Hymnen an die Liebe: Das Jazzfestival Basel ist eröffnet

Edith Piaf ohne Worte: Geht das? Évidemment! Akkordeonist Richard Galliano und Gitarrist Sylvain Luc Édith gratulierten Piaf zum Hundertsten – mit ihrem virtuosen und intimen Chansonabend wurden sie im Basler Volkshaus zu Recht gefeiert.

Richard Galliano (Akkordeon), der Zauberer von Cannes.

(Bild: Eleni Kougionis)

Edith Piaf ohne Worte: Geht das? Évidemment! Akkordeonist Richard Galliano und Gitarrist Sylvain Luc Édith gratulierten Piaf zum Hundertsten – mit ihrem virtuosen und intimen Chansonabend wurden sie im Basler Volkshaus zu Recht gefeiert.

Es ist ein Jahrgang der Jubilare, wie Jazzfestival-Leiter Urs Blindenbacher in seinen Ankündigungen wiederholt betont hat: Viele der geladenen Musiker feiern runde Geburtstage (Chucho Valdes 75, Nils Landgren 60, Dee Dee Bridgewater und Richard Galliano 65).

Doch nicht nur die Ausführenden schmücken sich mit stolzen Zahlen, auch die Frau, der im Eröffnungskonzert gehuldigt wird: Vergangenen Dezember wäre Édith Piaf 100 Jahre alt geworden, und genau vor 70 Jahren gastierte sie, im Zuge von Entnazifizierungsmassnahmen der französischen Besatzer in Freiburg im Breisgau und Offenburg. Nun wurde die Erinnerung an sie am Rhein ganz neu wachgerufen: Zwei herausragende Persönlichkeiten aus dem Jazz huldigten ihr zur Eröffnung des Basler Festivals – und dies unter einem Programmtitel, der ebenfalls 70 Jahre alt ist: «La Vie En Rose», einer ihrer beliebtesten Chansons, feierte 1946 seine Triumphe.

Das Repertoire der Piaf wurde in den fünf Jahrzehnten seit ihrem Tod immer wieder in verschiedensten Einkleidungen aufgegriffen – und es sind gerade die intimen Bekenntnisse gewesen, die die Universalität dieser Chansons zeigen. Man erinnere sich nur an die zum Heulen schöne Version von «Je n’en connais pas la fin» des verstorbenen Rockstars Jeff Buckley, ein kreisender Gesang über dieses Lied, dessen Ende niemand kennt und das nie aufhören möchte. Wie aber lässt sich die Welt der Piaf, deren zentrales Merkmal die Stimme war, lediglich mit Akkordeon und Akustikgitarre einfangen?

Der Tastengigant aus Cannes

Richard Galliano, der mit allen stilistischen Wassern gewaschene Tastengigant aus Cannes, und sein Pariser Saitenkollege lassen vom ersten Takt ihres 90-minütigen, begeisternden Sets im vollbesetzten Volkshaus keinen Zweifel daran, dass sie mit ihren Mitteln diese Welt hervorzaubern können. Losgelöst vom übermächtigen, expressiven Stimmorgan der Piaf haben sie die Chansons ausgezogen auf ihre Essenz und umspielen diese mit gewitzten Funkenflügen oder lassen ihren zärtlichen Kern strahlen.


Sie bereichern die Stücke mit Farben, die weit über die Musetteklischees der Pariser Bistros hinausreichen: Luc, mit einem delikaten runden Ton und butterweich gespielten Läufen, gleitet zuweilen unmerklich in Gypsy-Swing-Flair hinein. Er ist ein Virtuose zum Niederknien, der auch in den rasantesten Oktavparallelen keinen Finger danebensetzt und seine Kadenzen mit feinen Flageolett-Tönen schmückt. Ganz sachte streut Galliano Arab- und Balkaneskes, lässt seinen Balg lautmalerisch schnaufen. Er verblüfft immer wieder in den hohen Lagen, wo sein Spiel zum silbrigen Pfeifen wird, das er einmal auch tatsächlich mit der eigenen Lunge doppelt.

So verziert, mit neuen Intros und Harmonien ausgekleidet sind Piafs Melodien, dass man sie zuweilen suchen muss. Und dann strahlt plötzlich das Thema von «Hymne À L‘Amour» heraus, dem Galliano durch Vibrato der rechten Hand noch mehr Zärtlichkeit zufächelt. In «La Vie En Rose» greift er dann gar zur Harmonika, baut eine Satie-Sequenz ein und flattert zusammen mit Luc auf einem rosa Wölkchen davon – da reicht selbst der Tonumfang der Instrumente nicht mehr.

Die Melancholie der Flüchtigkeit

Es gibt natürlich auch die zupackenderen Momente an diesem Abend: Etwa, wenn die Titel von Gus Viseur geehrt werden, dem zeitweiligen Akkordeonisten der Piaf. Seine «Flambée Montalbanaise» leitet Galliano mit fast slawischer Schwermut ein. Und in den Solo-Stücken wählen die beiden Franzosen ganz unterschiedliche Charaktere: Luc ergeht sich da mal gerne in sperriger, geräuschhafter, freier Virtuosität, offenbart den Techniker, während Galliano in der Polyphonie seines Instruments mit ganzem Körpergefühl aufblüht.

Am Ende schliesslich das schönste Stück, ein eher unbekanntes: «La Chanson Des Forains» (bei Piaf noch «Le Chemin Des Forains») zeichnet in ewig kreisender Melodieseligkeit das Leben eines Wanderzirkus nach, die beiden Bühnenpartner atmen die Melancholie der Flüchtigkeit schier aus ihren Instrumenten heraus.   

Das Paris der Verliebten

Kein Wort erklang an diesem Abend – und doch wurden die Zuhörer lebendig hineingeführt in dieses Paris der bedingungslos Verliebten, der kleinen mittelosen Tellerwäscherinnen und der armen Akkordeonisten. Ein Paris, das es nicht mehr gibt. Sylvain Luc und Richard Galliano haben für 90 Minuten den Schleier des Vergangenen zurückgezogen und die Nostalgie mit Lebendigkeit gefüllt – dafür wurden sie zurecht im Volkshaus gefeiert.
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Das Jazzfestival Basel läuft bis 12. Mai. Hier geht es zum weiteren Programm.

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