Gestürzte Herrscher, zertrampelte Burgen

Rasante Reflexe und repetitive Reflektionsschlaufen, explosive Affekte und auspowernde Erschöpfung: Alles, alles ist auf «Sand» gebaut, sagt uns Sebastian Nüblings Tanztheater. Die Premiere: ein Prototyp fürs Junge Theater der Postmoderne.

«Sand»-Ensemble (Bild: Matthias Horn)

Rasante Reflexe und repetitive Reflektionsschlaufen, explosive Affekte und auspowernde Erschöpfung: Alles, alles ist auf «Sand» gebaut, sagt uns Sebastian Nüblings Tanztheater. Die Premiere: ein Prototyp fürs Junge Theater der Postmoderne.

Was für eine Kulisse: Im gleissend weissen Licht der Scheinwerfer, so weit das Auge reicht, nichts als schwerer, feuchter Sand. Mitten drin: vierzehn Jugendliche und junge Erwachsene, die dem Publikum in der ausverkauften Kaserne auf einer Sandbank gegenüber sitzen. Elektrisierende Spannung baut sich auf, die sich schliesslich auf einen Schlag als Blitz, als kollektives Zucken entlädt.

Die Meute rennt los, im Kreis, immer wieder, bis die ersten erschöpft umfallen, aufgeben, zur Bank zurückhumpeln. So lange, bis sich aus dem Rudel die Alphatiere herauskristallisiert und an die Spitze gekämpft haben. Steht die Rangordnung, kommt es zum kurzen Einklang im Takt: Eine anspruchsvolle, akrobatische Bewegungsabfolge, irgendwo zwischen Modern Dance und Kickboxing, die sich Choreograf Ives Thuwis hat einfallen lassen. Wie komplex die Herausforderung für Kopf genauso wie Körper sein muss, verrät nicht nur der in alle Richtungen aufwirbelnde und herunterrieselnde Sand, sondern auch das Keuchen und Knurren, das Seufzen und Stöhnen der jungen Darsteller.

Labor der Liebe, Experimentierfeld der Emotionen

Was für ein spektakulärer, explosiver Auftakt also insgesamt auch für die Premiere des Tanztheaters «Sand», das als Inszenierung geradezu klassisch wirkt. Denn hier, in der von Regisseur Sebastian Nübling zum Sandkasten mutierten Kaserne, findet sich alles, was das Junge Theater kennzeichnet und ausmacht: Die Laborsituation für das Erproben von Machtspielen, das Experimentierfeld ungezügelter Emotionen, der ersten Liebe, das Austesten physisch-psychischer Grenzen bis zum Zusammenbruch.

Da werden Burgen gebaut und zertrampelt, da werden Herrscher gekrönt und gestürzt, da wird gebaggert und gekreischt, gesungen und geweint. All dies tun die fünf jugendlichen Darsteller des Jungen Theaters und ihre fünf älteren Kollegen vom Schauspielhaus Zürich prächtig und inbrünstig, ausdauernd und auspowernd. Am Rande der adoleszenten Spass- und Grabenkämpfe spielt dazu die vierköpfige Basler Band James Legeres, zelebriert Rock als Sehnsuchtsort, setzt mit melancholischen Abgesängen auf die posthumanitäre Jetztzeit, mit der Würdigung des Leben als wandelnder Widerspruch, einen überaus stimmungsvollen Rahmen für das Geschehen.

Flüchtige Gefühle, fragile Gesellschaft

Gefühle sind hier genauso fragil und flüchtig wie die gesellschaftlichen Komplexe, die wortlos konstruiert werden, um im nächsten Moment wieder einzuknicken oder gar zusammenzukrachen. Beständig bleibt im steten (Teufels-) Kreislauf des Aufkeimens und Krepierens, in dieser riesigen Repetitions- und Reflektionsschlaufe, nur der Rhythmus. Alles, alles ist auf Sand gebaut, scheint uns Nübling zu sagen, bevor er seine Truppe aufs Neue lospreschen lässt.

Mit zunehmender Zeit beginnt die rasante Inszenierung allerdings an den allzu strapazierten Nerven zu zerren. Doch Erholungszeit gönnt das Ensemble seinen Zuschauern über die 90 Minuten keine. Bis ins Klischeehafte wird die Verausgabung durchexerziert, bis jeder Darsteller zum Zug gekommen ist, sein letztes energetisches Zucken zur Schau gestellt hat. Bis alle Euphorie und Hysterie in der endgültigen Erschöpfung versandet, und man als Kollektiv ermattet zurück auf die Bank sinkt. Das macht die Premiere von «Sand» zum perfekten Prototypen des Jungen Theaters der Gegenwart – im Guten genauso wie im Schlechten.

Weitere Vorstellungen: Reithalle, Kaserne Basel, Klybeckstrasse 1B, Do 19. bis So 22. Januar, Do 26. bis Sa 28. Januar. Zeit: jeweils 20 Uhr, am Sonntag um 19 Uhr.

 

Quellen

www.kaserne-basel.ch

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