Filmszene: Geld allein macht kein Bâleywood

Die Basler Filmszene ist im Aufbruch: Firmen werden gegründet, Doku-Regisseure entdecken die Lust am Spielfilm und die Jungen drängen nach. Die Rahmenbedingungen müssen aber weiter verbessert werden.

Filmstadt Basel: Dreharbeiten zum Film «20 Regeln für Sylvie». (Bild: Innovative EYE / arbel gmbh)

Rauchende Reifen quietschen über das Kopfsteinpflaster der Basler Altstadt. Ein heillos verliebtes Paar kappt das Führungsseil der Münsterfähre und schaukelt im Abendrot gen Rotterdam. Bauern aus abgeschiedenen Baselbieter Chrachen kesseln Chemie-Zombies aus der Stadt im Joggeli ein.

Solche Szenarien (und bessere) finden seit Anfang 2016 leichter den Weg auf die Leinwand. Denn mit Beginn der neuen Filmförderung (offiziell: Förderung Film und Medienkunst BS/BL) können grosse Spielfilme lanciert werden, in denen die Region Basel fast zwingend Schauplatz sein muss. Früher war das beinahe aussichtslos.

Rückblende: Eine Mehrheit des Grossen Rates stimmte im April 2015 nach einer Debatte in Spielfilmlänge für die Aufstockung der Förderbeiträge von 300’000 auf 900’000 Franken pro Jahr. Baselland zog für einmal mit und erhöhte seinen Beitrag von 200’000 auf 300’000 Franken. Zusammen mit Swisslos-Geldern beider Kantone verfügt die regionale Filmförderung nun jährlich über 2,7 Millionen Franken.

Verglichen mit den mittlerweile zwölf Millionen, die in Zürich bereitstehen, macht das Basel noch nicht zu Bâleywood. Doch hofft man damit die Abwanderung Filmschaffender und ihres wirtschaftlichen Kreativ-Umfeldes zu stoppen und die Produktion von Spielfilmen zu ermöglichen.

Profitieren von der Macht der Bilder

Bislang war der Dokumentarfilm die Spezialität der Basler Szene – und dank Erfolgen wie Vadim Jendreykos «Die Frau mit den fünf Elefanten» oder Anna Thommens «Neuland» auch ihr Stolz. Das lag auch daran, dass mit der alten Förderlimite von 50’000 Franken pro Projekt nur dieses Genre wirklich vorangebracht werden konnte. Ein solcher Betrag hat auf Spielfilmbudgets von 2,5 Millionen Franken und mehr wenig Effekt, der Standort Basel hatte dadurch nur wenig Gewicht. Dementsprechend war die Stadt bisher nur selten Schauplatz für Leinwand-Spektakel.

«Wenn die Filmproduktion fortzieht, dann würden auch Inhalte, Bilder, Botschaften abwandern.» – Guy Morin, 2015

Doch gerade mit der Wirkung, die Geschichten und schöne Bilder als Botschafter für Basel entfalten, kitzelte der ehemalige Stadtpräsident Guy Morin die lokalpatriotischen Gefühle der Fördergelder-kritischen Bürgerlichen: «Immer wieder hören wir die Klage, dass Basel kaum im Fernsehen vorkomme», sagte Morin. «Wenn die Filmproduktion fortzieht, dann würden auch Inhalte, Bilder, Botschaften abwandern.»

Tempi passati. «Mit der neuen Filmförderung kann Basel auch bei Spielfilmen substanziell und initiativ fördern», sagt Katrin Grögel von der Geschäftsstelle Film und Medienkunst BS/BL Basel, die die Vergabe der Gelder betreut.

Als Geldgeber können die Kantone Rahmenbedingungen setzen. So verlangt das Förderreglement, dass je nachdem, welche Kriterien für die Förderung zu Anwendung kommen mindestens 100 bis 120 Prozent der investierten Gelder auch der Region zugute kommen. Wer also 100’000 Franken erhält, muss bis zu 120’000 Franken seines Gesamtbudgets hier ausgeben. Ein gängiger Passus in der öffentlichen Filmförderung und ein schöner Input für die lokale Kreativbranche von Grafikern über Kostüm-Designer bis Make-up-Artists, die zum Umfeld einer Filmproduktion gehören.

Aufbruch statt Exodus

Tim Fehlbaum hat für seinen neuen Film «Shipbreaker» 400’000 Franken erhalten. Das ist der bisher grösste gesprochene Betrag seit Einführung des neuen Budgets im Januar 2016. Fehlbaum, ein hochgelobtes Regietalent, ist trotz Angeboten aus Hollywood nach Basel zurückgekehrt. Das habe für die Szene einen immensen ideellen Wert, sagt Philipp Cueni, Präsident des Vereins Basler Filmschaffender Balimage: «Einen Regisseur von seiner internationalen Ausstrahlung in Basel zu haben, ist wichtig und steht für den aktuellen Stimmungswandel. Statt auf Abwanderung stehen die Zeichen nun auf Aufbruch.»

https://tageswoche.ch/allgemein/basel-ist-attraktiv-geworden-warum-tim-fehlbaum-lieber-hier-arbeitet-als-hollywood/

Diesen Eindruck bestätigt Katrin Grögel: «Man spürt Freude und einen Energieschub bei den Filmschaffenden.» Die Zahl der Förder-Eingaben ist von rund 60 pro Jahr auf etwa 75 gestiegen. «Wobei dies erst eine reine Momentaufnahme ist», so Grögel. Eine seriöse Datenauswertung müsse mindestens fünf Jahre umfassen.

Was man jedoch als Trend schon feststellen kann: Geld beflügelt die Kreativität. Die Basler Szene wird variabler und scheint Lust auf Spielfilme zu haben. So wechselt etwa die Dok-Filmerin Anna Thommen das Genre. Und noch ein Zeichen bestätigt die These vom Aufbruch: Es gibt viele neue Gesuchsteller.

«Ich will zeigen, dass man in Basel auch grosse Projekte drehen kann.» – David Kläui

Fünf Produktionsfirmen wurden in den vergangenen zwei Jahren in der Region neu gegründet: von Caduff Endeavors – Giacun Caduffs letzter Kurzfilm «La Femme et le TGV» mit Jane Birkin in der Hauptrolle wurde für einen Oscar nominiert und Caduff selber in die Akademie-Jury aufgenommen – bis zu Cupla Film des 20-jährigen David Kläui. «The Glasshouse», das Kurzfilmdebüt des Jungproduzenten und der jungen Basler Regisseurin Gianna Andrea Arni ist derzeit auf Festivaltour bis in die USA. Auch Kläui peilt mit Cupla Film längere Spielfilme an: «Ich will zeigen, dass man in Basel auch grosse Projekte drehen kann.»

Neun Monate musste sich Produzent Caduff durch den Bewilligungsdschungel kämpfen, bevor er drei mal zwei Minuten auf der Mittleren Brücke drehen konnte.

Allerdings: Filmarbeiten auf öffentlichem Grund sind trotz finanzieller Förderung mit Standort-Auflage nicht einfach so möglich. «In Basel brauchen sie keine Drehbewilligung und können einfach filmen», heisst es zwar beim Tiefbauamt. Doch will man – wie es für einen Aussendreh oft nötig ist – Zufahrtsbewilligungen, Parkplätze und Strassensperren, muss man wie für alles Weitere eine Veranstaltungsbewilligung beantragen.

«Bei aufwendigeren Bewilligungen müssen sie dafür schon mit drei Monaten rechnen», so das Tiefbauamt. Das Prozedere ist damit weitaus komplizierter als anderswo.

Bis Carlos Leal für die turbulente Komödie «20 Regeln für Sylvie» mit dem Auto über die Mittlere Brücke fahren konnte, dauerte es neun Monate. «Wir brauchten für die drei Takes jeweils zwei Minuten Unterbruch des Tramverkehrs», erzählt Produzent Giacun Caduff. Als die Crew nach erfolgreichem Bewilligungsverfahren vor Ort aufbaute, kam trotzdem ein Polizist, fragte, was da los sei, und beschied, das gehe nicht. Caduff: «Ich hatte damit gerechnet und dank persönlichen Kontakten die nötigen Telefonnummern, um das gleich regeln zu können.»

«Die derzeitige Regelung erschwert das Filmen in Basel enorm.» – Cyrill Gerber, Milan Film

Denn Verzögerungen kosten nicht nur Nerven. Bei einer 30-köpfigen Filmcrew – von Schauspielern bis zum Catering – ist Zeit auch Geld. Damit der minutiös getaktete Drehplan eingehalten werden kann, braucht es Planungssicherheit. Und da hat Basel noch viel aufzuholen. «In Zürich hat man eine Fachperson für Drehbewilligungen», sagt Caduff. «Zusammen klärt man innert eines Tages, was man alles braucht und dafür erfüllen muss. Dann übernimmt diese Person die Koordination aller Involvierten von Polizei bis Feuerwehr.»

Ganz anders in Basel. Für einen möglichst reibungslosen Dreh benötigt man persönliche Kontakte und muss alle Schlupflöcher kennen. Caduff: «Es kann ja nicht sein, dass ich für Zufahrtsgenehmigungen immer einen Zügeltermin geltend machen muss.»

«Die derzeitige Regelung erschwert das Filmen in Basel enorm», bestätigt Cyrill Gerber. Auch er ein Rückkehrer. Nach zwei Jahren als Drehbuchschreiber für Sat 1 und den Produktionsgiganten Constantin Film hat er sich in München zum Produzenten weitergebildet. Seit 2016 ist er nun von Basel aus mit seiner Produktionsfirma Milan Film aktiv.


Gerbers erster Film «Out Of Paradise» kommt 2018 in die Kinos. Der Basler ist dabei Koproduzent der Zürcher Produktionsfirma Hesse Film, wie auch bei «Beast», der gerade unter der Regie des dreifachen Schweizer-Filmpreis-Gewinners Lorenz Merz abgedreht wird. Basel hat Gerbers aktuelle Koproduktion mit 90’000 Franken unterstützt. Gerber versichert, dass der gewünschte Regionaleffekt sogar zu 200 Prozent gegeben sei, da viele Crewmitglieder von hier sind, inklusive dem Allschwiler Stuntman Alister Mazzotti – ja, auch das gibts in der Region.

Gedreht wird aber in Zürich. «Die Behörden haben für uns den Milchbucktunnel gesperrt sowie die Langstrasse. Zudem brauchten wir für den Dreh einer Massenszene mit brennenden Tonnen und allem Tamtam den Bereich vom Escher-Wyss-Platz bis zur Geroldrampe beim Bahnhof Hardbrücke», schwärmt Gerber.

Die Filmszene hat sich nach der Finanzspritze so schnell entwickelt, dass Anpassungen nötig sind.

In dieser Form wäre so etwas in Basel kaum realisierbar gewesen. Trotzdem rufen weder Gerber noch die angefragten Regisseure und Produzenten zum Sturm auf die Behörden. «Für Grossprojekte fehlt es in Basel nicht nur bei den Behörden an professioneller Infrastruktur und Personal: Die jahrelange Abwanderung hat zu einem Vakuum an der Basis geführt», sagt Gerber.

Doch bei dem Tempo, in dem sich die Szene nun entwickelt, dürfte kompetentes Personal bald schneller zu bekommen sein als eine Drehbewilligung nach Zürcher Vorbild. Die Momentaufnahme eineinhalb Jahre nach Einführung der neuen Filmförderung macht klar: Die Szene hat sich nach der Finanzspritze so schnell entwickelt, dass Anpassungen nötig sind.

Die politische Dimension

Den nötigen politischen Druck aufzubauen, damit diese Anpassungen möglich werden, ist eine neue Aufgabe für Balimage. Der Verein der Filmschaffenden hat in der Vergangenheit bereits wichtige Pionierarbeit geleistet. Etwa mit dem Basler Filmpreis «Zoom», der am 27. November zum zweiten Mal von den Kulturabteilungen beider Basel als offizieller Basler Filmpreis verliehen wird. Auch bei der Ausarbeitung der neuen Filmförderung konnte Balimage wichtige Inputs geben. Schaut man die Balimage-Homepage an, scheint der Verein seither aber nicht mehr besonders aktiv.

«Der Internet-Auftritt ist nur eine unserer derzeitigen Baustellen», gibt sich Präsident Philipp Cueni selbstkritisch. «Auch wir müssen uns neu aufstellen, um dem Wandel in der Szene gerecht zu werden. Bisher war unser Engagement ehrenamtlich. Anders war es gar nicht möglich. Aber nun ist es an der Zeit, professionelle Strukturen zu schaffen, wie es sie in anderen Schweizer Städten gibt.»

Selbst für Action-Regisseure ist Geduld eine der wichtigsten Tugenden.

Balimage will einige Themen anpacken. Auf der politischen Liste steht auch das Thema der Drehbewilligungen auf öffentlichem Grund. Ein Projekt läuft bereits: die monatlichen Filmabende im Stadtkino. Hier werden Basler Filme gezeigt und die Diskussionen im Anschluss sollen den Austausch unter den Filmschaffenden fördern. Der Bedarf scheint gross. Der erste Abend im August war ausverkauft. Bei der nächsten Ausgabe am 16. Oktober stehen Regisseur Tim Fehlbaum und sein Film «Hell» im Fokus.

Politisch hat Balimage ein wichtiges Ziel vor Augen: 2018 soll die Filmförderung für weitere vier Jahre gesichert werden. Das klappt, wenn die Kritiker der Förderung in beiden Basel jene Geduld zeigen, die auch den Filmschaffenden abverlangt wird. Selbst bei Action-Regisseuren ist das eine der wichtigsten Tugenden. Sie wissen: Bis eine Idee endlich auf der Leinwand leuchtet, dauert es Jahre.

Damit sich in Basel eine erfolgreiche Filmwirtschaft etablieren kann, braucht es nun neben Geld vor allem Strukturen und etwas Zeit. Dann steht einem Happy End nichts mehr im Weg.

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