Höllenfeuer und Übermenschen

Mit «Inferno» schickt Dan Brown den Symbologen Robert Langdon erneut auf Schnitzeljagd durch europäische Kulturmetropolen. Sein Konzept nutzt sich jedoch langsam ab.

Autor mit Vorliebe für kunsthistorische und andere Rätsel: Dan Brown. (Bild: Dukas)

Mit «Inferno» schickt Dan Brown den Symbologen Robert Langdon erneut auf Schnitzeljagd durch europäische Kulturmetropolen. Sein Konzept nutzt sich jedoch langsam ab.

Selbst hinter dem Erscheinungsdatum von «Inferno» verbirgt sich ein verschlüsselter Hinweis. Dan Browns neuer Roman ist am 14.5.13 erschienen. Ein numerologisches Anagramm – etwas durchgeschüttelt, ergibt es die Zahl Pi inklusive ihrer ersten vier Kommastellen, eine mathematische Konstante, mit der Kreisflächen errechnet werden. Um welche Kreise es geht, verrät der Werktitel: Um die neun Kreise der Hölle aus Dantes «Inferno», entlehnt seiner «Göttlichen Komödie», in deren tiefster Ebene Satan hockt.

Der ist bei Brown diesmal ein Schweizer, der Biowissenschaftler Bertrand Zobrist. Ein überragendes Genie auf seinem Gebiet mit schlechten Absichten: Aus Furcht um die Menschheit, die wegen ihrer rasenden Vermehrung sich selbst in den Untergang reproduziere, tritt Zobrist im Gewand eines mittelalterlichen Pestdoktors auf und strebt nach einem ähnlich radikalen Eingriff, wie ihn der «Schwarze Tod» im 14. Jahrhundert in Europa vorgenommen hat: Ein Drittel der Weltbevölkerung muss weg, ansonsten droht der globale Kollaps.

Wer das dürre Gerüst der Story – ein durchgedrehter Spitzenwissenschaftler, der ein brutal effizientes Virus erfindet, muss zur Strecke gebracht werden – betrachtet, denkt im besten Fall an James Bond, im schlechtesten an einen dumpfen Actionthriller vom Kioskstand. Allein damit verkauft auch ein Dan Brown keine 200 Millionen Bücher, deshalb hat der US-Schriftsteller den Kulturhistoriker und Symbol­experten Robert Langdon erfunden, der nun zum vierten Mal einer ver­brecherischen Schnitzeljagd hinterherhechelt und en passant dem Leser einen Crashkurs in Kunst- und Wissenschaftsgeschichte vermittelt.

Bedeutende Paten

In «Sakrileg» entdeckte Langdon in einem DaVinci-Gemälde versteckte Botschaften auf eine Nachkommenschaft Jesu und Maria Magdalenas, in «Illuminati» führten ihn die Werke Galileis und Berninis auf die Spur einer Vatikan-Verschwörung, in «Das verlorene Symbol» lieferte ihm ein Stich Albrecht Dürers und die ­römisch geprägte Architektur der Monumente Washingtons Hinweise auf ein Komplott gegen die Freimaurer.

Mit Dante Alighieri hat auch ­«Inferno» einen bedeutenden Paten, allerdings wird hier die kaum abwendbare Schwäche von Browns Konzept erstmals sichtbar: Brown hatte Erfolg, weil er vor dem Hintergrund bereits bekannter Verschwörungskulissen wie dem Vatikan oder den Freimaurern trickreich Action-Plots zu legen ­verstand. Diese gehen ihm nun aus. So erscheint die Rahmenhandlung von «Inferno» seltsam konstruiert: Der Biowissenschaftler und Dante-Fanatiker Zobrist deponiert das Virus in ­einer geheimen unterirdischen Lagune und streut mittels chiffrierter Zitate des Florentiner Dichters ein paar Hinweise, die zum Versteck führen sollen. Warum er das tut, beantwortet der ­Roman allerdings nicht.

Abgesehen von dieser schwerfälligen Konstruktion hält sich Brown streng an den bekannten Ablauf: Wieder wird Langdon von einem Global Player – hier die Weltgesundheits­organisation – um Hilfe gebeten. Wieder hat er, kaum wird das erste Mal geschossen, eine junge, attraktive und hochintelligente Frau an seiner Seite. Und erneut arbeitet im Hintergrund eine elitäre Geheimgesellschaft an ­einer halb esoterischen Weltveränderungsfantasie, diesmal der genetisch geschaffene Übermensch. Hinzu kommt Browns erprobter Erzählrhythmus aus kundigen Überlegungen und actionreichen Verfolgungsjagden, die verlässlich in jedem Kapitel auf den abschliessenden Cliffhanger zusteuern.

Ernster Bildungsauftrag

Natürlich hat Dantes «Göttliche Komödie» mit all dem wenig zu tun, und mit jedem Schauplatzwechsel verschwindet der Florentiner mehr aus dem Buch. Allerdings muss man Brown zugute halten, dass er den schriftstellerischen Bildungsauftrag ernst nimmt. Wenn er sein Duo durch die Schauplätze der Renaissance schickt und die Bilder- und Symbolwelt dieser Epoche entschlüsseln und die Grandezza des Palazzo Vecchio oder den Markusdom preisen lässt, will man sofort da hinfahren und die monumentale Pracht mit eigenen Augen begutachten. Am besten mit dem allwissenden Langdon an der Seite. Es muss ja nicht gleich die nächste Verschwörung um die Ecke kommen.

  • Dan Brown: «Inferno», Bastei Lübbe Verlag 2013, 685 Seiten. ISBN: 3-7857-2480-2
  • «Die Welt» hat eine Leseprobe veröffentlicht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13

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