«Früher ging es ums Tanzen, nicht um die Show»

Mit dem Ende der Sechziger war auch Schluss für The Sonics. Nun sind die Garage-Rock-Pioniere wieder auf Tour, träumen vom Schlafen und wundern sich über moderne Technik und junge Fans.

«Als hätte uns eine Zeitmaschine ausgespuckt.» So fühlen sich Larry Parypa (2.v.l.) und Rob Lind (m.) auf Tour mit The Sonics.

Mit dem Ende der Sechziger war auch Schluss für The Sonics. Nun sind die Garage-Rock-Pioniere wieder auf Tour, träumen vom Schlafen und wundern sich über moderne Technik und junge Fans.

Keiner gellte in den 60ern greller als The Sonics Sänger Jerry Roslie und auch die Band rumpelte rau, laut und rotzig. The Sonics begründeten so das Garage-Genre und viele Punk-, Rock- und Grunge-Ikonen verehren sie bis heute als Vorbilder. The Sonics schafften es dennoch kaum über ihren Bundesstaat Washington hinaus und lösten sich 1969 auf. Ihre drei Alben drehten jedoch weiter auf den Plattentellern jedes guten Rock-DJs und ihre Hits kennt man, zumindest in Cover-Versionen, mittlerweile auf der ganzen Welt.

Ende 2007 wurde die Legende wieder lebendig. Die Rhythmus-Fraktion musste aus gesundheitlichen Gründen ausgewechselt werden, fand mit The Kingsmen-Bassist Freddie Dennis und Dick Dale Drummer Dusty Watson jedoch adäquaten Ersatz. Nun touren die fünf Herren mit über 70 Jahren auf dem Buckel und dem neuen Album «This is the Sonics» in der Tasche über den Globus. Die TagesWoche traf Gründer-Gitarrist Larry Parypa und Original-Saxophonist Rob Lind vor ihrem Konzert am heutigen Donnerstagabend «Im Fluss».

Auf der zweiten Europa-Tour seit Eurem Comeback 2007 habt Ihr ein neues Album dabei. Wurde es langweilig, dauernd nur die Klassiker zu spielen?

Rob Lind: Es ging nicht um Langeweile. Wir freuten uns schon länger darauf und mussten es einfach mal machen, weil wir definitiv keine Oldies-Band sein wollen. «Here are The Sonics playing the Hits of the Sixties!» – nein danke. Das neue Album war eine natürliche Entwicklung, die allerdings fünf Jahre dauerte. Weil wir faul waren.

Seit Eurem letzten Album sind fast 50 Jahre vergangen.

Larry Parypa: Ja, nun haben wir es endlich und sind keine Retroband mehr.

Mit den Aufnahmen in Mono setzt Ihr trotzdem auf die alte Klangästhetik.

Lind: Das war die Entscheidung von Produzent Jim Diamond (u.a. The White Stripes). Eigentlich entstand dies aus einem Fehler beim Fertigstellen in Detroit. Er hatte es fälschlicherweise in Mono gemastert und wollte es nochmals neu machen. Doch er merkte: So klingt es besser!

Garage-Rock-Jünger pilgern an Eure Konzerte, um Euch, die Gründerväter, zu verehren. Früher gab es wohl keine solche Szene?

Larry: Nein, denn in den 60ern sprach niemand von Garage Rock. Mit dem Begriff kamen erst irgendwelche Leute in den 70ern und 80ern.

Rob: Als wir schon nicht mehr spielten.

Nun spielt Ihr wieder. Wie haben sich die Shows verändert?

Larry: Früher gab es in unserer Gegend diese Konzerthallen für rund 800 Leute, wo man für einen Dollar reinkam. Die Typen strömten alle hinein, um Frauen aufzureissen. Aber dazu mussten sie tanzen. Und das taten alle bis ganz hinten. Da gab es keine Leute, die vor der Bühne standen und glotzten.

Rob: Damals ging es ums Tanzen, nicht um die Show.

«Es war ein Clash der Zeiten, als wir wieder auf die Bühne kamen. Als hätte uns eine Zeitmaschine ausgespuckt.»

Auch die Technik hat sich verändert. Monitor-Boxen habt Ihr wohl erst beim Comeback kennengelernt?

Rob: Als wir in New York unsere erste Comeback-Show gaben, standen beim Soundcheck all diese schwarzen Kisten auf der Bühne. Wir fragten, was das für Boxen sind und hörten: Monitore. Also fragten wir: Was machen die? – Dass ihr euch auf der Bühne hört. Oh, wirklich, nice!

Larry: Damals gab es auch keine Boxen mit Mischer für den Saalsound. Wir hatten nur unsere Verstärker auf der Bühne und einen kleinen Mixer mit Mastervolume, Treble und Bass, wo wir unsere vier Mikrofone einsteckten. Das war unser Soundsystem.

Vielleicht wäre das heute für den authentischen Sound gar nicht so schlecht.

Larry: Nun, bei den Speakern, die wir hatten, wäre etwas mehr Sound schon nicht schlecht gewesen. Das waren nur so grosse metallene Hörner, wie sie auch in Fussball-Stadien hängen. Und die Lichtshow bestand aus einem gelben, einem roten und einem grünen Scheinwerfer. Yeah, things have changed.

Rob: Es war ein Clash der Zeiten, als wir wieder auf die Bühne kamen. Als hätte uns eine Zeitmaschine ausgespuckt. Da war viel Interessantes, wovon wir nie gehört hatten.

In der Garage-Rock-Szene gibt es viele Traditionalisten, die darauf achten, dass kein Instrument jünger als 60 Jahre ist.

Larry: Das höre ich zum ersten Mal. Ich habe meine Gitarre noch, die ich 1965 erworben habe. Aber die nehme ich sicher nicht mit auf Tour.

Rob: Das wäre auch zu riskant. Plötzlich wirft jemand was darauf oder der Truck übersieht sie beim Rückwärtsfahren.

«Touren ist sehr ermüdend. Man denkt oft ans Schlafen.»

Touren ist allgemein nicht sehr angenehm, oder?

Larry: Es ist sehr ermüdend. Man denkt oft ans Schlafen.

Rob: Mein Enkel spielt in einer Band. Er träumt natürlich vom Touren und fragt mich dauernd: Wie ist das Tourleben? – Larry sagt es richtig: Es ist ein grosser Kampf, genug Schlaf zu finden.

Larry: Wenn wir den Tourplan checken, ist die erste Priorität in unseren Köpfen: Wo haben wir die Chance auszuschlafen.

Tourt Ihr mit einem Nightliner?

Larry: Was meinst du damit, ein Tourbus? Ja, wir fahren im Bus. Teilweise sind auch noch Flüge dazwischen.

Rob: Nach der Show werden wir immer wieder von Fans, die es gut mit uns meinen, auf Partys oder in Bars eingeladen. Die verstehen nicht, dass wir ins Hotel müssen, duschen und dann in die Federn sinken. Denn die Chancen stehen gut, dass wir am nächsten Tag um acht Uhr in der Lobby stehen müssen.

Larry: Gestern waren es 16 Stunden im Bus.

Rob: Zum Glück haben wir Schlafkojen.

Mit Songzeilen auf dem neuen Album wie «Save the Planet – it is the only one with beer!» müsst Ihr Euch nicht wundern, wenn Euch die Fans auf Drinks einladen wollen.

Rob: Das entspringt dem furchtbar fruchtbaren Kopf eines Jerry Roslie. Eigentlich sollten wir ihn dafür in die Bars mitschicken, während wir uns im Hotel erholen. Ganz entspannt. Du wirst jedenfalls nie eine Story lesen wie: The Sonics haben ein Hotelzimmer zerstört und den TV aus dem 14. Stock in den Pool geworfen.

Larry: Beim Tourleben hat man über 70 nicht mehr dieselbe Ausdauer wie mit 30. Aber auf der Bühne spielen wir so hart wie in den 60ern. Da werfen wir alles rein.

Rob: Die fünf Typen auf der Bühne stehen dort mit Leib und Seele. Egal, wie müde du bist, oder was gerade mit dir abgeht. Wir haben ein 60-Minuten-Set, und das hauen wir so hart wie möglich durch. So waren wir und sind es noch heute.

«Es ist lustig, dass die Kinks sagen, wir hätten sie beeinflusst. Für uns war es umgekehrt.»

Wir fandet Ihr es in den wilden 60ern, als Bands wie die Rolling Stones aus England in die USA kamen und ihren Erfolg mit fliegenden Fernsehern zelebrierten?

Rob: Die «British Invasion», wie die Welle damals genannt wurde, rettete die Populärmusik in den Staaten. Die US-Musik war fad wie Weizenmehl – Teenage-Idols-Sänger mit Pompadour-Frisuren. Oben im Nordwesten gab es zwar ein paar heisse Bands, aber kaum eine konnte die Ecke verlassen. Als der Erfolg der britischen Bands kam, pumpte das neue Energie in unsere kleine Szene und feuerte uns an – und alle liefen plötzlich mit einem Beatles-Schnitt rum.

Larry: Lustig ist ja, dass etwa die Kinks sagen, wir hätten sie beeinflusst. Für uns war es aber genau umgekehrt.

Ihr habt als Coverband angefangen. Nun spielten in den letzten 50 Jahren unglaublich viele Bands Eure Hits. Wie fühlt sich das an?

Larry: Irgendwie covern wir heute ja selbst unsere eigenen Songs.
Rob: Songs wie «Cinderella» hatten wir nur aufgenommen, weil wir im Studio noch ein, zwei brauchten, um das Album zu füllen. Den spielten wir live nie. Nun ist es der Opener.

Hat er Euch nicht gefallen?

Rob: Nein, wir kamen einfach nicht dazu, weil wir drei Sets pro Abend spielen mussten. Da spielten wir unglaublich viele Songs von anderen Bands und nicht alle, die wir auf Platte hatten. Ich erinnere mich, wie mich ein Mädchen fragte, ob wir «Cinderella» spielen würden. Ich sagte, kommt gleich! Wusste aber, dass wir den nicht können. Nun hat sie die Chance, das Verpasste nachzuholen.

Wenn Ihr von 1969 bis 2007 keine Pause gemacht hättet: Wäre heute noch genug Energie da, um zu spielen?

Larry: Hätten wir immer weitergespielt, wären wir wahrscheinlich gute Musiker geworden. Das war das Beste an der Pause. So spielen wir jetzt genauso, wie wir es in den 60ern taten.

Rob: Das ist echt ein guter Punkt. Wir wurden nie 70er-Lounge-Guys oder frisierte Metal-Köpfe mit nackter Brust und Spandexhosen. Darum klingt auch das Album wie ein Enkel der ersten zwei Alben.

Larry: Wenn ich versuchte, bei den Aufnahmen etwas besser zu spielen als früher, stoppte mich Jim und sagte: Spiel es wie als 13-Jähriger.

«Ich hab mich echt nicht dafür interessiert, dass Bands unsere Songs spielten. Ich wusste nicht mal, wer die MC5 oder die Stooges waren.»

Habt Ihr während der Pause mit den Sonics nie in anderen Bands gespielt?

Larry: Nur ich habe ein paar Monate mit anderen Bands gespielt. Die anderen hatten ihr Instrument wahrscheinlich nicht einmal angerührt. Wir hatten auch keinen Kontakt. Jeder lebte sein Leben mit Kindern und Jobs. Wir hatten damals ja auch niemanden interessiert.

Und Ihr habt Euch auch nicht mehr für Musik interessiert?

Larry: Ganz ehrlich, ich höre nur Sprechradio. Musik war damals nicht mehr in meinem Leben. Meine Tochter wusste nicht mal, dass ich in einer Band gespielt habe, bis ihr Leute davon erzählten.

War der Split der Band so schmerzhaft, dass Du nichts mehr davon wissen wolltest?

Larry: Der gravierende Einschnitt war der Vietnamkrieg. Rob und ich wurden eingezogen. Man kam da nicht drum herum. Ich im Büro, er als Pilot auf einem Flugzeugträger. Dann war der Krieg um, und wir fanden uns in einem neuen Leben wieder.

Rob: Ich hab mich echt nicht dafür interessiert, dass Bands unsere Songs spielten. Ich wusste nicht mal, wer die MC5 oder die Stooges waren.

Echt?

Rob: Oh, ich hatte keine Ahnung! Ich war so naiv. Bei einer Show in New York war da zum Beispiel eine schwedische Band, die unbedingt Fotos mit uns machen wollte. Als ich den Gitarristen fragte, wie seine kleine Band in Schweden denn heisst, sagte er The Hives. Am nächsten Tag hab ich sie gegoogelt und merkte: Oh, die sind richtig bekannt!

Larry: …Und wurden anscheinend unseretwegen gegründet!

Nicht nur sie berufen sich auf Euch. Von The Cramps über Kurt Cobain bis zu den White Stripes, Bruce Springsteen, den Flaming Lips oder LCD Soundsystem – die Liste Eurer Verehrer ist endlos lang und erlesen.

Rob: Das ist sehr schön. Eine grosse Ehre.

«Ich ziehe meinen Enkel gerne damit auf, dass ich auf Tour gehe und er nicht. Aber er ist wirklich gut auf der Gitarre.»

Ihr müsst für Eure Enkel die coolsten Grossväter sein.

Larry: Ein Enkel nennt mich Paparockta. Ich verstand erst Papa-Rockstar, aber er meinte Papa-Rock-Guitar. Er konnte es einfach noch nicht richtig aussprechen.

Rob: Ich ziehe meinen Enkel gerne damit auf, dass ich auf Tour gehe und er nicht. Aber er ist wirklich gut auf der Gitarre. Er wird das eines Tages schon erleben. Das ist für junge Männer ja eine unglaubliche Erfahrung. Aber auch hart: Wenn man sieht, dass ein Musiker wie Zac Brown, der einen Grammy hat, nach dem Auftritt selber sein Equipment verstaut und dann im Schlafsack hinten im Van pennt, weil er sich kein Hotelzimmer leisten kann.

Jetzt entsteht auch ein Dokumentarfilm über Euch. Wie erklärt Ihr Euch, dass Ihr nun mehr Menschen interessiert als früher?

Larry: Wir haben einfach den Jackpot in der Lotterie gezogen.
Rob: Unsere ersten Fans sind grau wie wir oder haben gar keine Haare mehr. Aber die Promoter in Europa meinten: Die Kids haben euch entdeckt. Und beim ersten Konzert in London war ich echt überrascht, wie jung das Publikum war.

Larry: Und sie kennen alle Texte! Ich kenne sie nicht mal von einem Song.

Ist die Szene in Europa anders als in den USA?

Rob: Oh ja. In den USA hatten uns die Leute längst vergessen. Dort spielen wir nur dank dem neuen Album, dafür erstmals landesweit. In Europa strömte das Publikum schon auf der ersten Tour 2008 zu den Konzerten. Hier sind unsere treuen Fans. Die interessieren sich viel mehr, woher die Musik kommt und welche Typen sie spielen. Die lesen sogar auf der Plattenrückseite, wer was gemacht hat.

Larry: Es ist schön, dank dem Comeback Europa zu entdecken.

Ohne jemanden zu beleidigen, aber das erinnert an Rentner, die mit dem Bus durch Europa touren.

Larry: Oh ja, wir haben grad gestern Witze gemacht, als wir auf der Autobahn einen Bus voll Grauhaariger überholten. Dasselbe Alter, andere Aktivität: Die machen ihre Touristen-Tour und wir sitzen im Rock-’n‘-Roll-Bus.

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The Sonics treten am Donnerstag, 6. August, um 20.30 Uhr beim Festival «Im Fluss» auf.

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