Der Skandalregisseur Calixto Bieito hat am Theater Basel Giuseppe Verdis Oper «Otello» neu inszeniert. Wir haben uns die Aufführung angesehen – und sahen eine eigentümlich zurückhaltende Deutung des Eifersuchtsdramas.
Diese Inszenierung beginnt mit einem Ächzen. Einem Ächzen aus fünfzig Kehlen. Auf der fast leeren, tiefschwarzen Bühne rücken die Körper langsam näher. Alle sind gefesselt, verdreckt, gezeichnet – gestrandete Bootsflüchtlinge vielleicht. An der Rampe machen sie Halt: Ein Stacheldrahtzaun hält sie von der Riege der Herrschenden, namentlich vor Otello, separiert. Dieser Mann steht zuvorderst, mit gesenktem Kopf und blutverschmierten Händen – und schweigt. Die Musik hebt wuchtig an, ein Rausch an Vorfreude und Jubel ergiesst sich. Was ist hier schief an diesem Bild?
Das Libretto sieht eigentlich ein Fest vor: Otello siegt im Türkenkrieg, kehrt mit seinem Schiff nach Zypern zurück, wird jubelnd vom Volk und liebend von seiner treuen Ehefrau Desdemona empfangen. Doch die Freude hat einen dunklen Schatten: Die gekränkte Eitelkeit des Fähnrichs Jago. Er bezichtigt Desdemona der Untreue – mit dem statt seiner beförderten Hauptmann Cassio – und fädelt die Intrige so geschickt ein, dass Otello ihm glaubt. Im Eifersuchtswahn tötet Otello seine Gattin, überlässt Jago die Ermordung Cassios und – nachdem ihm die Lüge offenbart wurde – tötet sich selbst.
Verdis beste Oper
Das Libretto zu diesem Stoff von Shakespeare begeisterte den 73 Jahre alten Giuseppe Verdi so sehr, dass er seine Beteuerung, keine Oper mehr zu schreiben, rückgängig machte. Zwei Jahre komponierte er daran, 1887 war die Uraufführung. Es sollte seine vorletzte Oper werden. Manche sagen, es ist seine beste.
Calixto Bieito, Artist in Residence am Theater Basel, hat in seiner Neuinszenierung von «Otello» eine ausgesprochen sparsame Sprache gewählt. Kein Klimbim, kein Waffenarsenal, keine Bilderflut lenkt ab vom Geschehen, das sich vor allem in der Musik ereignet. Die schwarze Bühne (Susanne Gschwender) ist lediglich mit einer quietschgelben Stilkopie des Zürcher Hafenkrans geschmückt, die Personenführung ist klar, aber zuweilen etwas starr.
Blutige Hände
Otello (mit sicherem, aber etwas eindimensionalem Tenor: Kristian Benedikt) etwa macht im Stück keine sichtbare Entwicklung durch. Schon zu Beginn, als seine Desdemona (mit wunderbar klarem, hellem Sopran: Svetlana Ignatovich) voller Wärme von ihrer Liebe zu ihrem wiederkehrenden Otello singt, ist er am anderen Ende der Bühne platziert und reibt sich die Hände in Champagnerscherben blutig.
Erst spät kommt es zu einer zaghaften Berührung zwischen dem Liebespaar – und alsbald zu einer Vergewaltigung. Die Kälte und das Misstrauen, mit dem Otello seiner Gattin begegnet, sind von Beginn an zu spüren – und nicht erst seit dem listigen Auftritt Jagos (neben Ignatovich die beste Rollenbesetzung: Simon Neal mit äusserst wandlungsfähigem Bariton).
Dieser wiederum treibt sein Intrigenspiel ohne Zweifel voran – und lebt mit allerlei Körperverrenkungen Onanie- und andere sexuelle Phantasien auf der Bühne aus. Und Desdemona schliesslich bleibt bis zum Schluss trotz der ungeheuren Anschuldigungen und Tätlichkeiten von zarter Unschuld – ergreifend, wie innig Desdemona kurz vor ihrem Tod, schräg im Gestänge des Hafenkrans hängend, von ihrer Liebe singt.
Herzinfarkt statt Selbstmord
Die Schlussszenen sind es denn auch, die von dieser Inszenierung noch lange im Gedächtnis bleiben. Nach der anfänglichen Betriebsamkeit der Heimkehr – bei der sich die Herrschenden wie Fussballer mit Champagner besudeln – und den kämpferischen Auseinandersetzungen um die Intrige – bei der auch ein Gefangener ohne ersichtlichen Grund erhängt wird und alle anderen mit blutverschmierten Leibchen zusehen müssen – erstarrt das Ensemble mit Fortlaufender Handlung immer mehr. Zum Schluss stehen alle steif auf der Bühne, starren in den Zuschauerraum, singen mechanisch ihre Partien. Selbst Otello ist nach seinem Mord an Desdemona nicht mehr handlungsfähig: Statt des vorgesehenen Selbstmords erliegt er einem Herzinfarkt.
Die Reaktionen zur Neuinszenierung des hochdotierten Regisseurs sind denn auch gemischt. Telebasel hat nach der Premiere einige Zuschauerstimmen eingefangen, die ihr Unverständnis für so viel Blut und so wenig Texttreue kundtun.
Reinmar Wagner konstatiert in der Südostschweiz, dass «dem spanischen Regisseur diesmal eher wenig eingefallen» ist. Und Lisa D. Nolte schreibt im Tages-Anzeiger: «Wer von Bieitos «Otello» eines der Schockspektakel erwartet, für die der Artist-in-Residence des Theaters Basel berüchtigt ist, wird diesmal enttäuscht.»
Christian Fluri hingegen schreibt in der Aargauer Zeitung, Bieitos Inszenierung sei von «grosser Tiefe und Intensität, deckt die Abgründigkeiten, die Perversion der Figuren auf». Und Sigfried Schibli resümiert in der Basler Zeitung, man müsse «diese grobe, plakative, wirkungsvolle Inszenierung gesehen haben».
Die Musik kann sich entfalten
Thomas Schacher lobt in der NZZ die musikalischen Leistungen, und dem kann man nur zustimmen. Dem Theater Basel ist wieder einmal eine musikalisch äusserst hochstehende Produktion mit einem faszinierend farbenreichen und diffizil gestaltetem Orchesterpart (Leitung: Gabriel Feltz), einem klangkräftigen Opernchor sowie sicheren, zuweilen äussert charakterstarken Solisten gelungen. Die zurückhaltende Inszenierung bietet zwar wenig Eigenes, doch sie ermöglicht es der Musik, sich voll zu entfalten. Und das ist in Zeiten des Regietheaters ein nicht zu unterschätzender Wert.
Otello, Theater Basel – Weitere Aufführungen: 7., 13., 19., 27., 30.12. – bis 7.4.2015.