Guillotine schlägt Achterbahn: Alice Cooper und Mötley Crüe in Basel

Mötley Crüe feuern aus allen Rohren Hits und Flammen, doch die bessere Show liefert in Basel Altmeister Alice Cooper.

(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Mötley Crüe feuern aus allen Rohren Hits und Flammen, doch die bessere Show liefert in Basel Altmeister Alice Cooper.

Früher wussten Rockstars noch, dass man sein Publikum warten lässt. Heute tritt Special Guest Alice Cooper schon vor der angekündigten Zeit auf. Er steigt mit drei Gitarristen auf die Bühne und startet eine jahrzehntelang perfektionierte Showroutine. Da sitzt jeder Ton und jede Geste. Hier führt ein Altmeister souverän durch ein Programm mit dem Besten aus bald 50 Karrierejahren, und Alice kommt aus einer Zeit, als der Song noch zählte.

Zum Thema «Die Frau in der Rockmusik», das uns heute hierher geführt hat, hat auch er etwas beizutragen. An einer der Gitarren fuhrwerkt nämlich eine weibliche Fachkraft namens Nita Strauss und derwischt sich von Beginn weg zur ernsthaften Kandidatin für die Rampensau des Abends. Der Frontmann stützt sich bald lässig auf ihre Schulter, bevor er sie wegstösst, auf dass sie auf dem Podest soliere, bis den Chauvis die Hosen flattern.

Eine Feministin am «Mötley Crüe»-Konzert, geht das? Die Antwort gibts hier.

Im Lauf der 50 Minuten bringt Cooper, der optisch zwischen einem derangierten David Copperfield und einer Hexe changiert, was man erwarten darf: die Boa Constrictor über den Schultern, die Zwangsjacke um den Leib und die Enthauptung unter der Guillotine mit anschliessender Nekrophilen-Hymne «I Love The Dead». Am Schluss spielt er «School’s Out», in das er «Another Brick In The Wall» einflicht, während er mit einem Säbel Ballone massakriert. Showbusiness, das bis in die hintersten Reihen die Arme hochgehen lässt und auch Nörgelbereite bestens unterhält. 

Mehr Pyro als in der Muttenzerkurve

Mötley Crüe schleichen sich im Halbdunkel auf die Bühne und legen dann überraschend überzeugend los. Einen guten Ruf als Live-Act genoss diese Band nie, aber heute geht sie solide ans Werk. Im Gegensatz zu Alice Cooper freilich frei von Selbstironie und Charme.

Der aufgedunsene Frontmann Vince Neil intoniert seinen Pressgesang ordentlich, während er mit dem schmierigen Getue eines Stammtisch-Prolls über die Bühne stolziert. Gitarrist Mick Mars ist eine wandelnde Vogelscheuche, ausgezehrt und leichenblass, aber Gitarre spielen kann er noch.

Kaum ein Song kommt ohne Flammenwerfer und Explosionen aus, Mötley Crüe zünden in einem Konzert mehr als die Muttenzerkurve in einer ganzen Saison. Bei einer Rockshow amerikanischer Prägung geht es immer auch um die Optik, und weil man nicht ununterbrochen Feuerwerken kann, haben sie zwei Frauen vom Typ Rockschnitte am Start. Die sind dazu da, Vince beim Singen zu unterstützen, in wechselnden, stets knappen Outfits geil auszusehen und das Publikum zu animieren.

Grossvaters Sackmesser

Es ist die Abschiedstour und also gibts Hit um Hit. In 30 Jahren sind auch bei Mötley Crüe ein paar memorable Melodien zusammengekommen, und dafür verantwortlich ist Nikki Sixx, Bassist und Hauptsongwriter, der in der Konzertmitte zum Publikum spricht. Er erzählt von seinem Grossvater, der ein armer, aber ehrlicher Arbeiter war und dem kleinen Nikki ein Sackmesser schenkte, das dieser bis heute mit sich trägt. Denn dieses Tool steht als Symbol für den Glauben an sich und den Mut, seinen Weg zu gehen.

Aber ohne uns, die Fans, wäre Sixx heute nicht hier, und dafür bedankt er sich unter jubelndem Zuspruch, der die Verbrüderung zwischen Band und Publikum besiegelt. Die Bandkollegen kehren zurück und spielen «Anarchy In The UK» von den Sex Pistols, wieso auch immer.

Tommy Lee trommelt sich unter dem Hallendach einen ab, während sein Drumpodest ihn kopfüber dreht, als wär die Herbstmesse noch in vollem Gang.

Überhaupt lehnen sich die Altrocker gern bei noch Älteren an. «Smoking In The Boys Room», ohnehin ein Cover, peppen sie mir Gary Gitters «Rock’n’Roll» auf. Dann wird es dunkel und aus den Boxen tönt «Carmina Burana» – wieso, weshalb, warum? Plötzlich erhellt ein Spot Tommy Lees Drumpodest, und endlich wird klar, was die seltsam geschwungene Konstruktion von der Bühne zum Mischpult soll.

Tommy fährt nämlich samt Schlagzeug auf einer Art Achterbahn und trommelt sich unter dem Hallendach einen ab, während sein Drumpodest übers Volk gleitet und ihn kopfüber dreht, als wär die Basler Herbstmesse noch in vollem Gang. So was hat auch der erfahrene Konzertbesucher noch nicht gesehen. Blöd bleibt es trotzdem.

Gelebte Fannähe

Und blöderweise folgt auf das Solo des Drummers jenes des Gitarristen. Was tun die anderen unterdessen bloss? Irgendwann hebt Mick sein Instrument hoch und dreht die Rückseite zum Saal, so dass man sieht, da steht «Pimp».

Als dann endlich wieder der Rest der Band auftaucht, bringen sie den Rock ’n’ Roll zurück mit einer mitreissenden Version von «Saints of Los Angeles». Endlich tanzen auch die Schnitten wieder an. Das Publikum erwacht noch einmal, wobei das, was bei Alice Cooper «Yeah» war, nun mehr so «Okay» heisst.

Gelebte Fannähe gibts dann für die Zugabe. Die Band marschiert durchs Publikum auf ein Podest beim Mischpult. Dort setzt sich Tommy Lee hinter ein Piano und haut die Eingangsakkorde zu «Home Sweet Home» unters Volk. Die Feministin neben mir singt. Und ich fummle das Solo luftgitarrend mit. Dann ist Schluss. Zum Rauslaufen singt Frank Sinatra «My Way» oder – wie meine Begleiterin behauptet – «My Wey».

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