Funky Africa

Afrikanische Sounds waren bislang vor allem für Fans der Weltmusik interessant. Jetzt hat sie auch die Retro-Gemeinde für sich entdeckt.

Schwarzes Gold vom Schwarzen Kontinent ist begehrt: Die Europäer erfreuen sich am alten Afrofunk. (Bild: Artwork: Hans-Jörg Walter)

Afrikanische Sounds waren bislang vor allem für Fans der Weltmusik interessant. Jetzt hat sie auch die Retro-Gemeinde für sich entdeckt.

Vor einem Jahrzehnt setzte der Run auf das «schwarze Gold» vom Schwarzen Kontinent ein. Die Vinylgräber, die die Weidegründe des US-Funk abgegrast hatten, begannen von Lagos bis Luanda, von Accra bis Harare systematisch nach raren Scheiben zu suchen, und die mussten «raw and gritty» sein. Im Afrika der 1970er-Jahre hatte der Funk à la James Brown längst Fuss gefasst, und so pflegten viele Combos aus der Frühzeit der jungen, oft gerade unabhängig gewordenen Staaten einen Sound mit messerscharfen Horns, flirrenden Hammondorgeln, nagenden Gitarren und pumpenden Bässen. Diese Musik wurde – und das macht ihren Reiz aus – mit lokalem Vokabular aufgeladen: mit Voodoo­-Rhythmen in Benin, mit Highlife-Melodien in Ghana, mit Yoruba-Tradition in Nigeria.

Schwarzes Gold

Beim Sammeln allein blieb es bei einigen der Afroholics allerdings nicht: Zum erklärten Ziel der Schatzjäger gehört es, den vergessenen Funk für die westliche Nachwelt aufzubereiten. Denn in Afrika selbst krähte kein Hahn mehr nach den alten Platten, grosse Bestände wurden bereits verbrannt und zerbröselt. Mit Akribie durchkämmen die Vinylverrückten bis heute alte Lagerschuppen und private Restbestände, machen sich dann ans Remastern der von Tropenpilz und Kratzern geschundenen Tonträger, interviewen die noch lebenden Legenden.

Ihre CDs sind Gesamtkunstwerke, aufwendige Klangbücher. Vorreiter war Quinton Scott vom Londoner Label Strut Records, der mit seinem «Nigeria 70»-Sampler 2001 die Blaupause für künftige Kompilationen lieferte. «Wir respektieren die Kultur und machen diese alte Musik einem Publikum zugänglich, das sonst nie etwas davon gehört hätte», stellt er klar. «Wenn du die Lizenzen abklärst, die Künstler der Originalaufnahmen bezahlst und diese dadurch schliesslich noch in Europa bekannt werden, kann ich darin kein Problem sehen.»

Unter diesen Voraussetzungen gräbt auch der Frankfurter Sami Ben Rejeb vom Verlag Analog Africa nach alten Scheiben und reist dafür von Burkina Faso bis Angola. Er heuerte zwischendurch sogar als Steward bei einer Fluglinie an, um Kisten voller Vinyl gebührenfrei nach Europa verfrachten zu können. «Bei den Sachen, die ich auswähle, kommt immer das Autodidaktische der einheimischen Musiker durch, es muss gegen den Strich gebürstet sein. Sauber aufgenommen, dreckig gespielt», bringt er die Klangmaxime auf den Punkt.

Miles Cleret von Soundway Records ist ein weiterer Afro-Aficionado, der durch Reisen nach Ghana und Nigeria auf den Geschmack kam: «Wir wählen tropische Musik aus, die eine besondere Note hat, originell ist, sich durch das Arrangement hervorhebt und bislang unveröffentlicht war.» Mit dieser Philosophie holte er unter anderem auch die ghanaische Legende Ebo Taylor aus der Versenkung.

Highlife-Hoheit

An Taylors Fall zeigt sich treffend, was durch die stete Nachfrage nach Afrofunk als schöner Kollateraleffekt ausgelöst wurde: ein dritter Bühnenfrühling der Helden von einst. Taylor hatte seine erste Band bereits, als Staatschef Kwame Nkrumah Ghana Ende der 1950er-Jahre zur Unabhängigkeit führte, er formte pionierhaft die damalige Popmusik des Landes, den Highlife, um. «Ich diskutierte damals oft mit Fela Kuti darüber, wie wir den Highlife weiterentwickeln könnten», erinnert er sich auf einer schattigen Bank der University of Legon in Accra, wo er Gitarre unterrichtet. «Irgendwann realisierte ich, dass unsere Musik seit der Kolonialisierung sehr nach Dur klang, ganz im Gegensatz zu der unserer Vorfahren. Ein Weg, da wieder rauszukommen, war der Funk.» Mit Mitte 70 ist der Gitarrist aus Ghanas zentralem Süden erstmals in Europa so bekannt, dass er nicht nur neue CDs einspielt, sondern auch durch angesagte Clubs tourt und mit der Berliner Afrobeat Academy eine neue Band gefunden hat, die locker anderthalb Generationen jünger ist als er.

Afrobeat als Weltsprache

Apropos Afrobeat: Er ist die nigerianische Ausprägung des Afrofunk, Ende der Sechziger ins Leben gerufen vom Saxofonisten Fela Kuti und seinem Drummer Tony Allen.

Afrobeat ist mittlerweile eine Weltsprache geworden, wird von Bands in Kanada, Israel, Neuseeland und Schweden gespielt. Näher ans Original als das New Yorker Kollektiv Antibalas kommt jedoch kaum eine andere Band heran. Das gute Dutzend multiethnischer Musiker um den Produzenten Victor Axelrod spielt auf seiner neuen Platte hautnah an den Sounds mit scheppernder Orgel und elefantösen Bläsern, die Kuti in den Siebzigern in seinem Club «The Shrine» in Lagos zelebrierte, bringt die Stücke auf ähnlich epische Länge und dichtet zudem ähnlich politisch provokative Texte.

Das neue Werk von Antibalas ist auf dem Retro-Label Daptone erschienen und zeigt, dass Neofunk- und -soul-bands aus den Staaten wie die Daptone Kings und ihre afrikanischen Kollegen am gleichen Strang ziehen. Antibalas haben auch den Respekt der Altstars: So liess es sich Tony Allen nicht nehmen, mit ihnen zu jammen. Der Mann, der die eigentliche rhythmische Urtinktur des Afrobeats verkörpert, erfreut sich heute immer noch grosser Bühnenpopularität, arbeitet mit Damon Albarn (Blur) und Jimi Tenor.

Der Hype beschränkt sich nicht auf Westafrika: Mit Mulatu Astatke hat sich auch eine äthiopische Legende der Siebziger zurück ins Rampenlicht gespielt. «Seit Jim Jarmusch ein paar meiner Stücke für ‹Broken Flowers› verwendet hat, sind meine Konzerte ausverkauft. Ich habe eine ganz neue Hörergruppe erreicht», sagt der Vibrafonist und Pianist, der sich schon während der Sechziger im New Yorker Umfeld von Duke Ellington und John Coltrane tummelte. Astatke hat unter Kaiser Selassie seinen «Ethio-Jazz» verfeinert, dann die harten Jahre der Militärdiktatur überdauert. Wie Ebo Taylor spielt auch er nun mit Youngstern in Gestalt der Heliocentrics aus London zusammen, die sich den patina­besetzten Sound Äthiopiens astrein angeeignet haben und mit einer grosszügigen Prise Psychedelischem nachwürzen.

Afrofunk goes Switzerland

Auch in Basel lässt sich ein kleiner Trend ausmachen. So kommt die Vinyl­fraktion etwa im Plattfon an der Feldbergstrasse auf ihre Kosten. Michael Zaugg bestätigt, dass nach Verkaufszahlen das Afrofunk-­Segment mit an der Spitze liegt. Und die Kaserne präsentiert im November eine ganze Serie von Konzerten. Veranstalter Sandro Bernasconi erläutert: «Wir haben in der ‹Antz In The Pantz›-Reihe ja mit Soul und Funk angefangen, und es ist eine logische Weiterentwicklung, dass wir nun auch afrikanische Künstler einladen.» Sein Haus habe sich für dieses Genre mittlerweile ein Stammpublikum erarbeitet, das sich über grosse Namen wie Aloe Blacc und Sharon Jones hinaus entdeckungslustig zeige.

Der Auftakt zur Afro-Ballung gehört einem Nigerianer, der allerdings eine Sonderstellung einnimmt: Songwriter Keziah Jones bringt Fela Kuti und Jimi Hendrix sophisticated unter einen Hut. «Blufunk» nennt er das – und fügt dem Hype um alte Sounds eine fast modernistische Farbe hinzu. Damit steht er abseits der Begeisterung für «dusty grooves», das Reich der staubigen Rillen, die ganz dialektisch zu erklären ist: als Sehnsucht nach einer rauen, ungeschliffenen Ästhetik im digital durchgestylten Musikzeitalter.

Konzerte
28.10. Keziah Jones
4.11. Antibalas
29.11. Mulatu Astatke
30.11. Ebo Taylor & The Afrobeat Academy (alle Kaserne, Basel)
5.11. Tony Allen (Moods, Zürich)
Afrofunk: Tonträger
Tony Allen: «Secret Agent» (World Circuit), Antibalas: «Antibalas» (Daptone), Mulatu Astatke: «Mulatu Steps Ahead» (Strut), Tunji Oyelana: «A Nigerian­Retrospective 1966–79» (Soundway), Ebo Taylor: «Appia Kwa Bridge» (Strut), Various: «Bambara Mystic Soul – The Raw Sound Of Burkina Faso 1974–1979» (Analog Africa)

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12

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