Gertrude Stein in der Kaserne: Hundert Arten, wie jemand Leben fühlen kann

Marcel Schwald dampfte Gertrude Steins sperriges Monsterwerk «The Making of Americans» auf eine hundertminütige Bühnenperformance ein. Das Resultat ist anspruchsvoll und zugleich erstaunlich leichtfüssig.

Julia Schmidt und Susanne Abelein als Maker of Americans.

(Bild: Kay Meyer)

Marcel Schwald dampfte Gertrude Steins sperriges Monsterwerk «The Making of Americans» auf eine hundertminütige Bühnenperformance ein. Das Resultat ist anspruchsvoll und zugleich erstaunlich leichtfüssig.

Aus den Lautsprecherboxen säuselt Robin Gibb von den Bee Gees «I started a Joke» und vom Bühnenhimmel im Rossstall der Kaserne Basel regnet es leere Papierseiten, die aus einer ganzen Batterie von Druckern ausgespuckt werden. Darunter tragen zwei mehr oder weniger elegante Damen sperrige Lebensweisheiten vor.

Das klingt dann in etwa so: «Es macht mich ein wenig unglücklich, dass alles so komisch ist.» Oder so: «Ihr habt ein reiches Leben heutzutage – beim nichts tun.»

Dass hier ein Komma und ein Gedankenstrich gesetzt wurden, entspricht nicht dem Originaltext. Der stammt von der US-amerikanischen Avantgardistin Gertrude Stein (1874 – 1946) und die hatte es nicht so sehr mit Satzzeichen. Und auch nicht mit konzisen Sätzen oder einer einfach nachvollziehbaren Sprache.

Ein ungelesenes Monsterwerk

Der Basler Theatermacher Marcel Schwald und ein Schauspielerinnentrio mit Susanne Abelein, Julia Schmidt und Ariane Andereggen haben sich an Steins Monsterwerk «The Making of Americans» herangemacht – ein weitum ungelesenes Kultwerk mit über tausend Seiten oder – anders gerechnet – einem Textstrang von 4,5 Kilometern Länge, wie der Schriftsteller Jürg Laederach einst für den «Spiegel» nachgemessen hat.

Das ist eigentlich eine unmögliche Ausgangslage, zumal Avantgarde von gestern ausgesprochen gestrig sein kann. Eine Handlung? Kann man vergessen. Das ganze ist Postdramatik pur. Aber Schwald ist ein Theatermann, der solche Herausforderungen liebt, der immer wieder die Grenzbereiche der Sprache und der Performance betritt. Und er hatte sich im Dezember 2015, ebenfalls in der Kaserne Basel, mit einer mehrtägigen Marathon-Lesung des Werks gut vorbereitet.

Hohe Bühnenpräsenz

Heute hat er Schauspielerinnen an seiner Seite, die eine fesselnde Bühnenpräsenz haben. Auch wenn sie sich, wie Susanne Abelein mit einem grünlich leuchtenden Glas in der Hand kaum von der Stelle bewegen. Oder wie Julia Schmidt mit einem eingefrorenen Lächeln im Gesicht und von einer geheimnisvoll-distanzierten Aura umgeben unentwegt über die Bühne wandeln.

Den Höhepunkt des Abends erlebt man aber im ersten Teil, wenn noch nicht Stein deklamiert wird. Ariane Andereggen präsentiert als Auftakt so etwas wie The Making of a Stein Performance. Und sie tut dies auf wunderbare Art, zugleich abgeklärt und emotional, die grosses Vergnügen bereitet. Und Erkenntnisse vermittelt. Wenn sie zum Beispiel sagt: «Ich rede nicht, ich bin eine Redende», so wird das im zweiten Teil des Abends auf das Genauste bestätigt.

Schwierig, aber vergnüglich

Auch wenn der zweite, eigentliche Stein-Teil des Abends gewisse Längen hat: Übers Ganze gesehen, schaffen es Schwald und sein vorzügliches Ensemble, dem schwierigen, repetitiven und sperrigen Text erstaunlich viel Leben einzuhauchen. Und am Schluss hat man schon beinahe das Gefühl, Gertrude Stein verstanden zu haben.


Kaserne Basel: «The Making of Americans von Gertrude Stein». Weitere Vorstellungen: 13. bis 15. Januar

 

 

 

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