«Basel ist attraktiv geworden»: Warum Tim Fehlbaum lieber hier arbeitet als in Hollywood

Der Basler Regisseur Tim Fehlbaum (35) arbeitet an einem Science-Fiction-Thriller, in dem eine Astronautin erkunden muss, ob die postapokalyptische Erde wieder besiedelt werden kann. Dafür ist er an den Rhein zurückgekehrt, weil hier eine neue Filmszene keimt.

Sein Debütfilm «Hell» erhielt sechs Nominationen für den Deutschen Filmpreis und lief in Locarno auf der Piazza Grande. «Die Zeit» schwärmte vom Basler Regisseur: «Ein Glücksfall für das deutsche Kino». (Bild: Eleni Kougionis)

Tim Fehlbaum, nach dem Erfolg Ihres Science-Fiction-Thrillers «Hell» standen die Zeichen auf Hollywood.

Ja, ich habe bei einer Agentur aus Amerika unterschrieben.

Wie lief das ab?

Erst rufen alle zwei, dreimal am Tag an, bis du dich für eine entscheidest und unterschreibst. Dann sendet diese Agentur wöchentlich Drehbücher, für die man mich bei Interesse als Regisseur ins Spiel bringen wollte. Das ging eine Weile so, bis die Drehbücher mit dem Kommentar versehen wurden: «Jetzt, also bei dem musst du zuschlagen – in zwei, drei Jahren interessierst du niemanden mehr.»

Und sechs Jahre später sitzen Sie in Basel.

Ich war halt nicht schnell genug oder zögerte zu lange. Ausserdem sind in Hollywood zwar Unmengen an Drehbüchern im Umlauf, doch bei den wenigen guten, die mich interessierten, hatte ich leider keine Chance. Hinter denen sind dann andere Leute her, so dass ich mit nur einem Film als Renommee keine Chance hatte.

Wurde mittlerweile eines der Bücher verfilmt, die auf Ihrem Tisch lagen?

Ja, ich sah schon Trailer, wo ich dachte: Die Story hab ich schon gelesen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gerade erscheint «The Snowman», ein Thriller mit Michael Fassbender. Sieht super aus.

Kein Nachtrauern?

Ich hätte es wohl anders gemacht. Aber es kommt immer darauf an, wie man ein Drehbuch liest und interpretiert. Gut, habe ich mit «Shipbreaker» nun mein eigenes.

Wie lange arbeiten Sie bereits daran?

Jetzt schon mehr als zweieinhalb Jahre. Die Grundidee hatte ich vor drei Jahren.

https://tageswoche.ch/kultur/filmszene-geld-allein-macht-kein-baleywood/

Warum blieben Sie dafür nicht in Amerika?

Ich arbeite weiter mit der amerikanischen Agentur. Aber ich wollte den Film mit demselben europäischen Produktionsteam machen wie schon für «Hell».

Und warum entschieden Sie sich für Basel und nicht für Berlin, wo Sie lange lebten, oder München, wo Sie die Ausbildung gemacht haben?

Ich hatte meine Zeit an beiden Orten. Aber hier ist es für mich rein arbeitstechnisch am praktischsten. Da ist es grad mal gut, etwas Ruhe zu haben. Ausserdem hat sich in Basel einiges getan.

Tim Fehlbaum, 35, geboren in Basel, studierte an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) Regie (2002–2009) und realisierte mehrere Kurzfilme – der Thriller «Für Julian» gewann 2004 bei den Shocking Shorts Awards den Hauptpreis. Er inszenierte Musikvideos (etwa für die Münchner Band Blumentopf) und fungierte bei anderen Regisseuren als Kameramann. Mit seinem ersten Kinofilm «Hell» (2011)  gewann Fehlbaum den Förderpreis Deutscher Film in der Kategorie Regie.

Sprechen Sie die neue Filmförderung an, von der Sie letztes Jahr 400’000 Franken für «Shipbreaker» erhielten?

Absolut. Basel ist für Filmschaffende attraktiver geworden. Resultate der neuen Filmförderung sind bereits nach zwei Jahren sichtbar und da wird noch viel gehen. Das finde ich super. Doch es lockt nicht nur das Geld. Es gibt ja bereits eine Community, in der man sich austauschen kann. Das hätte ich mir gewünscht, als ich um das Jahr 2000 mit Film anfing.

Wie war es denn damals?

Es gab zwei, drei Eingesessene und den Filmclub in Riehen. Eine Szene gab es nicht und Förderung nur in Zürich. Für mich war ganz klar: Will ich Filme machen, muss ich weg.

Für das Drehbuchschreiben ist die Ruhe hier vielleicht förderlich. Aber nächstes Jahr beginnt der Dreh: Finden Sie in Basel denn auch Filmschaffende, eine Infrastruktur für Ihr Projekt?

Ich habe nun schon ein paar Leute kennengelernt, über die dann weitere, und bin überrascht, wie viele Filmschaffende es gibt und Leute, die mehr oder minder mit Film zu tun haben. Keine Ahnung, ob es hier mal eine grosse Filmindustrie geben wird, aber Film scheint hier ein Wirtschaftszweig zu werden, der hoffentlich trägt. Dazu wird Basel auch Schauplatz von Filmen. Ich werde nächstes Jahr auch hier drehen. Die Stadt hat architektonisch interessante Schauplätze und eine Vielfalt auf kleinem Raum.

Wo sind denn spannende Orte zum Drehen?

Nun, ein paar Szenen von «Shipbreaker» spielen ja auf einem anderen Planeten. Da gibt es in Basel durchaus Gebäude, die architektonisch taugen. Der Messeplatz sieht ja aus, als wäre dort ein Ufo gelandet – oder? Und da Wasser eine Rolle spielt, gibt es auch Überlegungen zum Rhein. Basel hat Industrie, moderne Architektur und eine Altstadt. Da kann man viel machen.

Die Zukunft der cineastischen Apokalypse: Auch Roland Emmerich, Hollywoods Spezialist für actionreiche Endzeitspektakel, setzt auf den Basler Regisseur.

Sie verliessen Basel zum Studieren und kommen zurück als Star der neuen Szene.

(lacht) «Hell» ist schon so lange her. Die Leute denken wohl eher: Mach endlich mal wieder einen Film!

Ihr Debütfilm war nicht nur erfolgreich, Sie kreierten mit vielen überblendeten Bildern gleich noch einen visuellen Stil. In der Musik ist schon manche Band am zweiten Album gescheitert. Kommt die lange Pause auch, weil nun ziemlich viel Druck auf dem Zweitwerk lastet?

Der Bandvergleich trifft es ziemlich: Genau so geht es mir. Die Idee mit den überblendeten Bildern kam schlicht aus der Not, dass wir einen apokalyptischen Film machen wollten, doch kein Budget für Set- und Special-Effects hatten, um so eine Welt zu erschaffen. Dass ich so lange gewartet habe, macht den Druck nicht kleiner.

Dürfen Sie schon über den Inhalt von «Shipbreaker» sprechen oder wäre das ein Spoiler?

Doch doch, eigentlich spreche ich nun lieber über den neuen Film als über «Hell». Bei «Shipbreaker» geht es um interstellaren Kolonialismus, beziehungsweise um die Rückkehr auf die Erde nach der Besiedlung fremder Planeten. Also wieder Science-Fiction, aber sehr bodenständig. Man sieht kein Raumschiff, nur eine Astronautin, die eruiert, ob eine Rückkehr zur Erde möglich ist.

Sie bleiben Ihrem Stil treu: apokalyptischer Science-Fiction mit Frau in der Hauptrolle.

Ich mag das Kino des Eskapismus, wo man für zwei Stunden in eine komplett andere Welt eintaucht. Da ist Kubricks «2001: Odyssee im Weltraum» noch immer das Meisterwerk. Andererseits mag ich die Kombination mit Realismus, wenn etwas Übernatürliches oder Fantastisches auf vollkommen bekannte Normalität trifft. Ob dann ein Mann oder eine Frau spielt, habe ich mir nicht überlegt – nur, was ich interessant finde. Bei einem Mann wäre Ihre Frage nicht gekommen.

«Das Schreiben ist nicht meine Stärke. Das ist eine Lehre, die ich aus dem jetzigen Projekt ziehe.»

Na, die Frage war weniger genderspezifisch denn bezogen auf ein wiederkehrendes Stilelement.

(lacht) Der letzte Satz ist mehr meinen vier Schwestern geschuldet, die immer betonen, wie wichtig es ist, dass es mehr weibliche Action-Darstellerinnen gibt. Aber die kommen! Gerade sah ich Charlize Theron als weiblicher James Bond in «Atomic Blond» alles kurz und klein prügeln.

So, wie Sie es von Ihren Schwestern kennen?

Nein, überhaupt nicht. Mein Aufwachsen mit ihnen war sehr easy!

Apropos Gewalt: Nach der Sonne in «Hell» macht in «Shipbreaker» Wasser die Erde unbewohnbar. Immer zerstört bei Ihnen die Natur die Erde. Dabei ist der Mensch doch grad selbst dabei. 

Ja, aber bei diesem Film sind die Naturgewalten im Hintergrund. Und dann ist auch mal gut damit. Dann mach ich ganz was anderes.

Und zwar?

Eher was in Richtung Thriller. Sicher keinen Liebesfilm oder eine Komödie. Das Düstere, Ernsthafte interessiert mich mehr. Und ich will nicht mehr schreiben. Das ist nicht meine Stärke. Das ist eine Lehre, die ich aus dem jetzigen Projekt ziehe. Das merkt man schon nur an der Zeit, die ich dafür brauche. Ich bin mehr der visuelle Typ. Ich denke, die Stärke von «Hell» liegt auch eher auf der visuellen Ebene, als dass der Film inhaltlich neu oder besonders komplex war.

Bei «Hell» stellte die Sonne eine Bedrohung dar, nun scheint sie Fehlbaum am Rhein angenehm zu stimulieren.

Der neue Film ist in Englisch. Das macht es bestimmt nicht einfacher?

Nein. Ich schreibe nach bestem Wissen und Gewissen und danach wird es auch noch von jemandem mit englischer Muttersprache bearbeitet.

Die Sprachenfrage stellte sich schon bei «Hell».

Beim Erstling wollte ich unbedingt bei Deutsch bleiben, weil ich so sicher war, zu fühlen, ob es authentisch ist. Auch dachte ich, der Film wird origineller, wenn er eben nicht in der amerikanischen Wüste spielt, sondern in den Alpen. Aber an der Kinokasse hat es so ein Film dann schwerer.

«Ein Endzeitspektakel ist scheinbar cooler, wenn es aus Amerika kommt.»

In den Staaten?

Interessanterweise vor allem hier. So ein Endzeitspektakel wollen viele Zuschauer gar nicht auf Deutsch sehen. Es ist scheinbar cooler, wenn es aus Amerika kommt. Vielleicht traut man Schweizern oder Deutschen das Genre nicht zu. Vielleicht waren die überblendeten Bilder auch zu arty für ein Publikum, das gerne Hollywood-Horror wie «Saw» guckt.

Zu viel Arthouse für Action-Fans und zu viel Roland Emmerich für die Studio-Cineasten? Der Weltuntergangsspezialist hat Sie bei dem Projekt ja auch beraten. 

Emmerich hat mir nicht nur als grosser Name geholfen. Er war bei der Umsetzung sehr hilfreich. Ohne ihn hätten wir nicht dauernd die grossen Staubmaschinen aufgefahren, die letztlich für die Optik sehr wichtig waren. Aber ja: Das Weder-noch-Genre war schwierig zu positionieren.

Daraus könnte ja ein eigenes Genre werden. Sind europäische Produzenten offener für experimentierfreudige Regisseure?

Ja, das ist ja das Tolle hier und der grosse Unterschied zu den USA. Dort ist alles privat finanziert und knallhartes Business. Die europäische Filmförderung hilft, dass interessante Projekte gefördert werden – dass Stoff, der etwas anders ist, aber nicht offensichtlich einfach kommerziell zu verwerten, trotzdem eine Chance bekommt.

Aber Sie würden sicher gerne in Hollywood den Durchbruch erzielen und eine grosse Produktion machen.

Klar. Aber mein Fokus liegt erst mal darauf, «Shipbreaker» zu drehen. Parallel entwickle ich bereits mit einer Autorin das nächste Drehbuch, übrigens einer Baslerin.

Sie setzen wirklich auf Basel.

Ich glaube, hier wird was entstehen. Die Zusammenarbeit garantiert ausserdem, dass es bis zum nächsten Film nicht mehr so lange dauert. Lieber im Anschluss an «Shipbreaker» ein kleineres Projekt, das dafür schneller geht. Aufwendige Produktionen brauchen Budget, also Geldgeber, und die wollen dann Schauspieler mit Namen. Bis schon nur mal da die passenden gefunden sind. (Seufzt)

Wurde das Prozedere mit demselben Team beim Zweitling nicht einfacher?
Bei «Hell» dachte ich dauernd: Beim nächsten Film wird alles einfacher. Leider nein. Ich bin genau gleich gestresst, nervös und unter Druck. Und wieder: Wäre es schneller gegangen, hätte sich der Druck weniger lange aufbauen können. Andererseits: Egal, man wird eh immer am letzten Film gemessen.

Da drängt sich eine klassische Sportjournalisten-Frage auf: Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Ach, ich muss mich als Regisseur halt locker machen. Da werden ja noch viele Filme folgen. Ich hätte mich einfach schneller an den zweiten machen sollen.

Nun wird aber zuerst im Stadtkino nochmals «Hell» gezeigt: Wann haben Sie den Film das letzte Mal gesehen?
Seit Ewigkeiten nicht mehr. Darum wird der Balimage-Abend speziell. Ich bin gespannt: Schon damals fand ich am Ende gewisse Szenen peinlich und konnte nicht hingucken.

Und nun schaut auch noch die ganze Basler Filmszene zu!
Darauf freu ich mich! Zumindest hoffe ich, ein paar kommen wirklich.

Ein Abend mit Tim Fehlbaum – von Basel nach Hollywood: Nach der Filmvorführung von «Hell» Diskussion zum neuen Projekt «Shipbreaker». Montag, 16. Oktober, 18.15 Uhr, Stadtkino Basel.

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