Mathematik kann auch schön sein. Die Matterhorn Produktionen bringen mit «Die Mannigfalte» einen Auszug von Eulers Werk auf die Bühne der Kaserne.
«Der Mathematikunterricht an Schulen ist vergleichbar mit einem Schwimmunterricht ohne Wasser und ohne nass werden. Man müsste die Mathematik aus der Schule in Richtung Sportplatz tragen». Norbert A’Campo, emeritierter Mathematik-Professor der Uni Basel, glaubt, ein praktischerer und freierer Zugang zu seinem Fach würde auch dessen Schönheit aufzeigen. Und um genau diese geht es Ursina Greuel in ihrem Mathematik-Stück «Die Mannigfalte».
Die Realität sieht aber zunächst einmal so aus, dass die meisten von uns in der Mathematik ein Monster sehen, gegen das sie jahrelang und frustriert ankämpften, «etwas Abgespaltenes, das wir nicht verstehen». Die Tapfersten haben ihre Überforderung spätestens dann erlebt, als Unbekannte, Kurven und Ableitungen in die Schlacht eingriffen. Aus dem unerschöpflich scheinenden Fundus an frühen und frühsten Erinnerungen mit der Mathematik schöpfen die Schauspieler Franziska von Fischer, Newa Grawit, Simone Keller, Lou Bihler, Krishan Krone und Oliver Meier zu Beginn des Stücks und sprechen dabei wohl nicht nur der anwesenden Schulklasse aus der Seele.
Das Schöne herausarbeiten
In einem zweiten Anlauf startet also der Versuch, das Schöne der Mathematik herauszuarbeiten. Dies gelingt nur, «wenn man sich weigert, etwas für den Gewinn zu untersuchen». Die Mathematik muss ihrer selbst Willen funktionieren und verstanden werden. «Wenn die schönen Picasso-Gemälde, die es auf der Welt gibt, auf einmal für wirtschaftlich Zwecke verwendet werden könnten, wenn man sie zum Beispiel in Handys einbauen könnte, dann wäre ihre Schönheit schnell dahin», beschreibt A’Campo das unglückliche Los seiner Zunft.
Das Stück jongliert mit mathematischen Vergleichen, Formeln und Zahlen. Parallel dazu und gleichberechtigt setzt Greuel mit der Musik (Piano: Simone Keller) und dem Tanz zwei schöne Künste ein, die eigens für das Stück und nach mathematischen Formeln komponiert wurden.
Mit einem Teller Spaghetti erklären
Handlung und Protagonisten kennt das Stück nicht. Die namenlosen Figuren stellen sich ganz in den Dienst der mathematischen Schönheit. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der Euler-Charakteristik, deren Nutzen A’Campo in einer projizierten Vorlesung mit der Berechnung eines Tellers Spaghetti erklärt. Dass dieser Nutzen der Schönheit aber abträglich ist, darum geht es Greuel und den Mathematikern.
E – K + F = 2: Die Schauspieler, Tänzer und Musiker bearbeiten Eulers Formel mit allen Mitteln. Ganz verständlich wird es den Fachunkundigen unter den Zuschauern nicht. Auch Professor Knörrers Worte verschenken nur bedingt Einsicht und Verständnis, lassen aber erahnen, wo sich das Schöne versteckt hält: «Du nimmst die Kugeloberfläche, nimmst einen einbeschriebenen Kubus, also einen Würfel, der in der Kugel drin liegt und projizierst den vom Kugelzentrum nach aussen, dann entsteht so etwas.»
Bis zur Unkenntlichkeit verzerren
«Die Mannigfalte» bringt Mathematik direkt und auf verschiedenen Kanälen auf die Bühne. «Es war mir wichtig, kein Stück über sondern mit Mathematik zu machen», so die Regisseurin. Ausser den Erinnerungsfetzen an den frühen Mathe-Unterricht stammt der gesamte Text des Stücks wörtlich aus Interviews, die Ursina Greuel mit den Mathematikern Prof. Norbert A’Campo, Prof. Gert-Martin Greuel, Prof. Horst Knörrer und Prof. Hanspeter Kraft geführt hat.
Die mathematisch-philosophischen Textfetzen, die teilweise im O-Ton und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verzerrt vorgetragen werden, sind immer wieder begleitet von den speziell für das Stück geschriebenen Kompositionen (u.a. Philip Bartels, Juhee Chung und Kevin Gray Flowers). Das Stück erteilt keinen mathematischen Schwimmunterricht und so verlassen die halb verwirrten und halb begeisterten Zuschauer die Kaserne trocken, aber mit dem Gefühl, der Mathematik ein bisschen mehr Schönheit abzugewinnen.