Harte Fahne im Wind

Manchmal lohnt es sich, den Blick nach oben schweifen zu lassen. Man entdeckt dann vielleicht Dinge, die man sonst nie sieht. Jürg Stäubles «Wetterfahne» zum Beispiel auf dem Dach der Klingentalkirche.

(Bild: zVg)

Manchmal lohnt es sich, den Blick nach oben schweifen zu lassen. Man entdeckt dann vielleicht Dinge, die man sonst nie sieht. Jürg Stäubles «Wetterfahne» zum Beispiel auf dem Dach der Klingentalkirche.

Nein, flattern tut sie nicht. Auch nicht bei starkem Wind. Obwohl sie «Wetterfahne» heisst und Fahnen normalerweise flattern. Aber sie dreht sich, je nachdem, wohin die Brise oder der Sturm sie treibt.

Wie sollte sie auch flattern. Jürg Stäubles Wetterfahne ist aus blattvergoldetem Kupferblech mit partiell eingegossenem Blei gefertigt. In sich bewegt sich da nichts. Sie sitzt auf einer Spitze mit einem Drehmechanismus, damit sie die Windrichtung anzeigen kann, wie eine echte Wetterfahne das soll. Funktionale Kunst kann man das nennen.

Säkularisierte Kirchenspitze

Auf dem Dach der Klingentalkirche befand sich im Jahr 2010 noch ein traditioneller Walmspitzenabschluss – eine runde Kugel auf einer Art spitz zulaufendem Spiess. Den Verantwortlichen beim Kanton Basel-Stadt gefiel das nicht länger, man sprach von einer «fast unmerklichen Lücke in Basels Stadtbild», und so sollte ein Kunstwerk das schlichte Rund ersetzen. Fünf Kunstschaffende wurden deshalb vom Kunstkredit eingeladen, eine Wetterfahne zu gestalten. Ausgeführt wurde schliesslich der Entwurf des 65-jährigen Basler Künstlers.

Traditionell gestalten sich Wetterfahnen oftmals als Pfeil, der die Windrichtung anzeigt. Darauf finden sich bei Kirchen das Kreuz oder aber der Hahn, den man dann auch prompt Wetterhahn nennt. Stäuble hingegen setzt im Klingental auf eine abstrakte Form, die auch die heute säkulare Funktion der ehemaligen Kirche verdeutlicht: Seit den Siebziger Jahren sind im hochgotischen Gebäude Künstlerateliers sowie der Ausstellungsraum Klingental untergebracht.

Sich durchdringende Wellenflächen

Wirklich nahe ran kommt heute keiner mehr, um die Form des Kunstwerks genau zu betrachten. Wer von unten in die Höhe blickt, sieht eine Art Dreieck, welches das Licht wellenförmig zu absorbieren scheint und deshalb der harten Form zum Trotz den Eindruck des Flatterns erweckt. Als hätte man der Kirche eine Flagge aufgesetzt, um die Aneignung derer manifest zu machen. Die Umrisse der «Wetterfahne» jedoch erinnern entweder an etwas Flügelförmiges, an einen Kontinent, oder gar an das Profil eines Gesichtes mit wehendem Haar.

Die eine Seite des Werkes ist vertikal gewellt – die Assoziation einer ausgefransten Flagge ist hier stärker als auf der anderen Seite, deren Wellen horizontal verlaufen. Darin sieht Jürg Stäuble einen Verweis auf den nahegelegenen Rhein. Mehr aber als für die vielgestaltigen Assoziationen, welche die Form wecken könnte, interessiert sich der Künstler für den formalen Aspekt: Die Durchdringung von zwei im rechten Winkel zueinander verlaufenden Wellenflächen lässt einen seltsamen Körper entstehen, dessen Volumen an den Rändern jeweils auf Null ausläuft. Ein ähnliches Konzept hat er schon 2008 in seiner Arbeit «Schnittstelle» (zu sehen an der Bäumlihofstrasse, vgl. Bild) ausprobiert, wobei sich hier die Wellen auf einer Seite sichtbar kreuzen.

So leicht dies am Schluss aussieht, so präzise sind die Spielregeln, nach denen Stäubles Arbeiten entstehen – nicht nur die «Wetterfahne». Den Wellen begegnen wir in den vergangenen Jahren in seinem Werk immer wieder, und geometrische Prinzipien liegen nicht nur seinen plastischen Arbeiten, sondern auch etwa seinen Zeichnungen zugrunde. Das klingt trocken und starr, doch die «Wetterfahne» ist der beste Beweis dafür, dass auch aus der Strenge heraus vielfältige und spielerisch anmutende Formen entstehen können.

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