Galgenhumor im Knast

Der Autor Andrej Kurkow ist ein Meister der Groteske. Sein Erfolg zeigt, dass die Ukraine nicht nur Oligarchen und ein paar gute Fussballklubs vorzuweisen hat.

«Schwarzer Optimist»: Der ukrainische Autor Andrej Kurkow mag erfolglose Helden. (Bild: Jürg Vollmer / maiak.info)

Der Autor Andrej Kurkow ist ein Meister der Groteske. Sein Erfolg zeigt, dass die Ukraine nicht nur Oligarchen und ein paar gute Fussballklubs vorzuweisen hat.

«Meinen schönsten Traum von Freiheit», schreibt der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow als Motto über eine seiner Erzählungen, «habe ich im Kerker geträumt.» Oleg, wegen Unruhestörung kurz vor der «orangen Revolution» festgenommen, träumt im Gefängnis davon, Millionär zu werden. Er ist eigentlich guten Mutes: Das Bett im Knast ist zwar hart, das sei aber gut für die Wirbelsäule, meint er. Und das bescheidene Essen helfe ihm, ein paar Kilos abzunehmen. Das Einzige, was ihn zunächst stört, ist die hohe Luftfeuchtigkeit in seiner Zelle. Die weiss er sich aber zunutze zu machen: Er züchtet Champignons und verkauft diese an die Gefängnisküche.

Parabeln auf das Leben

In der wunderbaren Kurzgeschichte aus dem Jahr 2006 mit dem unglücklich gewählten Titel «Myzelistan» (wer weiss schon, dass ein Myzel ein Pilzgeflecht ist?) erweist sich Kurkow als Meister des Galgenhumors und der Groteske. Dies sind Qualitäten, die er in seinem Werk immer wieder aufblitzen lässt und die an den Dramatiker Nikolaj Gogol erinnern. Auch er war ukrainischer Herkunft. Man kann Kurkows Erzählung als Parabel auf das Leben in der Sowjetunion lesen. Am schönsten war der Traum der Freiheit für die Menschen, als sie im grossen Gefängnis Sowjetunion lebten. Im real existierenden Kapitalismus wurden dann viele enttäuscht, und sie sehnten sich nach ihrer Zelle zurück. Als Oleg in der Geschichte nach ein paar Wochen wieder frei kommt, wird er seines Geschäftsmodells, der Champignonzucht, beraubt. Er sucht sich eine neue Klause und schliesst sich zu Hause in seinem Bad ein.

Kurkow lernte nach 1991 schnell, wie man sich gut verkauft.

Die kurze Erzählung ist im Berliner Kleinstverlag Katzengraben-Presse erschienen, der auf bibliophile Kostbarkeiten spezialisiert ist. Das Buch ist ein erstklassiges Kunst-Werk, weil es nicht nur durch seinen Inhalt, sondern auch durch seine Gestaltung besticht: Verleger Christian Ewald hat es liebevoll mit einem Daumenkino illustriert. (Diese Eigenschaften und die limitierte Auflage erklären auch den hohen Preis von rund 120 Franken.)

Kurkow, 51 Jahre alt, wuchs in Kiew in der Ukraine auf und war ­während des Militärdienstes in der Sowjetarmee selbst Gefängniswärter. Sein richtiges Leben im Knast verlief bei Weitem nicht so reibungslos wie in seiner Erzählung. Gewisse Soldaten seien gewalttätiger gewesen als die Gefangenen, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Magazin der «Zeit»: «18 Monate lang funktionierte ich wie ein Roboter und wartete einfach das Ende ab.» Da habe er verstanden, dass das Leben tragisch sein könne. In seinen Erzählungen versuche er aber immer, ein bisschen Hoffnung zu geben. Er sieht sich als «schwarzen Optimisten»: «Das ist jemand, der weiss, dass am Ende alles okay sein wird, sich aber niemals sicher ist, dass er das Ende auch selbst erleben wird.»

Verkäufer in eigener Sache

Kurkow lebt heute in Kiew und London und schreibt in russischer Sprache. Dies ist nach Ukrainisch in dem jungen Staat das zweitwichtigste ­Idiom. Er verlegte seine Texte zu Zeiten der Sowjetunion im Samisdat (Selbstverlag). Nach dem Zusammenbruch des roten Imperiums 1991 lernte er schnell, wie man sich verkauft. Laut dem «Spiegel» borgte er sich damals 25’000 Dollar, um auf Plakaten in Kiews Bussen für ein Buch zu werben, eine Abrechnung mit der Stalin-Zeit. Noch bevor er ein einziges Exemplar verkauft hatte, pries er sein Werk als «Bestseller, über den alle reden».

Seinen bisher grössten Erfolg landete Kurkow mit seinem Roman «Picknick auf dem Eis» (1996). Darin geht es um einen erfolglosen Romanautor, der von seiner Freundin verlassen wird und sich einen Pinguin zulegt. Es ist eine leichtfüssige Groteske über die Zeit nach dem Kollaps der Sowjet­union, als Mafiabanden die Strassen Kiews beherrschten. Der Protagonist schreibt für eine Zeitung Nachrufe auf noch lebende Personen – damit bei ­ihrem Ableben die Nekrologe sofort veröffentlicht werden können.

Allmählich merkt er, dass diese Personen jeweils erstaunlich rasch das Zeitliche segnen und er ein Instrument im Krieg zweier Mafiabanden ist. Mit diesem Roman schrieb sich Kurkow in die Herzen vieler westlicher Leserinnen und Leser. Er wurde einer der ersten Verkaufsschlager eines postsowjetischen Schriftstellers im Westen, und die Geschichte lieferte auch die Vorlage für einen Film. Das Drehbuch dazu schrieb Kurkow selbst.

Auch im jüngsten Roman, «Der Gärtner von Otschakow», haben wir es mit einem sympathischen, aber erfolglosen Helden zu tun: mit dem arbeitslosen Igor, der mit 30 noch bei seiner Mutter lebt. Er entdeckt merkwürdige Dinge: Immer, wenn er in eine alte Sowjetuniform schlüpft, wird er in die Vergangenheit ins Jahr 1957 zurückversetzt und gewinnt so einen neuen Blick auf die Gegenwart.

  • Andrej Kurkow liest am Di, 12. März, im Literaturhaus Basel aus seinem Roman «Der Gärtner von Otschakow».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.03.13

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