Gestatten: Chris Hunter, Sammler.

Wäre Chris Hunter ein Kunstwerk, er wäre eins seiner eigenen: Sanftmütig und von eindringlicher Tragweite. Ein Besuch in seinem Sammelsurium von einem Atelier.

Plastiktüten? Unter anderem.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Wäre Chris Hunter ein Kunstwerk, er wäre eins seiner eigenen: Sanftmütig und von eindringlicher Tragweite. Ein Besuch in seinem Sammelsurium von einem Atelier.

Ein Schritt in Chris Hunters Atelier und sofort ist klar: Das hier wird eine kurzweilige Sache. Das kleine Zimmer in der ehemaligen Brauerei Warteck, in dem sich Hunter zusammen mit Künstlerkollege Raphael Stucky eingemietet hat, ist raumgewordener Traum eines jeden Geschichtenerzählers: Stapelweise Bücher mit bizarren Typografien, alte Fotoalben, Bretter, Plastiktüten mit Krimskrams und haufenweise kleine Fundstücke, die Hunter auf seinen zahlreichen Spaziergängen zusammengetragen hat. Bei ihm zuhause sei es zeitweise noch ärger, sagt Hunter und schmunzelt während er zwei Stühle bereitstellt. Sein Mitbewohner bezeichne sein Zimmer regelmässig als Brockenstube.

Die Sammelwut des Bündners, der 2010 fürs Kunststudium nach Basel kam, ist nicht nur Teil seiner Persönlichkeit, sie fügt sich auch nahtlos in seine Kunst ein: Hunter verwertet Gefundenes in seinen Werken – ölverschmierte Regalbretter aus Abbruchhäusern, Sperrgut-Trouvaillen oder «Gratis zum Mitnehmen»-Zettel – und inszeniert es mit einem derart feinen Gespür für Poesie, dass der Betrachter kaum mitbekommt, wie ihm geschieht. Die Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten ist eine merkwürdige Sache: Sie stehen da, man schaut sie an und weiss: Hier ist etwas Besonderes am Werk. Aber man kommt nicht dahinter, es bleibt in der Gefühlsebene hängen, ein Echo, das trotz beharrlicher Uneindeutigkeit so sehr mit uns zu tun hat, dass es noch stundenlang nach dem Ausstellungsbesuch nachhallt.

Und jetzt noch einmal ohne Gschpürschmi

Verschachtelter Erklärungsversuch? Point taken. Ein Beispiel: Hunter steht von seinem Stuhl auf und läuft zur kleinen Kochnische im Atelier. Er kommt mit einem kleinen Holzbrett zurück. «Sieh mal, das habe ich kürzlich gefunden – im Moment ist es noch unser Brotbrett, aber wer weiss». Man denkt: Ok, ein Schneidebrett. Und dann hält er es hoch und zeigt die roten Einfärbungen und erzählt von den Möglichkeiten, die hinter diesen Spuren stecken könnten. Mit einem Mal ist der Gebrauchsgegenstand verschwunden und an seine Stelle eine Bandbreite an Geschichten getreten. Mit wenigen Worten (und Hunter ist kein Mann der grossen auftragenden Worte, er entspricht in der Ausstrahlung seinen Werken: Sanftmütig und von eindringlicher Tragweite) hat er die Ausgangslagen vervielfacht und den Spielraum geöffnet. 



Ein Brotbrett? Unter anderem.

Ein Brotbrett? Unter anderem. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Eine solche Öffnung präsentiert Hunter auch an der Regionale – im T66 Kulturwerk und im Kunsthaus L6 in Freiburg – mit kleinen Gebilden, die an die improvisierten Konstruktionen der Bauern in Hunters Heimatkanton erinnern, an behelfsmässige Stützen oder Halterungen in Maiensässen. Auf den zweiten Blick entfällt jedoch die Funktionalität, zurück bleibt das Kunstwerk. Auch hier hat Hunter grösstenteils mit gefundenen Objekten gearbeitet – die Welt, die er uns vorsetzt, setzt sich aus dem zusammen, was eigentlich nicht mehr in sie hineingehört. 



Schlichte Geschichte: Chris Hunters Werke an der Regionale.

Schlichte Geschichte: Chris Hunters Werke an der Regionale.

Gehört dazu auch der merkwürdige Stab mit angebrachtem blauen Sieb, den ich in einer Ecke entdecke? Hunter lacht, «Eines meiner Lieblingsstücke!». Sein Gesicht geht auf, wie das eines verzückten Kindes und man freut sich, dass man in diesem kunterbunten Atelier ein Stück seiner Welt abkriegt. Was war jetzt nochmal mit dem Sieb? «Genau», Hunter steht auf, holt den Stab und fängt noch im Stehen an zu erzählen: Wie er während seines Atelierstipendiums in Paris jeden Freitag einen grossen Marktstand besucht hat, der so breit war, dass der Verkäufer nicht bis zum Käufer reichen konnte und sich deshalb eine Art Armprothese angefertigt habe – ebendieser Stab mit dem Sieb, wo man Produkt und Geld hineinlegen konnte, der Verkäufer es zu sich nahm, den Artikel verpackte und mit dem Rückgeld zusammen wieder Richtung Käufer schwenkte. 



Ein Stab mit Sieb? Unter anderem.

Ein Stab mit Sieb? Unter anderem. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Hunter war fasziniert von dem Teil, also bastelte er mit Zutaten des Stands eine eigene Version – und bot sie dem Verkäufer zum Tausch an. Dieser hatte jedoch kein Verständnis und zeigte sich uninteressiert. Hunter zuckt mit den Schultern. Es müssen nicht alle sein Universum verstehen. Am Ende seines Aufenthalts nahm er den Stab mit nach Basel. «Und jetzt steht er hier ein bisschen rum und wartet auf seinen Einsatz.» Er nimmt einen Schluck Kaffee. Alles zu seiner Zeit. 

Am Ende unseres Gesprächs liegen zwischen unseren beiden Stühlen: Das Schneidbrett, zwei kleine botanische Bestimmungsbücher, zwei grossformatige und drei kleine Malereien auf Packpapier, ein Zimmerpflanzenkatalog aus den 70ern, fünf Pariser Fotoalben der ungefähren Zeitspanne 1940-1980, die Prothese und ein 100-jähriges Buch mit dem Titel «DIE REKLAME» für Schaufensterdekorateure, aus dem Hunter während des Gesprächs ein bisschen vorlas. Eine gute Bilanz. Und getreu des Mitbewohners Worten: Aus der wahrlich spannendsten Brockenstube Basels.




(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

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«Regionale 16», T66 Kulturwerk und Kunsthaus L6, Freiburg. Bis 3. Januar 2015.

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