Per Anhalter von der Galerie nach Hause, Demos gegen das AKW Kaiseraugst: Das steht in der neu erschienenen Biografie Ernst Beyelers. Was den Kunstsammler wirklich antrieb, das erfährt der Leser jedoch nicht.
Ohne das Wirken des Galeristen, Sammlers und Museumsgründers Ernst Beyeler wäre Basel für den Kunsthandel heute wohl so attraktiv wie ein Gemälde zweifelhafter Provenienz. Kaum einer genoss auf dem internationalen Kunstparkett mehr Respekt, kaum einer hat ein eindrücklicheres Vermächtnis hinterlassen als der 1921 geborene Sohn eines SBB-Beamten.
Knapp vier Jahre nach seinem Tod legt die ehemalige Journalistin Esther Keller nun eine Biografie vor, welche die Lebenslinien weit gründlicher nachzeichnet als es die zu Lebzeiten erschienenen Publikationen – von Hans-Joachim Müller 2001 und Christophe Mory 2005 – leisten konnten. Auf 240 detailreichen Seiten, ergänzt mit vielen unveröffentlichten Bildern aus dem Archiv der Basler Galerie, zeigt die Autorin auf, wie aus dem verträumten Bücherverkäufer ein hoch geachteter Galerist wird, der der Nachwelt mit seiner Fondation eines der schönsten Museen der Welt schenkte.
Kunstwerke mit Samthandschuhen angefasst
Tatsächlich fügt sich im Rückblick alles wunderbar zusammen in diesem von Zielstrebigkeit, Risikobereitschaft und Arbeitseifer bestimmten Leben. Doch ganz so geradlinig verlief die Modellkarriere nicht. Esther Keller, die Ernst Beyeler nur zwei Mal begegnet ist, hat aus unzähligen Gesprächen und Dokumenten ein Porträt gezeichnet, das auch die Ecken und Kanten herausarbeitet und auf eine mythische Überhöhung bewusst verzichtet.
Nicht nur wird deutlich, wie das atemlose Engagement für die Kunst die Ehe mit Hildy mehrfach auf eine harte Probe stellte. Auch fasste Beyeler wohl seine Meisterwerke mit Samthandschuhen an; bei seinen Kunden hatte er schon bald den Ruf eines unnachgiebigen und ausdauernden, aber auch fairen Verhandlungspartners.
Vom Abenteurer zum Kunstdoyen
Dass dem gelernten Kaufmann Selbstzweifel weitgehend fremd waren, hat seinem schnellen Aufstieg bestimmt nicht geschadet. Doch der Weg vom idealistischen Abenteurer, der auch mal in Afrika mit Gold zu handeln gedachte, zum weltgewandten Kunstdoyen war nicht vorgezeichnet.
Das Buch verheimlicht auch die Rückschläge nicht: Die frühen Ausstellungspleiten mit Antoni Clavé oder Max Ernst, den zäh anlaufenden Exklusivvertrieb der Werke von Jean Dubuffet oder den stockenden Verkauf der Thompson-Sammlung, ein Risikoinvestment, für das sich Beyeler tief verschuldet hatte.
Kann sich die Art neben Köln etablieren?
Mit unermüdlicher Energie, viel Geduld und einem langen Atem trieb er seine Geschäfte voran. Nur selten zeigte er sich so zögerlich wie später bei der Gründung der Art Basel im Jahr 1970, wo er daran zweifelte, ob sich die Messe neben Köln etablieren könne.
Der Erfolg im Auftaktjahr belehrte ihn eines Besseren, und schnell sah er die Chancen dieses jungen Projekts. Dass er sich dabei auch für eine nichtkommerzielle Ausstellung in der Messe stark machte, zeigt auf, dass ästhetische Neugier und Geschäftssinn bei Ernst Beyeler stets zwei Seiten derselben Medaille waren.
«Es bleibt verborgen, was in Beyeler dieses ‹Feu sacré› entfacht, was ihn antreibt, drängt, bewegt.»
Esther Keller, sie arbeitet in der Kommunikation von Novartis, packt das Leben in kurze, gut verständliche Sätze, hält sich an die Fakten, verlässt kaum einmal das sichere Terrain der Quellen. Leider erwacht die schillernde Kunstwelt, der sich wandelnde Zeitgeist oder die ungeheure Dynamik des Marktes dadurch nur selten zum Leben.
Vor allem aber bleibt verborgen, was in Beyeler dieses «Feu sacré» entfacht, was ihn antreibt, drängt, bewegt. Besuch bei Picasso, Gründung der Art, Skulpturen im Grünen, Kunstboom und Museumsgründung – wie nüchtern die Chronik den Ereignissen folgt, wird deutlich, wenn Ernst Beyeler (oder einige Weggefährten), von der Kunst beseelt, in zahlreichen Zitaten ihre Stimme erheben.
Die Autorin, die keine Kunsthistorikerin ist, ist dagegen in der Welt des Schöngeistigen weniger zuhause: Sätze wie «Das kreative Schöpfen gab ihm Mut und Kraft. Diese Freude versuchte er auch an andere weiterzugeben», oder «Francis Bacon schien gar keine andere Wahl zu haben (als zu malen), weil er sonst zugrunde gegangen wäre», wirken angesichts der intensiven Kunsterfahrung von Ernst Beyeler abgestanden und unbedarft.
Fülle an Fakten
Entschädigt wird der Leser durch die Fülle an Fakten. Kindheit und Jugend sind bisher kaum beleuchtet worden, und viele teils unbekannte Anekdoten runden unser Bild von «EB» ab: Dass er keinen Führerschein besass und teils per Anhalter von der Galerie nach Hause fuhr; dass für ihn Verkehrsampeln nur empfehlenden Charakter hatten; dass er gegen das AKW Kaiseraugst auch kämpfte, um seine geliebte Ruderstrecke zu schützen.
Oder dass er in einer Pariser Galerie derart auf einen Frauenakt von Modigliani fixiert war, dass er daneben glatt Greta Garbo übersah. Auch dass gleich sechs Städte um die Gunst des Galeristen buhlten, als die Idee der Museumsgründung ruchbar wurde, darf man erstaunt zur Kenntnis nehmen.
Eingepackte Bäume
Beyeler hatte eine Vorliebe für anspruchsvolle Werke. Zugleich wusste er nicht erst seit den «Wrapped Trees» 1998 von Christo und Jeanne Claude, wie sehr die Verpackung zählt. Er war einer der ersten, der regelmässig Ausstellungskataloge publizierte, was das Budget belastete, sich aber bald auszahlte. Später konnte er nächtelang über der optimalen Hängung einer Ausstellung oder die ideale Rahmung eines Gemäldes brüten.
Dass sein Museum statt 25 Millionen am Ende mit 65 Millionen Franken zu Buche schlug, hat auch mit seinem Hang zum Perfektionismus zu tun. Allein in die Suche nach dem perfekten Stein investierte er Monate – er fand ihn schliesslich am anderen Ende der Welt, in Patagonien.
Weitere Werke werden folgen
Die Jagd nach den besten Bildern wird in vielen Fällen ähnlich abgelaufen sein. Wie beiläufig sich in den Jahrzehnten in Beyelers Wohnung und Galeriendepot ein grandioses Kunstensemble «angesammelt» hatte, bleibt wohl das Faszinierendste an dieser Geschichte, die bestimmt nicht zum letzten Mal nacherzählt wurde.
Esther Keller kommt der Verdienst zu, in einer akribischen Recherche unzählige Details aufgearbeitet zu haben. Den Bogen zu schlagen von den Ereignissen zum Leben und vom Leben zur Kunst, dies wird die Aufgabe nachfolgender Publikationen sein.
_
Esther Keller: Ernst Beyeler – von Kunst bewegt. Friedrich Reinhardt Verlag, 38 Franken.