Grandioses Heimspiel im Doppelpack

Gute Tradition am Jazzfestival ist es, neben den Weltstars auch immer wieder heimisches Schaffen zu präsentieren. Mit den intensiven Konzerten von Spinnler/Stiefel und Feigenwinter 3 geriet heuer der Basel-Fokus in der vollbesetzten Kaserne gar zu einem Highlight des Festival-Programms.

Lisette Spinnler brachte ihr neues Duo-Projekt «Bima Sakti» auf die Bühne. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Gute Tradition am Jazzfestival ist es, neben den Weltstars auch immer wieder heimisches Schaffen zu präsentieren. Mit den intensiven Konzerten von Spinnler/Stiefel und Feigenwinter 3 geriet heuer der Basel-Fokus in der vollbesetzten Kaserne gar zu einem Highlight des Festival-Programms.

«Die beste Sängerin der Schweiz», so kündigt Festivalchef Urs Blindenbacher die Baselbieterin Lisette Spinnler stolz an, und vom jüngeren Teil des Publikums wird sie auch fast ein bisschen empfangen wie ein Rockstar. Ihr zur Seite sitzt Christoph Stiefel, der weltgewandte Pianist aus Zürich, vor drei Jahren erst hatten sich die beiden kennengelernt, seitdem zu einer verblüffenden Vertrautheit gefunden. «Bima Sakti», so das Ergebnis ihres jungen Schaffens, hebelt die ehernen Gesetze des Duospiels mutig und verspielt aus – nicht nur auf CD, auch auf der Bühne. Da setzt Stiefel zu Beginn geheimnisvolle Akkordgänge hin, denen Spinnler mit einer bauchigen Melodie in ihrer so typischen Fantasiesprache antwortet, umhertastend in tiefen Lagen.

Zum Ende, mit offenen Vokalen, klingt das fast ein wenig sakral. In Stiefels «Isorhythmus 4» wagen sich die beiden schon früh auf ein sehr virtuoses Parkett: Jazzvokabeln sind hier nur noch eine Ausgangsbasis für Improvisationen, die Blue Notes genauso wie ekstatisches Atmen in sich tragen. In frappierenden, atemberaubend sicheren Parallelgängen finden Klavier und Stimme zusammen, man spürt förmlich die knisternde Konzentration, die Elektrizität zwischen den beiden Musikern.



Unergründlich funkelndes Juwel



Und dann, große Überraschung: Das liebe, country-gefällige «Jolene» von Dolly Parton. Es baut sich hier aus einem Nichts auf. Stiefel streicht über das Innenleben des Flügels, beginnt ein verloren-melancholisches Parlando. Die Basis für Spinnler, abgrundtiefe Enttäuschung einer ausgestochenen Liebhaberin auszubreiten.

Umwerfend, und mit dem Original hat das nichts mehr zu tun. Das Titelstück ihres Programms entführt schliesslich in eine ganz eigene Welt: Mit Mallets bearbeitet Stiefel die Klaviersaiten, man vermeint Tempelglocken zu hören, ein Gamelanorchester, dann Linien, die wie Regentropfen hinuntergleiten. Spinnler schwebt darüber in einer traumwandlerischen Melodie. Ein unergründlich funkelndes Juwel, als würde das Sternenlicht selbst tanzen. Doch das Duo hat noch mehr Verwandlungen auf Lager. Zur arabischen Laute wird das Piano, zaubert ein abgedumpftes Ostinato, die Stimme spielt dazu mit Arabesken. Spinnler, für die das rhythmische Element in ihrer Lautmalerei so essenziell ist, zeichnet ihre geschwungenen Gesangslinien mit der Hand in die Luft.

Immer bewegen sich die beiden am Offensichtlichen, an den Klischees der Weltmusik meilenweit vorbei, schaffen eine eigene, hoch artifizielle Klangsprache. 



«Get yourself free!»

Das gilt auch, wenn sie tatsächlich einmal in die Jazzgeschichte eintauchen: «Blue in green», die Ballade von Miles Davis mit Cassandra Wilsons Text interpretiert Spinnler mit dem trompetenhaftem Timbre einer Betty Carter. Vom Piano kommt plötzlich ein spanisch anmutender Impuls, die Stimme wird zum Cajón. Und was dann folgt, ist die intensivste Unterhaltung der beiden: Spinnler scheint sich die Phrasen in höchster Inspiration herunterzupflücken, zischend, knallend, tickend spielt sie mit den Konsonanten, reagiert so auf den intensiven Strom der Töne von Stiefel, immer wieder kraftvoll aus der linken Hand angetrieben.

Und in der Zugabe nochmals ein unerwarteter Schwenk: «50 ways to leave your lover» von Paul Simon wird im Refrain geradezu atonal aufgeknackt. «Drop off the key, Lee, and get yourself free!» Die Forderung haben diese beiden musikalisch fulminant umgesetzt.



Bezwingender Melodiker



Von Duokunst zur Art of Trio: Der Basler Pianist Hans Feigenwinter, 2007 erstmals am Jazzfestival zu hören, bestritt den zweiten Teil des Abends – und auch er hat in einer Standardbesetzung des Jazz zu  bezwingend individueller Sprache gefunden. Von der ersten Komposition an, die er – originell wie alle anderen Stücke – «In der Tasche» genannt hat, wird klar: Hier ist ein ausgesprochener Lyriker am Werk, der seine Themen aus einer fast liedhaften Sphäre schöpft. Er ist ein Meister darin, markante Kurzphrasen vorzustellen, dann immer wieder innezuhalten, bevor er mit stolzer Sanglichkeit seine Improvisationsketten aus den Tasten meisselt. Befeuert wird sein Spiel vom sehr geschmeidigen Bass-Spiel Wolfgang Zwiauers, der so elegant agiert, dass man fast glaubt, sein Instrument sei bundlos.

Er baut fantastische eigenständige Linien, schmiegt sich aber auch immer wieder ans Piano an. Die unorthodoxe Behandlung der Drums mit häufig querstehenden Beats verraten im Luzerner Arno Troxler einen Schlagzeuger, der sich über den Jazz hinaus stilkundig gemacht hat, etwa im Dub oder Drum’n’Bass. 



Erfrischende Impulse



Viele Bilder malen Feigenwinter 3: «Schweres Wasser» gibt ein monumentales Statement ab, von marschartigem Unterbau gestützt, eine gospelartige Unterströmung ist zu spüren, ein eigenartiges Oszillieren zwischen Dur und Moll. Im «Fluchtpunkt» wirft Feigenwinter ein Thema wie eine Frage hinein, horcht ihr nach, bevor ein harter Drive von den Drums das Geschehen ankurbelt. Und erst das großartige «Slogan»: Zunächst eine dampfende Vierviertel-Maschine mit Rock-Impetus, tritt dann das Piano fast sprechend in den Vordergrund, als wolle Feigenwinter den Hörer umgarnen, zum Argumentieren herausfordern.

Es ist frappant, welche Binnendynamik dieses Trio entwickeln kann: Da fügen sich unruhige, suchende Bassläufe, ein synkopisches Tappen des Schlagzeugbesens und Melodiefetzen vom Klavier wie ein Puzzlespiel zusammen, finden dann zu vereinter Trio-Power und lassen das Geschehen ungerührt in einer Art Slow Blues auslaufen. Summa summarum: Eine Vielzahl sehr erfrischender, ungewöhnlicher Impulse brachte dieses neue Programm, das international wahrgenommen werden sollte.

Zwei Erkenntnisse an diesem fulminanten Abend: Die Kaserne als äusserst lebendiger Spielort bereichert das Jazzfestival. Und vor allem dies: Basel, with a little help from its Zürich and Luzern friends, spielt auf der Weltbühne des Jazz in einer hohen Liga mit.


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