Hollywood entdeckt die unendliche Einsamkeit

Jahrelang lehrten uns Star Wars und Co.: Wir sind nicht allein im Universum. Nun sind wir es plötzlich doch – und eine neue Ära des Weltraumfilms bricht an.

Keine Ausserirdischen weit und breit: Heutiges Weltraumkino ist ein Ding der Einsamkeit.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Jahrelang lehrten uns Star Wars und Co.: Wir sind nicht allein im Universum. Nun sind wir es plötzlich doch – und eine neue Ära des Weltraumfilms bricht an.

Matt Damon muss schon wieder einsam auf einem fernen Planeten ausharren. Wie schon im Film «Interstellar» hat er nun auch in «The Martian» mit den Konsequenzen astronautischer Entscheidungen zu kämpfen: Dieses Mal als Mark Watney auf dem Mars, mit nichts als roter Wüste um sich, im Vorratsschrank Essen für gerade mal ein paar Hundert Marstage. Dabei müsste er jahrelang am Leben bleiben, bis ein Rettungsgefährt der Nasa eintreffen würde. Also konzentriert sich Watney auf seine bodenständigen Fähigkeiten: «Zum Glück habt ihr den Botaniker auf dem Mars vergessen!», ruft er grinsend ins Video-Tagebuch und macht sich auf die Suche nach etwas Kultivierbarem.

Er findet eingeschweisste Thanksgiving-Kartoffeln, die er in einer zum Treibhaus umfunktionierten Weltraumkapsel mit den Exkrementen seiner abgereisten Kollegen düngt. Mit unerschöpflicher Zuversicht steht Watney jeden Marsmorgen auf und pflegt seine Pflänzchen, bis er das gewünschte Resultat vor sich hat: marsianische Bio-Kartoffeln! Ermöglicht durch den wachen Pioniergeist Watneys und seinen neverending amerikanischen Enthusiasmus, der ihm später das Leben rettet. Dazu noch etwas «We can do it!» von der Nasa, und das Happy End ist auch in diesem Blockbuster wieder gewährleistet.

Tohuwabohu in der Weltall-Prärie

Die Geschichte vom Gestrandeten, der alleine in einer ausserirdischen Umgebung überleben muss, ist nicht neu. Besonders in den Sechzigern war der einsame Mensch im Weltraum nicht aus dem Kino wegzudenken: 1964 kämpft Adam West in «Notlandung im Weltraum» auf dem Mars ums Überleben, in Stanley Kubricks «2001: A Space Odyssey» von 1968 stellt sich Astronaut Dave Bowman im Raumschiff «Discovery One» alleine dem ausser Kontrolle geratenen Computer HAL und in Andrei Tarkowski«Solaris» von 1972 wird Psychologe Kris Kelvan auf einem fernen Planeten mit seinen Erinnerungen konfrontiert.

Mit dem Aufkommen der Jedi-Ritter, Klonkrieger und Commander in den Siebzigern war der auf sich gestellte Pionier-Protagonist aber erst mal passé. Es folgten opulente Weltraumopern, Sternenkriege, bösartige Planeten und ein herziger kleiner Ausserirdischer, der den Weg zurück nach Hause suchte. Entweder landeten die Extraterrestrischen von weit draussen bei uns vor der Haustür oder wir begaben uns in die Weiten des Alls, wo der intergalaktische Western tobte – nur dass statt Siedler kosmonautische Krieger am Start waren, die in der endlosen Weltall-Prärie gegen angreifende Wilde kämpften.

Das «Andere», Ausserirdische war dabei immer von zentraler Bedeutung – selbst wenn es in philosophischer Manier aus dem Protagonisten selbst kam (manchmal auch wortwörtlich, wie «Alien»-Fans wissen). Wer alleine im All feststeckt, entfernt sich vom sozialen Kontext, er hat keine Gesellschaft um sich herum. Da der Mensch ein kommunikatives Wesen ist, muss er sich der einzigen Person anvertrauen, die anwesend ist: sich selbst. Und im Zuge dessen können Dinge an die Oberfläche treten, von denen man keine Ahnung hatte, dass sie existierten, weit fremder als ein ausserirdisches Monster.

It’s back

Das Weltall im Kino ist zurück, aber wo früher die Botschaft  «Wir sind nicht allein» war, lautet sie heute: Wir sind allein. Und müssen damit klarkommen. Das bedeutet nicht nur, dass sich Sandra Bullock als Astronautin in «Gravity» (2014) ihrer Vergangenheit stellen muss oder Sam Rockwell sich in «Moon» (2009) mehrere Leben lang mit niemand anderem als einer künstlichen Intelligenz namens Gerty unterhalten kann. Sondern eben auch, dass die Menschheit langsam, aber sicher keine Zeit mehr hat, sich mit verrückten Ausserirdischen herumzuschlagen, sondern pragmatisch an heutige Probleme herangehen muss. Sprich: Alf ist hier, und er ist lustig. Aber könnte sein Planet Melmac auch 7 Millionen Menschen unterbringen? Solche Sachen. Nur mit mehr Drama («Another Earth»), Quantenphysik («Interstellar») und darwinistischem Pathos («Elysium»).   

In Zeiten von Umweltverschmutzung, Klimawandel und Donald Trump, die uns das nahende Ende der Welt vor Augen führen, ist der Weltraum wieder attraktiv geworden. Als Sehnsuchtsort, dessen Reiz nicht mehr in seiner unerreichbaren Weite liegt, sondern in der Möglichkeit, ihn vielleicht schon bald als neue Heimat zu bezeichnen. Ein unverbrauchter Ort, der noch nicht gemappt, gecloudet oder sonst wie digital prostituiert ist. Wir erleben heute eine technologisierte Welt, die immer mehr den irren Gedankenauswüchsen eines Science-Fiction-Autors in den Sechzigern gleicht: Wir können über Bildschirme miteinander kommunizieren, an mehreren Orten gleichzeitig sein, Waffen drucken und mit einer Handbewegung das Wissen der Welt abrufen. Angesichts dieses rasanten Wandels und der wachsenden Überforderung, die damit einhergeht, stellt sich die Frage: Was geschieht mit unserem Pioniergeist, wenn unser Geist nicht mehr mit der Welt mithalten kann? 



Die Sehnsucht des Menschen, auf den Punkt gebracht: Ausschnitt aus Michael Fehrs «Simeliberg».

Die Sehnsucht des Menschen, auf den Punkt gebracht: Ausschnitt aus Michael Fehrs «Simeliberg».

Ganz einfach: Er wird rückläufig. Je bequemer wir an Informationen rankommen, desto weniger neugierig sind wir. Und je verkabelter wir mit der Welt um uns herum sind, desto mehr wünschen wir uns Zeit für uns selbst. In der hochdigitalisierten und verknüpften Welt gewinnt das kontrolliert Reduzierte an Reiz (man schaue sich nur die Beliebtheit von Veganismus und Suffizienz an); je vernetzter und damit kleiner die Welt wird, desto mehr sehnen wir uns wieder nach Weite. Da passen «The Martian» und Co. gut rein: Wie reizvoll da ein völlig neues Leben auf einem kargen Planeten scheint! Einmal ganz neu beginnen auf dem Mars. In einer Wirklichkeit, die uns für einmal nicht zu neuen Horizonten führt, sondern zu uns selbst. Was ganz Frisches. Wie die Bio-Kartoffeln. 

 

 

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