«Forever Yours»: Ein Postenlauf durch den Irrgarten einer verlorenen Identität

Ein Mensch wird seiner Identität beraubt. Das ist die Geschichte, der man in «Forever Yours» nicht zuschaut, sondern als Teilnehmer folgt. Dabei bleibt die szenische Installation an sich die Hauptattraktion.

In der Dunkelkammer der verzweigten Identität: Station auf dem Postenlauf «Forever Yours» in der Kaserne Basel.

(Bild: Kaserne Basel)

Ein Mensch wird seiner Identität beraubt. Das ist die Geschichte, der man in «Forever Yours» nicht zuschaut, sondern als Teilnehmer folgt. Dabei bleibt die szenische Installation an sich die Hauptattraktion.

Theater ist, wenn man seinen Mantel an der Gardeobe abgibt, sich mit dem Ticket in der Hand auf seinen Platz begibt, wartet, bis das Licht aus- und der Vorhang aufgeht, um sich dann, geschützt durch die sogenannte vierte Wand, an der Rampe dem Geschehen auf der Bühne hinzugeben.

Das ist das Theater natürlich schon lange nicht mehr wirklich. Vorhang ist etwas für die Oper, Guckkastenbühne fürs Stadttheater – wenn überhaupt noch. Immer mehr Theatermacher lösen die Trennung zwischen Künstler und Zuschauern auf, sofern überhaupt noch Schauspielerinnen und Schauspieler aus Fleisch und Blut auftreten.

Bei Dominic Huber und seiner Produktionsgemeinschaft Savoy gibt es die Darsteller noch, auch wenn sie nur noch am Rande leibhaftig in Erscheinung treten und sie hauptsächlich über Video oder Telefon mit einem kommunizieren. Dabei ist man sich nicht einmal so sicher, ob dies nun live geschieht oder ob es sich um Aufzeichnungen handelt.

Nach Dostojewskis «Der Doppelgänger»

Das Projekt heisst «Forever Yours» und richtet sich nach Dostojewskis klaustrophobischer Erzählung «Der Doppelgänger» aus. Darin wird beschrieben, wie ein Beamter durch einen plötzlich auftauchenden Doppelgänger von seiner Position verdrängt wird und durch den Realitätsverlust in der Psychiatrie landet.

Huber hat die Geschichte ins Varietétheater-Milieu übertragen. Entsprechend sieht man sich einem Varieté-Künstler oder einer Varieté-Künstlerin gegenüber, dessen oder deren Identität geraubt wird. Es handelt sich um einen exklusiven Club – zumindest in der Behauptung. Um eingelassen zu werden, muss man sich einen elektronischen Badge samt Bild ausstellen lassen. Wenn man sich dann aber durch die verschlungenen engen Gänge des Backstage-Bereichs zwängt, dann ist von exklusiver Umgebung rein gar nichts zu spüren. 

Dominic Huber ist handwerklicher Perfektionist und lustvoller Spieler: In seinen szenischen Installationen lässt der Bühnenbildner und Regisseur die Zuschauer in faszinierende neue Realitäten eintauchen. Ein Porträt.

Künstliche Welt

Als Zuschauer – oder genauer: Teilnehmer – begibt man sich alleine durch diesen theatralen Parcours. Ab und an, wenn man herumirrend nach dem nächsten Posten sucht (und sich vielleicht auch mal vom einschüchternd wirkenden Security-Mann helfen lassen muss), trifft man auf einen weiteren Parcours-Teilnehmer.

Hauptattraktion der szenischen Installation ist ganz klar die Installation selber. Huber ist ein grosser Meister im Nachbauen von Räumlichkeiten im Massstab 1:1. Das hat er auf eindrückliche Art bereits bewiesen: in seinem Projekt «Warten auf die Barbaren» oder als Ausstatter für «Situation Rooms» des Berliner Rimini Protokolls. Aktuell führt der Weg unter anderem in eine schmuddelige Garderobe, in eine Foto-Dunkelkammer (wo man sein eigenes Porträt wiederfindet) und in eine etwas versiffte, aber wunderbar dekorierte Bar mit Spiegelwänden, in denen sich die vielen bunten Lämpchen zum unendlichen Lichtermeer ausdehnen.

Literarischer Krimi

Bei Hubers Projekten aus der Vergangenheit waren die hyperrealistischen Rauminstallationen Teil einer Konfrontation mit realen und aktuellen politischen und gesellschaftlichen Begebenheiten. Bei «Warten auf die Barbaren» sah man sich in die Position eines Menschen (Flüchtlings?) versetzt, der irgendwo im heissen Süden im Niemandsland zwischen Langesgrenzen steckenbleibt. «Situation Rooms» breitete den menschenverachtenden Stationenweg des Waffenhandels aus. Das waren Settings, die einem unter die Haut gingen.

«Forever Yours» schafft das nicht. Hier wird die beklemmende Geschichte des Menschen, der seiner Identität beraubt wird, zum literarischen Krimi verdichtet – und letztlich auch vereinfacht. Der Darsteller (oder die Darstellerin) versucht, den Zuschauer als Komplizen in seinem/ihrem Bestreben zu gewinnen, wieder den angestammten Platz zurückzugewinnen. Der Text dazu stammt zu einem grossen Teil aus Dostojewskis Vorlage.

Dieser Entwurf bleibt aber in der Unentschiedenheit stecken. Das Ganze lässt einerseits wenig Raum für eigene Assoziationen, andererseits kommt die beklemmende Geschichte des Protagonisten in den rund 60 Minuten, die der Parcours dauert, nur bruchstückhaft herüber. Am Schluss bleibt das Gefühl, einem Projekt beigewohnt zu haben, das nicht richtig zu Ende gedacht wurde.

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«Forever Yours» – Kaserne Basel.

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