Die Baritonsaxofonistin Céline Bonacina brachte mit ihrem Trio den Gare du Nord zum Brodeln.
Nachdem er letztes Jahr den Kreativkopf von ECM Records, Manfred Eicher, ans Jazzfestival geholt hatte, konnte Festivalchef Urs Blindenbacher dieses Mal mit einer weiteren legendären Produktivkraft des deutschen Jazz aus München aufwarten: Siggi Loch, Gründer von ACT Music gab sich zu Beginn des zweiten Labelabends die Ehre.
Was als Autorenlesung aus seiner Autobiographie angekündigt war, wurde zur spannenden und intimen Erzählstunde über ein ereignisreiches Leben. Vom jungen Kerl, der durch Sidney Bechet den Jazz entdeckte zum Testverkäufer der Electrola, vom Popmanager bei Warner in der höchsten Konzernetage zum engagierten Boss beim eigenen Jazzlabel, das in diesem Jahr 20 Jahre alt wird.
Lochs Philosophie: Unbedingtes Vertrauen und gute Chemie zwischen Künstler und Labelmacher, sowie die Forderung eines individuellen Konzepts von seinen Musikern, das sich einer großen Hörerschaft vermitteln lässt. «In the spirit of jazz» – so definiert der 72-Jährige die stilistische Ausrichtung. An den Glaubenskriegen, ob nur afro-amerikanische Musik Jazz sein könne, beteiligt er sich nicht. Der Erfolg gibt ihm recht: Denn angefangen von seinem frühen Engagement für Klaus Doldinger galt sein Herzblut immer der europäischen Szene.
Druckvolles Powertrio
Das zeigte sich nach dem «Gesprächspräludium» eindrücklich auch im Konzertteil des Gare du Nord-Abends: Die Französin Céline Bonacina verkörpert gewissermaßen die Eckpunkte der ACT-Historie: Als Gast agiert der vietnamesische Gitarrist Nguyen Lê auf ihrer Platte, ACTs erster Exklusivkünstler, und auf dessen Vermittlung wurde ihr Deal mit Siggi Loch eingefädelt. Nun ist sie eine der unbestritten aufregendsten Neuzugänge des Verlags.
Wo hat man das schon einmal gesehen und vor allem gehört: Das Baritonsaxofon, ein nicht gerade allzu häufiger Solovertreter der Instrumentenfamilie, in den Händen einer Dame! Als die zierliche und zugleich etwas herbe 36-Jährige auf die Bühne kommt, meint man fast, ihr Instrument überragt sie. Flankiert wird sie von zwei Kollegen, die an Schlagzeug und E-Bass alle Qualitäten eines druckvollen und perfekt aufeinander abgestimmten Powertrios an den Tag legen.
Mit der Präzision eines Martial Arts-Kriegers
Doch zunächst zur Hauptakteurin: Sie kostet auf ihrem Instrument breitgefächerte Möglichkeiten aus, lässt es schmatzen, schnaufen und hauchen, baut Grooves aus ihrem tonlosen, rhythmischen Atem, bricht in trillernde, heisere Schreie aus. Gerne schichtet sie ihre eigenen Klangspuren übereinander, schade, dass der Loopschalter immer wieder mit deutlichem Knacken zu hören ist.
Im Parallelgang mit Romain Labaye (nur einer ihrer unzähligen «Bassfreunde») rennt sie in chromatischen Riffs an; das klingt satt, massiv, manchmal sogar so monströs wie eine Zugmaschine, die nicht mehr zu bremsen ist. Labaye entwickelt dabei sagenhafte Wah-Wah-Linien, übertreibt es aber nie mit dem Slapping wie etliche seiner Kollegen im Funk. Und in der Mitte sitzt der madagassische Drummer Hary Ratsimbazafy: Ökonomisch und stringent sieht es aus, wie er sein höchst synkopisches, explosives und dabei immer aus dem Augenblick schöpfendes Spiel walten lässt, mit der Präzision eines Martial Arts-Kriegers.
Brodelnde Attacke
Bonacinas Material kommt äußerst divers daher: Mal wird eine scharfkantige Melodie aus flimmernden Halbtönen entrollt, mal wird es ganz lyrisch, wie in ihrer Komposition «Free Woman», bei der sie die hohen Lagen des Baritons traumwandelnd, eigensinnig ausreizt. Und dann nimmt die in Ostafrika und im Indischen Ozean tätige Musikpädagogin auf eine Reise auf die Île de la Réunion mit, leichtfüßig und angelehnt an die typischen Dreierrhythmen des dort heimischen Sega. Dafür greift sie dann auch zum Altsaxophon, auf dem sie einen wunderschönen, feingliedrigen Ton entwickelt.
Erdig dagegen geht es hinein in den «Zig Zag Blues», versonnen in die Komposition «RAB» mit tastendem Bass-Schreiten. Als besonders schönen Effekt der Publikumsmitwirkung lässt sie hier den Rainmaker durchs Auditorium wandern. Eine letzte brodelnde Attacke gibt es mit «Jungle» – auf wilder Jagd in Oktavsprüngen empfehlen sich die drei jungen Musiker. Er wolle noch lange nicht abtreten, hatte ACT-Chef Siggi Loch eingangs versprochen – bei Künstlern mit solch überbordernder Frische muss einem um die Zukunft seines Labels auch nicht bange sein.
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Siggi Loch – «Plattenboss aus Leidenschaft» (Edel Germany)