Graffiti-Banausin Karen lernt an der «Line Tour» dazu

Basel hat eine lebendige Graffiti-Szene. Eine Tour lädt nun dazu ein, diese etwas besser kennenzulernen. Bringt das was? Ein Selbstversuch.

(Bild: Karen N. Gerig)

Basel hat eine lebendige Graffiti-Szene. Eine Tour lädt nun dazu ein, diese etwas besser kennenzulernen. Bringt das was? Ein Selbstversuch.

Über Graffiti lernt man im Kunstgeschichtsstudium nichts. Bringt mir eine Mittelalter-Ikone und ich ordne sie Euch ein. Aber diese bunten Schriftzüge, Fehlanzeige, nicht mal richtig buchstabieren geht – waren es jetzt zwei f oder zwei t?

Eigentlich ist das eine Schande, hier in Basel. Denn ob an der Bahnstrecke oder im Tunnel dem 14er-Tram entlang Richtung St. Jakob: Graffiti sind omnipräsent. Und ein paar berühmte Sprayer haben wir mit Dare und Smash137 auch (die kenn ich immerhin!).

Ich kann also noch dazulernen, und das will ich nun tun: An einer vom Artstübli organisierten Führung, durchgeführt von Kunstvermittler David Lucco, der früher auch mal zur hiesigen Sprayerszene gehörte. Aber dazu später mehr.




Karte erhalten, es kann losgehen. (Bild: Karen N. Gerig)

Treffen tut man sich zu dieser 2,5-stündigen Tour bei der Tramhaltestelle Münchensteinerstrasse. Es hat an diesem Mittwochabend um 18 Uhr über 30 Grad, trotzdem hab ich meine Birkenstocks mal sicherheitshalber durch Turnschuhe ersetzt. Man weiss ja nie. War aber unnötig, wie sich herausstellt: Der Spaziergang, der beim Schänzli endet, findet durchwegs auf geteerten Wegen statt.

Aber dort sind wir noch lange nicht.

Die Tour beginnt beim Radweg hinter dem Novotel. Dort lernen wir zunächst mal ein paar wichtige Wörter: Line zum Beispiel, in Basel besonders wichtig für die Wände entlang der Bahnlinie, die bei Sprayern äusserst beliebt sind. Weils halt jeder sieht, macht Sinn. Denn die Züge fahren hier langsam, dem Betrachter in diesem öffentlichen Kunstraum bleibt Zeit.




Die Basler Line – begehrter Ort für Sprayer. (Bild: Karen N. Gerig)

Anglizismen übrigens, so unser Guide Lucco weiter, verwende er nicht, weil er cool sein wolle, sondern weil die Hip-Hop-Welt so funktioniert. Aha.

Nächste Erkenntnis: Kurze Namen sind populär, weil prägnant. Dare, Smash, Dream, Swet etc. Ich mutmasse, dass das auch damit zu tun hat, dass man mit seinem Graffiti dann schneller fertig ist. Könnte ja sein, dass man plötzlich wegrennen muss. Denn noch immer werden Graffiti an gewissen Orten zwar toleriert, legal sprayen die meist jungen Männer dort aber immer noch nicht. Das geht nur an wenigen ausgewiesenen Orten, zum Beispiel bei der Tramwendeschlaufe beim Schänzli.

Sprayer müssen schnell sein. Deshalb arbeiten sie auch in Etappen. Grundieren zum Beispiel mal eine Fläche, die dann später erst neu gestaltet wird. Graue Flächen wie diese sind ein Hinweis darauf, dass sich hier bald was tun wird:




Hier passiert bald etwas. (Bild: Karen N. Gerig)

Als erstes Beispiel für lokale Sprayer erzählt uns Lucco nun von Dare, auch bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Sigi von Koeding. Dare starb im Jahr 2010 – der Respekt seiner Kollegen ist ihm aber bis heute geblieben, und so finden sich noch mehrere Werke von ihm an der Basler Line.

Wie eigentlich alle Graffitisprayer sprayte Dare hauptsächlich seinen Namen. «Man fängt meist im Kindesalter damit an», sagt Lucco. «Das ist so eine Egosache.»

Die Tour geht weiter, der Line entlang in Richtung St. Jakob. Was hält eigentlich die Sprayerszene von solchen Touren? «Man kann es nie allen recht machen», meint Lucco. «Den einen ist es egal, für die anderen ist sowas gleichbedeutend mit dem Ausverkauf der Szene.» Viele Sprayer wollen grundsätzlich nichts mit Geld oder dem Markt zu tun haben. Auch Auftragsarbeit ist Verrat.




«Dare Rest in Peace» – eine Hommage an den 2010 verstorbenen Sprayer an einem seiner Werke. (Bild: Karen N. Gerig)

Wir sind in einer Unterführung des Veloweges angelangt, der nächste Halt. Lucco drückt uns einen Zettel in die Hand, darauf Teile eines Graffitis. Wir sollen an der Line danach suchen und das Bild ergänzen. «FTP» sind die Buchstaben, die wir bald alle zeichnen. Sie sind nicht zu übersehen und stammen von Dare – als Hommage haben andere Sprayer sein Werk farblich aufgefrischt. «Fuck the Police» bedeutet das, Ausdruck einer klaren Haltung. Später werden wir noch die Buchstabenfolge «FYA» kennenlernen – «Fuck You All».

Die Wände der Bahnlinie erreiche man relativ einfach, erzählt Lucco. «Das sehe ich auch als Signal dafür, dass die SBB die Sprayereien hier grundsätzlich tolerieren – sonst würden sie das Gelände besser sichern.» Er muss es wissen, schliesslich gehörte er früher zur Szene. Man kenne irgendwann auch die Züge, wisse, wann sie fahren, und vor allem die Zugsignale, der Sicherheit wegen. Zwei Leben hat die Basler Line bislang gefordert. Das sei wenig, zum Glück, meint Lucco.




Ruf mal an! (Bild: Karen N. Gerig)

Beim Weiterlaufen wundern wir uns über eine gross gesprayte Telefonnummer. «Die Nummer der Antigraffiti-Einheit», klärt Lucco auf. Ein bisschen Humor muss sein …

Die Basler Szene sei recht entspannt, sagt Lucco. «Es geht den meisten um Ästhetik.» In anderen Städten sei das anders, da gebe es manchmal ziemlich Stress unter verschiedenen Gruppen, beispielsweise weil Arbeiten übersprayt wurden.

Basel kennt einige innovative junge Sprayer. Jers & Aley zum Beispiel, die auch mal mit kleinen Spiegeln arbeiten oder mit Graffiti, die sich verändern, wenn man daran vorbeifährt. Doch solcherlei ist selten.

Ein guter Moment, um über den Unterschied zwischen Graffitis und Streetart zu reden. Graffiti ist hauptsächlich Schrift, klärt Lucco auf, selten aufgelockert durch Bilder. Streetart hat sich daraus entwickelt, ist allerdings meist bildlastiger und ortsbezogen.




Das wäre dann also ein Beispiel für Streetart. (Bild: Karen N. Gerig)

Inzwischen sind wir bei der Bezirksfeuerwehr angelangt, ein Ort, den man sonst wohl nie aufsucht. Hier findet sich noch ein Stück eines 30 Jahre alten Dare-Graffitis, das grösstenteils jedoch übersprayt wurde. «Wahrscheinlich von einem jungen Sprayer, der keine Ahnung hatte», meint Lucco.




Hinten Dare, vorne ein Unbekannter. (Bild: Karen N. Gerig)

Bei einem Treppenabgang bleibt Lucco stehen. «Hier sind wir – eh – sind sie früher immer runter gesprungen», sagt er. Und grinst. Er ist ein guter Führer, teilt offen seine eigenen Erfahrungen und Geschichten, beantwortet jede noch so doofe Frage.

Es sei nicht einfach gewesen, jemanden als Guide für diese Tour zu finden, sagt Philipp Brogli vom Artstübli später: «Die, die sich auskennen, wollen anonym bleiben.»

Tatsächlich kennt die Öffentlichkeit nur selten die Namen, die sich hinter den Pseudonymen verstecken. Sigi von Koeding alias Dare war eine Ausnahme. Die zweite ist der bekannteste noch lebende Sprayer: Smash137, bürgerlich Adrian Falkner. Einer derjenigen Sprayer, die auch auf Leinwand malen und in einer Galerie ausstellen. Die Szene sieht das nicht gerne.




Smashs Style-Tree, ein Stammbaum des Stils. (Bild: Karen N. Gerig)

«Smash» liest man auf dieser Tour äusserst oft. Das hat vor allem mit der Unterführung vor dem Joggeli zu tun: «Das ist Smashs Egoline», sagt Lucco. Hier findet sich auch sein Style-Tree, eine Auflistung jener Künstler, die ihn beeinflusst haben – und die er beeinflusst.

Inzwischen sind wir am Schänzli angelangt. Hier darf man legal sprayen, und hier dürfen auch wir zum Schluss noch etwas Farbgeruch aus Spraydosen atmen, bevor wir uns um vieles schlauer als vorher auf den Heimweg machen. Wir übersprayen Graffiti anderer Leute, weil das halt auch dazu gehört. «Jeder Sprayer ist sich der Vergänglichkeit seiner Werke bewusst», sagt Lucco.

Das Gute daran: So verändert sich dieses Frischluft-Museum ständig. Und die Tour, wie ich sie gerade erlebt habe, wird beim nächsten Mal eventuell bereits wieder anders aussehen – wer weiss.




Und jetzt dürfen wir ran, yeah! (Bild: Karen N. Gerig)

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Basel «Line Tour», mehrmals im Monat, Durchführung ab mindestens 8 Personen (Fr. 29.– pro Person).

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