Himmlisch spirituos

Ken Loachs «Angels’ Share», der virtuose Publikumsliebling aus Cannes, macht leicht besoffen.

Schottenrock ’n’ Roll: Was die Darsteller unterm Kilt tragen, lässt Loach offen. (Bild: ©filmcoopi)

Ken Loachs «Angels’ Share», der virtuose Publikumsliebling aus Cannes, macht leicht besoffen.

Wer die Lage des Proletariats heut­zutage schildern will, muss es erst ausfindig ­machen. Ken Loach ist seit Jahren dort zu Hause, wo Whisky und Arbeiterklasse einst erfunden wurden. Dort, wo Männer mit «Tumbler» das Schnapsglas meinen und es noch eine Königin gibt. In England, weit draussen, an den Rändern der Gesellschaft, besingt Ken Loach seit Jahren die Werte der Randständigen und Werktätigen. Diesmal in einem Trinklied aus Schottland.

Loach lässt uns erst lange am Absturz des jungen Robbie in Arbeits- und Hoffnungslosigkeit teilhaben. Woran soll er sich noch halten? An seine Freundin? Sein Kind? Seinen Sinn für Gerechtigkeit? Oder an seinen Tumbler? Der Whisky käme da grad wie gerufen. Aber es kommt anders als vermutet. Wie für viele Gefallene gibt es nämlich auch für den jungen Vater ­Robbie einen Engel – in Gestalt des Sozialarbeiters Harry. Der hat eine Nase für Menschen und für – Whisky.

Engelsanteil

Ein Fass mit 60-jährigem «Malt Mill»-Whisky ist ein Vermögen wert. Dass davon im Laufe der Jahre zwei Prozent verdampfen, ist ein Verlust, der Shareholder in die Verzweiflung treiben müsste, den Whisky-Kenner aber lyrisch werden lässt: «Angels’ Share» nennt man dies in Brennerkreisen. Dieser «Anteil der Engel» lässt Robbie ein ast­reines Geschäft wittern, und er vertraut auf seine gute Nase, auf die er von der ­Gesellschaft oft genug eins gekriegt hat: Er wird zum «Angels’ Share»-Holder.

Man sollte an diesem Film wie an einem guten Whisky gemütlich schnuppern, ihn auf der Zunge schütteln, ehe man ihn über den Gaumen nachwirken lässt. Der ­Whisky aus Loachs Fass hat einen ­harzigen, ­öligen Beigeschmack, ist etwas rauchig und hochprozentig komisch. Dass der ­raubeinige Engel Harry seinen ­«Angels’ Share» zum Abgang erhält, ist nur einer von vielen ­feinen Zusammenhängen, die noch lange im Hals nachklingen. Da soll es uns auch nicht stören, wenn Ken Loach uns eines einmal mehr vorenthält: was die Schotten unterm Rock tragen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

Nächster Artikel