», erklärt Hattan. Die Funktionalität musste gewährleistet bleiben, die Bruch-, Knick- und anderen Flickstellen folglich durch aufwendige Ingenieurberechnungen gesichert sein, bevor die Masten schliesslich im Stahlwerk gänzlich neu konstruiert wurden.
Es gesellten sich administrative Probleme dazu. Gegen politischen Widerstand gelang es dem federführenden Fonds cantonal d’art contemporain, das Grossprojekt zu lancieren – mit Unterstützung der beteiligten Gemeinden, Mitteln aus dem kantonalen Ankaufskredit und Hilfe von privaten Geldgebern. Drei der sechs geplanten Werke stecken immer noch in der Pipeline fest, aus unterschiedlichen Gründen: John Armleder möchte sein Projekt an einem Ort verwirklichen, an dem gleich mehrere Besitzerparteien aufeinandertreffen und sich nicht einig werden, Lang/Baumann wollen eine Brücke in einem Park bauen, der noch nicht existiert. Pipilotti Rists rosarotes Tram wurde schlicht noch nicht fertig. Immerhin: Ugo Rondinones Figur «The Wise» steht bereits an der Tramlinie und auch Silvie Defraouis Bodenmalerei konnte schon realisiert werden. Und nun eben Eric Hattans Werk.
Ganz einfach umgedreht. (Bild: ©Serge Frühauf)
Sein Projekt scheiterte beinahe daran, dass er keinen Kostenvoranschlag liefern konnte, da zuerst ein Kredit für externes Knowhow notwendig war, um eine Machbarkeitsstudie zu bezahlen. Und schliesslich waren da die Masten selbst, die in die Zuständigkeit der Verkehrsbetriebe fallen, die Lampen, die daran hängen, jedoch in jene der Industriellen Werke. Weiter mussten die Lampen die Strasse weiter «normgemäss» beleuchten, was bedeutet, dass trotz Verformungen die Lampenschirme in regelmässigen Abständen und an den dafür vorgesehenen Stellen hängen müssen.
Allen Widrigkeiten zum Trotz wurden die elf neu formulierten Masten im Herbst innert zwei Wochen in Nachtschichten aufgestellt, des laufenden Trambetriebes wegen. Filmemacher Severin Kuhn dokumentierte die Produktion und den Aufbau im Film. Und trotz des irritierten Autofahrers werden sie nun dort für 25 Jahre bleiben – soviel beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines Trammastes.
Eric Hattan plant derweil sein nächstes Projekt, diesmal in Basel. Er hat die Ausschreibung für ein Kunst-am-Bau-Projekt an der neuen St. Jakobshalle gewonnen: Ein Findling soll dort das Fundament einer Säule bilden und so als Stütze für das ausladende Dach des Baus dienen. Ein Kunstwerk als Grundstein, ein schöner Gedanke. Diesen grossen Stein zu finden, gestaltet sich gar nicht so einfach, wie Hattan derzeit merkt, denn Findlinge sind grundsätzlich geschützt. «Das wusste ich vorher nicht», sagt Hattan. «Doch genau das ist es, was ich liebe an diesem Beruf: täglich dazuzulernen und einen Weg zu finden, meine Ideen umzusetzen.»