Genug der Worte

Gleich mit zwei Filmen feiert Hollywood die tonlose Epoche: «Hugo» von Scorsese und «The Artist» von Michel Hazanavicius.

«Hugo» (Asa Butterfield) trifft auf Georges Méliès (Ben Kingsley). (Bild: Ascot Elite/zVg)

Gleich mit zwei Filmen feiert Hollywood die tonlose Epoche: «Hugo» von Scorsese und «The Artist» von Michel Hazanavicius.

Haben wir genug von dem Gerede? Das Kino schon. Es kehrt – mit einem Bein tief in der dritten Dimension – zurück an seinen Anfang, wo das Wort nicht war. Gleich zweimal feiert Hollywood die tonlose Epoche im Bilderrausch. Der Worte sind genug gewechselt. Lasst uns Bilder sehn. Mit «The Artist» schreibt der Franzose Michel Hazanavicius die Filmgeschichte des amerikanischen Stummfilms weiter. Mit «Hugo» erzählt der Amerikaner Scorsese ein Kapitel der französischen Filmgeschichte in drei Dimensionen.

Der Ursprung der Lichtspiele

Wenn Martin Scorsese sich zu Wort und Bild meldet, ist ein Kinoerlebnis garantiert. Bereits in der ersten Einstellung macht er klar, was er in «Hugo» vorhat. Schwindelerregend, wie uns Scorsese aus dem Himmel in das enge 3D-Perron des Pariser Bahnhofs stürzt, zum Ursprungsort der Kinematografie – 1895 floh das Publikum noch vor der Projektion eines heranfahrenden Zugs. «Hugo» fährt ein wie der gestanzte Fotostreifen der Gebrüder Lumière damals im Lichtspielhaus – zauberhaft. So haben wir 3D noch nicht gesehen. Scorsese verbeugt sich vor dem Stummfilmzauberer Méliès, für den der Mond nur einen Hüpfer von der Erde entfernt war.

Die Geschichte ist rasch erzählt: Der kleine Hugo lebt mitten in Uhrwerken. Modern Times. Der Technik-Freak will das Einzige, was ihm vom verstorbenen Vater geblieben ist, reparieren: eine mechanische Puppe (zu besichtigen sind solche Puppen, wie sie 1770 der Schweizer Uhrmacher Jaquet-Droz gebaut hat, übrigens im Musée d’Art et d’Histoire in Neuenburg). Klar, dass es Hugo gelingt, die Puppe zu reparieren. Diese zeichnet ihm eine Botschaft von seinem Vater und führt den kleinen Zauberlehrling zum Meister: zu Georges Méliès.

Wenn auch «Hugo» manchmal einen etwas didaktischen Ton anschlägt: Der Film lädt zu einer Reise ins Museum der Filmgeschichte ein. Hugo hangelt – wie einst Harold Lloyd – am gros-sen Zeiger der Uhr über den Dächern der Grossstadt. Fast zermalmen den Kleinen die Räder der Uhr, wie einst Chaplin. Wir dürfen sogar das Original des einfahrenden Zuges der Gebrüder Lumière sehen.

Die Herstellung des Mythos Film

Noch konsequenter kommt «The Artist» ohne Wort und Farbe aus. Trotzdem ist dieser weit mehr als bloss ein prächtiger Stummfilm. Weil er die Herstellung von Film, ebenso wie die Herstellung des Mythos Film so knapp zusammenfassen kann, wie es nur der Stummfilm konnte, kann er es auch gern pathetisch tun. Da ist kein Augenblick von Ironie im Hauptfilm. Wenn, dann höchstens im Film im Film.

Wie Scorsese verbeugt sich auch Michel Hazanavicius vor Stummfilm-Vorbildern, indem er diese zitiert: Murnau («Der letzte Mann»), Borzage («Farewell to Arms»), King Vidor («The Big Parade») und von Stroheim (der in «Sunset Boulevard» einen Abgesang auf alte Stummfilmstars anstimmte). «Hugo» ist eine rasant erzählte Geschichte, die kaum Dialog bräuchte. «The Artist» braucht noch weniger: ein paar eingeblendete Titel und als einziges Wort das wichtigste des Filmemachens überhaupt – ganz zum Schluss: «Action!»

  • «The Artist» ist bereits angelaufen, «Hugo» kommt am 9.2. ins Kino.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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