Die Fondation Beyeler zeigt mit der Ausstellung «Thomas Schütte. Figur», wie ein zeitgenössischer Künstler mit dem Menschenbild umgeht.
«Die Fremden» sind in Riehen angekommen: Lebensgrosse Figuren und verschiedene Behältnisse stehen aufgereiht auf dem Dach des Renzo Piano-Baus und empfangen die Besucherinnen und Besucher der Fondation Beyeler. Aus der grösseren Werkgruppe herausgelöst, mit welcher Thomas Schütte 1992 an der Documenta 9 in Kassel für Aufmerksamkeit sorgte, haben sie ihre Aktualität nicht verloren und sind weiterhin als Mahnmale für Flüchtlingsschicksale und den Umgang mit Einwanderern zu lesen. Damals entstanden sie im Kontext des Ersten Golfkrieges und den brennenden Asylunterkünften in Deutschland.
Es handelt sich um farbige, glasierte Skulpturen aus Keramik, also nicht um zeitgenössisches Material. Schüttes Konzentration auf das Material – in der Ausstellung sind grossformatige Ausführungen in Bronze, Stahl, Aluminium sowie neu auch in Muranoglas zu sehen – legt das Gemacht-sein seiner Figuren offen. Der Herstellungsprozess ist ihm wichtig. Seine Modelle formt er dabei aus allem, was ihm in die Finger kommt: Stofffetzen, Plastilin, Schnüre, Nägel oder auch Gerolsteiner Sprudel-Flaschendeckel. Seine Modelle oder die massstabgetreuen Güsse derselben stellt er ebenso aus, wie deren überdimensionierte Ausführungen in klassischen Materialien. So kommen Schüttes Arbeiten aus dem Heute und gründen gleichzeitig in der Tradition.
Vereinte Feinde
Oft wird erst im Zusammenspiel mit ihrem Titel die Ironie und Mehrdeutigkeit sowie Tragik, Härte oder Bissigkeit der Werke Schüttes offengelegt «Wichte», «Krieger», «Mann im Matsch mit Hund», «Walser’s Wife» oder die stoisch durchnummerierten Frauenfiguren «Stahlfrau Nr. 1», «Aluminiumfrau Nr. 7» sind Beispiele dafür.
Thomas Schütte (*1954 in Oldenburg) studierte von 1973 bis 1981 an der Kunstakademie Düsseldorf, zuerst in der Klasse von Fritz Schwegler, dann bei Gerhard Richter. 2005 wurde er für seine Präsentation an der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Die Ausstellung in der
Fondation Beyeler, Riehen, läuft noch bis zum 2. Februar 2014.
Mit seinen Titeln legt Schütte auch Spuren, die in Verwirrung und Irritation münden. «United Enemies» – vereinte Feinde – macht da keine Ausnahme. Die beiden riesigen, schwarzpatinierten Bronze-Skulpturen, die je aus zwei zusammengeschnürten Figuren bestehen, sprengen das lichte filigrane Foyer der Fondation und werden allein schon durch ihre Platzierung zum Statement. So viel Nähe zum Feind fühlt sich auf Dauer nicht gut an. Schmerzlich wird klar, dass die Bande zum Gegner oft mehr beschäftigen als jene zum Freund. Mit dem Menschsein wird man in dieser Ausstellung konfrontiert.
Stehende Männer, liegende Frauen
Oft wird in Texten zu Thomas Schütte über das Menschenbild in seinen Werke geschrieben. In der Riehener Inszenierung zeigt sich, dass der Künstler zwischen der Darstellung von Frau und Mann unterscheidet. Männern fällt mehrheitlich eine zweifelhafte Funktion zu, die Frauendarstellungen reduzieren sich auf Körper oder Gesicht. Charakterköpfe, Fratzen, Karikaturen sind männlich, Schönheit oder Versehrtheit fällt den weiblichen Werken zu.
Dies wird besonders in der seit 1999 entstehenden Werkgruppe «Frauen» deutlich. Sie besteht aus 18 verschiedenen Skulpturen, die kontinuierlich in unterschiedlichen Materialien ausgeführt werden: Bronze, Stahl und Aluminium, poliert oder lackiert, wurden bisher verwändet. Die Figuren bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Figuration und Abstraktion und führen durch die ganze Kunstgeschichte der Frauendarstellung. Ausgestellt werden sie auf Werkbänken, sodass man den Eindruck erhält, sie wären frisch ab Produktion in den Ausstellungsraum geschoben worden. Das Thema Menschenbild lässt sich also durchaus in Frauenbild und Männerbild aufteilen und diskutieren.
Vier grosse Geister
Im Vorfeld der Ausstellung tourten sie durch die Schweiz. Nach ihren Halten am Utoquai in Zürich, im Genfer Parc des Bastions und auf der Kleinen Schanze in Bern stehen die «Vier grossen Geister» nun im Innenraum der Fondation. Im Aussenraum noch aufgereiht, formieren sie sich im Ausstellungssaal zu einem Kreis und der eindrücklichste Betrachtungsort befindet sich jetzt in ihrem Zentrum. Die zweieinhalb Meter hohen, schwarzen Bronzefiguren eröffnen ein weites Feld an Assoziationen: Michelin-Männchen, denen die Luft ausgegangen ist, Comicfiguren und vermummte Hooligan sind da nur einige. Dass sie ein zerfliessendes Aussehen haben, liegt am Herstellungsvorgehen der Modelle: Schütte formte diese mit Schnüren aus Spezialwachs und schuf eine ganze Figur jeweils in einem Stück, indem er eine Wachsbahn ineinander drehte.
Geschichtenerzähler
Dem gegenwärtigen Kunstschaffen begegnen viele mit Ratlosigkeit und fühlen sich von den Absichten zeitgenössischer Kunstproduktion ausgeschlossen. Bei Schüttes Werken scheint dies anders zu funktionieren. Material und menschliche Figur sind allen zugänglich und ziehen an. Thomas Schütte sagt selbst: «Ich möchte eine Story erzählen, das ist harte Arbeit. Man muss es so machen, dass es jeder versteht.» Welche, das bleibt offen.
Die Story erzählt er mit seinen Ausstellungsinszenierungen. In der Fondation hängt er beispielsweise sein kleines, schwarzweisses Selbstportrait in Öl auf Nessel aus dem Jahr 1975 – da war Schütte gerade mal 21 Jahre alt – neben «Gelber Hund», 2003, einer in gelb und rot glasierten Keramikfigur, die zwischen Seehund, Sphinx und verwundetem Tier changiert. Gleich anschliessend begegnet man im Rundgang dann dem grossen Bronzekopf auf Stahlpodest «Memorial for the Unknown Artist», 2011.
Schütte, wohin man auch schaut
Wer nach dem Rundgang in Riehen Lust auf mehr Geschichten hat, reist nach Deutschland, wo aktuell zwei weitere Thomas Schütte-Ausstellungen zu sehen sind: In Berlin sind «Schöne Grüsse Thomas Schütte» im «me Collectors Room» noch bis 16. März 2014 zu sehen und im Essener Museum Folkwang werden in der Ausstellung «Frauen» bis 12. Januar 2014 alle 18 Frauen der Werkgruppe präsentiert.
Am 26. Oktober eröffnet weiter im Kunstmuseum Luzern die Schau «Thomas Schütte. Houses»: Parallel zu seiner Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur beschäftigt sich Schütte seit Jahrzehnten auch mit den verschiedenen Formen des Bauens. Seine Architekturen, ob Modell oder ausgeführter Bau, werden als Metaphern unterschiedlicher menschlicher Weltsichten gelesen und zeigen somit eine weitere Facette eines Menschenbildes, welches Grundlage seines Schaffens ist.