Frank Stella: Die Freiheit der Malerei

Frank Stella gilt als Wegbereiter der Minimal Art. Eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst zeigt seinen Weg dahin auf.

Wenige, aber exemplarische grossformatige Malereien von Frank Stella im Museum für Gegenwartskunst. (Bild: ©Kunstmuseum Basel, Julian Salinas)

Frank Stella gilt als Wegbereiter der Minimal Art. Eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst zeigt seinen Weg dahin auf.

Die Öffentliche Kunstsammlung Basel beherbergt eine hervorragende Sammlung von Werken Frank Stellas. Das erlaubt es, zwei grosse Räume im Museum für Gegenwartskunst (MGK) mit hochkarätigen Werken des US-amerikanischen Künstlers zu bespielen – erweitert nur durch eine einzige Leihgabe.

Anhand der sieben ausgestellten Malereien und über hundert kleinformatigen Zeichnungen, die chronologisch präsentiert werden, lässt sich in der Ausstellung ein Prozess abschreiten, der Stella vom jungen Künstler zu einem der Wegbereiter der Minimal Art Ende der 1950er-Jahre katapultierte. Die unaufgeregte Selbstverständlichkeit, mit der die Werke jener Zeit ihren Platz einnehmen, lässt beinahe die Radikalität vergessen, für die Stellas Malerei mit ihrer Reduktion damals stand.

Malerei, die sich nur auf sich selbst bezieht

Ist in den ältesten beiden Werken der Schau, «Seward Park» und «West Broadway» (beide 1958), noch ein malerischer Duktus im Farbauftrag und eine Auseinandersetzung mit der Platzierung der gelben und orangen Streifen im Verhältnis zum Rechteck der Leinwand zu sehen, macht Stella nur wenig später mit den «Black Paintings» einen entscheidenden Schritt. Dieser führt zu einer nur auf sich selbst verweisenden, abstrakten Malerei, wie sie der Kunstkritiker Clement Greenberg gefordert hatte: einer Malerei, die sich – durch einen selbstreflexiven Umgang mit den eigenen medialen Bedingungen von Leinwand und Farbe – von abbildenden Zwängen der europäischen Kunsttradition zu befreien sucht.

Mit «Morro Castle» ist in Basel das Werk zu sehen, das am Beginn dieser «Black Paintings» steht. Auf dem grossen, mit schwarzer Emailfarbe bemalten Querformat findet sich ein leicht nach links versetztes, nahezu quadratisch angelegtes Gitter aus feinen bildparallelen Linien, in denen die hier noch dunkelrot grundierte Leinwand durch die schwarzen Farbstreifen schimmert.



«Morro Castle» (1958): Die schwarzen Streifen sind auf dem roten Grund kaum sichtbar.

«Morro Castle» (1958): Die schwarzen Streifen sind auf dem roten Grund kaum sichtbar. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Vom oberen Bildrand her treffen konzentrisch sich ausweitende u-förmige Linien in der Bildmitte auf ebenso vom unteren Bildrand aufsteigende, um 180 Grad gespiegelte U-Formen. Sucht das Auge jedoch die Mittellinie, merkt es nach einigen vergeblichen Versuchen, dass die oberen U-Formen um eine schwarze Bandbreite nach rechts versetzt sind und durch ein über die ganze Bildhöhe verlaufendes Band mit den unteren Formen verbunden werden.

Das Bezaubernde an diesem ersten «Black Painting» ist die Gleichzeitigkeit einer radikalisierten, einfachen Bildaussage und der Sinnlichkeit des Suchens nach dieser Einfachheit. Diese Sinnlichkeit spiegelt sich nicht nur in der noch leicht asymmetrischen Anordnung der Streifen, sondern auch in dem noch als Farbkörper erfahrbaren vielschichtigen Farbauftrag.

Durch das Freilassen und teilweise Wieder-Freikratzen der grundierten Leinwand erhalten die Linien eine haptische Zartheit und ein fein changierendes Leuchten. Es lässt sich also hier noch der Rest sowohl einer malerischen als auch einer kompositorischen Geste, eines Bezuges zwischen Figur und Grund herstellen, von der Stella seine Malerei durch eine nicht-relationale Kunst befreien wollte.



Arbeitszeichnungen zu den Black Paintings.

Arbeitszeichnungen zu den Black Paintings. (Bild: ©Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

In den darauf folgenden «Black Paintings» hat Stella mit Hilfe von Arbeitszeichnungen, die ebenfalls ausgestellt sind, mögliche symmetrische Anordnungen der Streifen geklärt und seine Bilder von diesem Rest an ungewollten malerischen und kompositorischen Bezügen befreit. So sieht man auf einem kleinen linierten Blatt die beiden U-Formen von «Morro Castle» vollkommen symmetrisch aufeinandertreffen und das ganze Bildformat ausfüllen.

Auch in der Skizze mit dem Titel «Exibition [sic] of Twelve Paintings by Frank Stella» (1958/59) sieht man den Findungsprozess einer all-over-Struktur seiner Bilder. Etwa in der Zeichnung eines stehenden Rhombus‘ innerhalb eines Quadrates, dessen leere Ecken überflüssig werden. Diesem in den Zeichnungen ausgearbeiteten Problem begegnete Stella in den folgenden Malereiserien mithilfe seiner «shaped canvas», von denen im MGK mit der Leihgabe «Lake City (second version)» von 1963/64 ein wunderbares Werk vertreten ist.



«Lake City»: Schönes Beispiel einer shaped canvas, also einer auf den Bildinhalt zugeschnittenen Leinwand.

«Lake City»: Schönes Beispiel einer shaped canvas, also einer auf den Bildinhalt zugeschnittenen Leinwand. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Der u-förmige Bildkörper wird durch kupferfarbene Streifen, welche exakt auf die ungrundierte Leinwand aufgetragen wurden, durchstrukturiert. Wie es die Zeichnungen deutlich machen, folgte die Form der Leinwand der Form der Linien, wodurch die Malerei nur auf sich selbst verwies, befreit von kompositorischen und ausserbildlichen Bezügen.

Zudem erreichte Stella dadurch die Übereinstimmung der Formwahrnehmung mit der Formvorstellung des Betrachters: «What you see is what you see», um die berühmte Tautologie Stellas einmal mehr zu zitieren. Das, was man sieht, tatsächlich auch das ist, was es zu sehen gibt: Leinwand und Farbe.

Stella hat auch diese Aussage aktualisiert, wie seine ganze weitere Werkentwicklung, die man etwa im MGK am «Damascus Gate. Variation I» (1969/70) sehen kann. In einem Interview in der «Süddeutschen Zeitung» 2012 versteht er seine Aussage nunmehr von der Individualität jedes einzelnen Betrachters ausgehend: Jeder tritt mit seinem eigenen Hintergrund von Erfahrungen an das Werk heran und sieht, was mit seiner eigenen Geschichte verbunden ist: «What you see is what you see.» Er verschiebt so den Fokus seiner berühmten Aussage vom Werk auf den Betrachter.



Frank Stellas «Damascus Gate. Variation I» im MGK.

Frank Stellas «Damascus Gate. Variation I» im MGK. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Mit seinen gut zwölf Metern Länge war das «Damascus Gate» bisher äusserst selten ausgestellt, muss es doch für jede Ausleihe eigens aufgespannt werden, wie zuletzt für die umfassende Stella-Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg 2012/13. Dies ändert sich mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus des Kunstmuseums Basel, wo dieses Werk einen fixen Platz finden wird im Verbindungstrakt, wie Direktor Bernhard Mendes Bürgi verriet.

1965 hatte Stella begonnen, sich von seinen Streifenbildern zu lösen und wieder malerischer zu arbeiten, mit starken Farben und der neuen Form von Halbkreissegmenten, die sich überschneiden. Jedoch ohne auch hier durch den flächigen, präzisen Farbanstrich auf der ungrundierten Leinwand einen wirklichen Bildraum zu Tage treten zu lassen.

Es braucht nicht immer eine grosse Retrospektive, um zentrale Aspekte im Werk eines Künstlers anschaulich zu machen. In Basel ist alles da, um eine der wichtigsten malerischen Entwicklungen der Minimal Art anhand von Werken herausragender Qualität nachzuvollziehen – darin zeigt sich einmal mehr die Klasse der Basler Sammlung.

_
Frank Stella. Malerei und Zeichnung, 9. Mai – 30. August 2015, Museum für Gegenwartskunst Basel, St.-Alban-Rheinweg 60, www.kunstmuseumbasel.ch. Der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung ist ein kleines Booklet erschienen. ISBN 978-3-7204-0223.

Nächster Artikel