Harziger Schauspielstart von Bachmann und Sanchez

Stefan Bachmann verhalf dem Basler Schauspiel zur Jahrtausendwende zum Höhenflug. Jetzt ist er Intendant in Köln. Als Hausregisseur hat er seinen Kollegen aus Basler Zeiten, Rafael Sanchez, mitgenommen. Ihre beiden ersten Inszenierungen vermögen noch nicht zu überzeugen.

Das neue Schauspielhaus ist noch im Bau, weshalb das Kölner Ensemble in eine Fabrikhalle ausweichen muss.

Stefan Bachmann verhalf dem Basler Schauspiel zur Jahrtausendwende zum Höhenflug. Jetzt ist er Intendant in Köln. Als Hausregisseur hat er seinen Kollegen aus Basler Zeiten, Rafael Sanchez, mitgenommen. Ihre beiden ersten Inszenierungen vermögen noch nicht zu überzeugen.

Bei der Generalprobe bricht das Chaos aus, die Schauspieler sind am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mit dieser Situation eröffnete das Schauspiel Köln die Intendanz von Stefan Bachmann. Nicht in der Realität, hoffentlich, aber im Stück «Der nackte Wahnsinn», das von einer Tourneetheatertruppe erzählt, die trotz aller Mühe nicht mit ihrem Boulevardstück fertig wird. Michael Frayns Komödie war in den 80er-Jahren der grosse Lacherfolg auf europäischen Bühnen, aber an der Premiere in Köln hielt sich der Witz in Grenzen.

Dabei war das Ensemble eigentlich gut aufgelegt, und das hyperrealistische englische Interieur, das der Schweizer Bühnenbildner Michel Schaltenbrand wie eine Puppenstube in die Fabrikhalle in Köln-Mülheim eingebaut hat, wirkt als Kontrapunkt schön ironisch mit seinen getäfelten Wänden, Ledersitzen, Flokatiteppichen und dem ausgestopften Bär neben dem Cheminée.

Sanchez’ «Nackter Wahnsinn»

Die Klischees aber, aus denen die Figuren bestehen, werden zu breit ausgewalzt: die saufenden Schauspieler, die zickenden Diven, die naive Regieassistentin – all das nervt bald mehr, als es amüsiert. Der Regisseur der Truppe ist natürlich autoritär, wobei der Schauspieler Bruno Cathomas – noch ein prominenter Schweizer im Kölner Team – seine hysterischen Anfälle so überdreht, dass die Figur einen fast surrealen Touch bekommt.

Im zweiten Akt sieht man, wie es hinter der Bühne bei einer Aufführung zugeht – und da gelingt es Rafael Sanchez, das Tempo so zu steigern, dass die Pannen am Laufmeter sich zu einem absurden Theaterwirbel auswachsen. Mit dreieinhalb Stunden ist die Aufführung aber eindeutig zu lang. Das liegt auch daran, dass dieses Stück eigentlich eine Drehbühne braucht, die man in der Fabrikhalle nicht besitzt, so dass es auch noch zwei Umbaupausen gibt.

Stefan Bachmann

 

 

 

1966 in Zürich geboren, gründete Stefan Bachmann 1992 zusammen mit Thomas Jonigk und Lars-Ole Walburg das Berliner Theater Affekt.
Zu Beginn der Saison 1998/1999 wechselte Bachmann als Schauspieldirektor an das Theater Basel. Bereits in der ersten Saison wird das Theater in der Kritikerumfrage der Zeitschrift «Theater Heute» zum Theater des Jahres gewählt.
Seit 2001 betätigte er sich auch als Opernregisseur. Seit 2005 arbeitete Stefan Bachmann wieder als freier Regisseur. Seit 2013/14 ist er Intendant am Schauspiel Köln.

Auf der «schlechten Seite» Kölns

Nein, auf Rosen gebettet ist Stefan Bachmann nicht bei seinem Neuanfang als Schauspielintendant in Köln. Zum einen muss er das Erbe von Karin Beier antreten, deren Schauspiel in den letzten Jahren Kultstatus erreichte. Zum andern muss der Schweizer noch mindestens zwei Jahre warten, bis er in das sanierte Schauspielhaus in der Innenstadt einziehen kann – und bis dahin in alten Fabrikhallen spielen jenseits des Rheins, auf der «schäl sik», wie die Kölner sagen, auf der schlechten Seite, also in den Arbeitervierteln. Neu bezogen hat er zwei Hallen des ehemaligen Carlswerks, das einst Kabel und Drahtseile herstellte. 1904 ist hier das erste transatlantische Telefonkabel in die Neue Welt entstanden.

Bachmann zeigt den «Streik»

So macht es durchaus Sinn, dass Bachmann mit seiner ersten Inszenierung über den Ozean springt, um aus den USA einen Stoff zu importieren, der viel mit Industriegeschichte zu tun hat, diese aber aus einem Blickwinkel erzählt, der dem europäischen in vieler Hinsicht widerspricht. Die Autorin Ayn Rand, deren Familie aus der Sowjetunion floh, schrieb 1957 mit dem Epos «Der Streik» eine Bibel für das freie Unternehmertum. Die radikale Antikommunistin vertrat eine Philosophie des «rationalen Egoismus» und beeinflusste Männer wie Ronald Reagan und Alan Greenspan, der in einem Interview bekannte: «Ich verdanke ihr die Einsicht, dass der Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch ist, sondern auch moralisch.»

Unmoralisch war für Ayn Rand – die 1982 starb (verarmt und auf Sozialhilfe angewiesen) – nicht das persönliche Gewinnstreben, sondern staatliche Eingriffe in die freie Marktwirtschaft. Noch heute ist ihr Roman in den USA überaus populär.

Partysmalltalk in der Fabrikhalle

Man war also gespannt, ob Stefan Bachmann sich als Neoliberaler outen würde. Die Aufführung zeigte aber vor allem, dass er es reizvoll fand, den Kampf mit der grossen, ungemütlichen Fabrikhalle aufzunehmen. Partysmalltalk lässt er über weite Distanzen führen. Das ist akustisch schwierig, aber man erfährt doch, dass es um Eisenbahn-, Stahl- und Ölmagnaten geht. Dann knattert ein historischer Lastwagen herein und lässt eine Ladung Schotter auf den Boden rasseln. Die Schauspieler tauschen Haute Couture gegen Blaumänner aus, schaufeln, tragen Schwellen, legen Schienen aus: Und hepp, wir bauen eine Eisenbahn!

Das war eine ästhetisch spannende Aktion, und so sass das Publikum geduldig in Staub und Abgasen und harrte des grossen Epos, das da kommen sollte. «Der Streik» versammelt zwar viele Zutaten zu einer Industrie-Saga, aber weder die Geschichte noch das Personal vermögen leider wirklich zu fesseln. Die Rivalitäten und Liebesgeschichten wirken banal und verstaubt, die wirtschaftspolitischen Debatten verhallen im grossen Raum ohne wirklich zu provozieren, das Science-Fiction-Finale wirkt absurd.

Die Schauspieler müssen mit Mikroports gegen die schlechte Akustik anspielen, und auch wenn Melanie Kretschmann als Mischung aus Mae West und Katherine Hepburn die taffe, emanzipierte Unternehmerin elegant verkörpert, so verliert sie sich im Unendlichen dieser Halle und der holprigen Story ebenso wie die anderen Figuren. Trotz ölig-schwelgender Musik von Sven Kaiser: es wurde kein Hollywood-Schinken daraus.

Die Ersatzspielstätte, sie ist eine echte Hypothek für den neuen Kölner Theaterleiter, der vorerst eher ein Fabrikdirektor ist. Man kann ihm nur wünschen, dass das Schauspielhaus in zwei Jahren wirklich bezugsfertig ist.

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