Feiern bis zum Filmriss: Nicole Reinhard und Giacun Caduff über den Höhepunkt des Basler Kinosommers

Von Hochkultur bis Hollywood wird in Basel diese Woche der Film gefeiert, inklusive zweier Jubiläen. Doch bevor die Korken knallen, ging es im Gespräch mit zwei Jubilaren um die Knochenarbeit Kino.

Giacun Caduff, Leiter des Gässli Film Festivals, und Stadtkino-Direktorin Nicole Reinhard feieren zehn respektive zwanzig Jahre Engangement für den Film in Basel.

Diese Woche findet auf dem Münsterplatz der Basler Filmabend statt, startet die zehnte Ausgabe des Gässli Film Festivals und die zwanzigste Saison des Stadtkinos Basel. Dass die Termine so nahe beieinander liegen, sei zwar etwas unglücklich, sagt Nicole Reinhard vom Stadtkino Basel. «Aber wir gehen grosszügig miteinander um.»

Die Kinodirektorin öffnet das Stadtkino schon vor dem Saisonstart für das Gässli Film Festival. Dessen Leiter Giacun Caduff seinerseits lädt Reinhard dafür zum Doppelinterview in sein neues Filmhaus und Festival-Domizil am Gebergässlein. Im Gespräch zeigt sich: Bei aller Minne – programmatorisch findet keine Angleichung statt.

Frau Reinhard, Herr Caduff, Gratulation: Sie haben es in der Kulturstadt Basel geschafft, einen kleinen, aber festen Nischenplatz zu erkämpfen.

Reinhard: Ich finde den Begriff Nische schwierig. Im Vergleich mit Publikumsmagneten wie dem Stadttheater, den grossen Museen oder dem Tattoo: Was ist schon nicht Nische? Eine Stadt ohne alle anderen Kulturangebote wäre arm. Und das Stadtkino hat in den vergangenen 20 Jahren immerhin eine halbe Million Zuschauer generiert.
Caduff: Ich habe damit kein Problem. Unsere Nachwuchsförderung ist klar ein Teilgebiet, wenn es darum geht, die Begeisterung für Film zu vermitteln.

Nebst Nachwuchsfilmen und Musikvideos setzen Sie im Spielfilmprogramm auf Hollywoodkino. Hoffen Sie so mehr Publikum anzulocken?

Caduff: Das stimmt. Wir fahren auf einer kommerzielleren Schiene, aber das hat auch mit mir als Festivalleiter zu tun. Da überschneiden wir uns überhaupt nicht mit dem Stadtkino. Die Filme, die Nicole sich anschaut…
Reinhard: (lacht) Ich bin auch im Blockbuster unterwegs!
Caduff: Ab und zu schaue ich auch Festivalfilme. Aber mir fehlt dein Wissen im Arthouse-Kino. Bei uns ist der Gast entscheidend. Und die Leute, die ich aus den USA kenne und die kommerzielle Filme drehen, lassen sich auch relativ schnell für eine Teilnahme begeistern. Um an die ganz grossen Künstler heranzukommen, muss man sich kompetent mit ihnen unterhalten können, und da halte ich mich lieber etwas zurück.
Reinhard: Jetzt stellst du dein Licht aber unter den Scheffel.
Caduff: Nein, das stimmt schon. Das musste ich mit 21 Jahren an der Filmschule in den USA auf die harte Tour lernen. Ständig hiess es: «Kennst du den und den Film? Das könnten wir so machen!» Und ich sass da und dachte: Fuck. Aufgewachsen oben auf dem Gempen hatte ich gerade mal Schweizer Fernsehen: «Jurassic Park» und «Indiana Jones» – that’s it. Deshalb ist unser Gast meist etwas kommerzieller ausgerichtet – zumindest so lange ich das Festival leite.

Giacun Caduff hat sich in Hollywood nicht erst mit der Oscar-Nomination für «La femme et le TGV» einen Namen gemacht. Der Netzwerker studierte in L.A. und arbeitete u.a. für Grössen wie John Malkovic.
In der Region Basel gründete der umtriebige Film-Afficionado neben dem Gässli Film Festival auch das Autokino in Pratteln.

Einen Tag vor der offiziellen Saison-Eröffnung wird im Stadtkino ein Film des Gässli-Film-Festival-Gastes Frank Coraci gezeigt: «Around the World in 80 Days». Jackie Chan und Arnold Schwarzenegger sieht man wohl erstmals im Stadtkino?

Reinhard: In thematischen Reihen haben wir durchaus schon Schwarzenegger-Filme gezeigt. Aber sehr kommerzielle Filme lassen sich nicht so leicht in unserem Arthouse-Programm platzieren. Allerdings darf man nicht vergessen, dass viele der heute gezeigten Klassiker einmal grosses Mainstreamkino waren. Aber auch das Bildrausch-Festival des Stadtkinos hat ein anderes Profil. Wir haben uns mehr der Kunst verschrieben. Deshalb hatten wir zuletzt Paul Schrader zu Gast. Der macht zwar immer wieder grosse, kommerzielle Filme, begibt sich dabei aber regelmässig auf verquere Wege.
Caduff: Ich habe viele US-Künstler aus dem Independent-Bereich auf dem Radar. Aber es ist nicht einfach, an diese Leute heranzukommen, weil sie ständig unterwegs sind, um ihre Filme zu realisieren. Ich versuche seit Jahren, John Malkovich einzuladen, aber das ist einfach schwierig.

Seit 2005 leitet Nicole Reinhard das Stadtkino Basel. 2011 gründete sie das Filmfestival Bildrausch mit. Reinhard setzt sich über die Stadtgrenzen für das Landkino in Allschwil, Liestal und Gelterkinden ein und wurde für ihr Filmengagement mit einem Französischen Kultur-Orden zur Ritterin geschlagen.

Vom Besuch dieses Superstars träumen Sie schon lange. «Think Big» scheint ohnehin Ihre Arbeitsphilospohie zu sein – auch für das Gässli Film Festival. Sucht man online danach, erscheint es unter der Domain «Baselfilmfestival».

Reinhard: Das wusste ich gar nicht!
Caduff: Das hat vor allem technische Gründe, der Umlaut in «Gässli» führt zu einem komplizierten Code. Also haben wir uns eine andere Domain gesucht. Was das «Think Big» betrifft: Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass wenn man 500 Prozent anstrebt, vielleicht 80 Prozent möglich sind.

Das Stadtkino ist aus dem Verein Le Bon Film hervorgegangen, der seit 87 Jahren Filmklassiker archiviert und verleiht. Bei so viel Geschichte im Rücken: Lautet Ihr Credo «Think Back»?

Reinhard: Nein, wir denken in alle Richtungen. Wir versuchen uns mit Filmen und Bewegungen auseinanderzusetzen, die wir wichtig und wertvoll finden. Dazu gehört auch der Blick nach hinten, den wir aber mit der Gegenwart in Verbindung setzen: Wieso finden wir einen alten Regisseur heute spannend? Wie wird er neu bewertet? Gleichzeitig laden wir aktuelle Filmschaffende ein und versuchen, künftige Entwicklungen vorwegzunehmen, etwa das interaktive Kino. Da ist vielleicht nicht alles über jeden Zweifel erhaben. Aber das Stadtkino versteht sich als Ort, der offen mit jeder Form von Filmkunst umgeht und Dinge ausprobiert.

«Die wirklich abgefahrenen Sachen findet man nicht auf iTunes oder Netflix. Darum glaub ich total ans Kino.»

Nicole Reinhard

Das Kino wird regelmässig für tot erklärt. Braucht es deshalb Festivals mit Eventcharakter?

Reinhard: Durch die Streaming-Plattformen haben die Leute heute das Gefühl, dass alle Filme jederzeit überall zur Verfügung stehen: Aber die wirklich abgefahrenen Sachen findet man nicht auf iTunes oder Netflix. Darum glaub ich total ans Kino, darum gibt es bei uns heute nicht mehr eine, sondern eher fünf Sonderveranstaltungen pro Monat. Aber Kino muss heute mehr sein: ein gemeinschaftlicher, lebendiger Ort, wo man Menschen trifft und sich austauscht – dann werden sich Menschen auch in Zukunft in einen dunklen Raum setzen und dem Charme des Kinos erliegen.
Caduff: Dass Leute den Saal stürmen, sobald die Türen geöffnet werden, das gibt es heute nirgends mehr. Das ist vorbei. Es gibt viel zu viel Ablenkung, und fast jede Form der Unterhaltung ist auch zu Hause möglich. Was aber funktioniert, ist das Erlebnis. Das Gässli Film Festival ist eine Art Hybrid zwischen Kino und Home Entertainment: Die Leute kommen und gehen, wann sie wollen, man trinkt etwas, und niemand stört sich daran, wenn jemand raucht. Wenn diese Verbindung von Private Space und Event klappt, dann wird es spannend.

https://tageswoche.ch/kultur/filmszene-geld-allein-macht-kein-baleywood/

Vor drei Jahren wurde die kantonale Filmförderung aufgestockt: Stehen Ihnen heute mehr Filme aus Basel zur Verfügung?

Reinhard: Man merkt der Stadt schon an, dass da etwas passiert ist. Da wurde etwas in Bewegung gesetzt, und die Namen der Filmschaffenden tauchen an internationalen Festivals auf. Diese Aufbruchstimmung und positive Energie hätte man sich bei der Gründung des Filmfördervereins Balimage nicht träumen lassen.
Caduff: Ich beobachte das schon auch. Allerdings dauert es im Schnitt etwa sieben Jahre, bis ein Film fertig ist. Deshalb werden wir uns noch ein bisschen gedulden müssen. Ausserdem lässt sich Erfolg nicht planen: Ich habe unter der alten Filmförderung ja selbst einige Filme gedreht. Dass ich ausgerechnet mit einem Kurzfilm («La femme et le TGV», d. Red.) so viel Erfolg haben würde, konnte ich nicht vorhersehen.

«Wir können noch nicht einmal unsere Miete zahlen. Bislang hat das Team bei mir zu Hause gearbeitet.»

Giacun Caduff

Apropos Aussichten: Was erhoffen Sie sich als Jubilare für die Zukunft?

Reinhard: Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, das Stadtkino weiterhin als lebendigen Ort zu gestalten und Veränderungen mit Mut zu begegnen. Ausserdem wünsche ich dem Stadtkino eine Finanzierung, die seine nationale und internationale Ausstrahlung und unsere Arbeit honoriert: Wir stecken in einem engen strukturellen Korsett und müssen dennoch immer mehr leisten. Und natürlich wünsche ich mir weiterhin die Zusammenarbeit mit so tollen Leuten wie Giacun, der frischen Wind bringt.
Caduff: Das klingt jetzt nicht sehr sexy, aber wir haben eine klare Strategie. Wir wollen die Nachwuchsförderung konstant vorantreiben und die Kids zusammenbringen. Das ist nicht einfach, denn mit dem Geld der Förderer kann man keine festen Löhne zahlen. Deshalb versuchen wir zum Beispiel, das Lokal in unserem neuen Filmhaus zu vermieten, um unsere Eigenfinanzierung zu steigern. Bei uns ist es noch etwas prekärer als beim Stadtkino: Wir können noch nicht einmal unsere Miete zahlen. Bislang hat das Team bei mir zu Hause gearbeitet. Das ist für mich okay, ich lebe diesen Lifestyle. Aber es ist nicht sehr nachhaltig. Die Leute, die irgendwann übernehmen, sollen nicht all das Zeug machen müssen, das jetzt an mir hängen bleibt.

Gässli Film Festival: Am Montag, 20. August, startet die zehnte Runde mit der Leinwand im Basler Gerbergässlein. Zu sehen sind Kurz- und Spielfilme sowie Musikvideos. Dazu gibt es Workshops zu Storytelling oder Finanzen. Am Dienstag ist der Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Frank Coraci als Ehrengast zu Besuch in Basel. Die Wettbewerbsgewinner werden am Samstagabend gekürt.

Fokus Basel: Am Dienstagabend, 21. August, wird bei Allianz Cinema auf dem Münsterplatz lokales Filmschaffen präsentiert. Gezeigt werden drei Kurzfilme («Wifi Plaza Club» von Adrian Kelterborn, «Beyond Orange» von Daniel Zinsstag und Géraldine Cammisar und «Hot» von Laurin Buser) sowie der Hauptfilm «Marija». Mit diesem Werk schaffte es der Basler Regisseur Michael Koch in Locarno 2016 in den internationalen Wettbewerb und gewann den Basler Filmpreis.

Stadtkino: Am Donnerstag,  23. August, wird um 18 Uhr die 20. Saison mit der Premiere des Schweizer Films «Das Ächzen der Asche» eröffnet. Der Film von Clemens Klopfenstein kam übrigens im Stadtkino ins Rollen per Handschlag mit Polo Hofer. Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit dem Regisseur, danach Tanz mit DJ-Fröhlein.

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