«Ich bastle mir noch immer meinen Traum»

Pink Pedrazzi hat mit 58 Jahren sein erstes Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Ein Spätzünder? Vielleicht. Aber auch ein Marathonmusiker, der seit Jahrzehnten seinen Traum lebt. Nun taufte der Sänger und Songwriter «A Calico Collection» in der Basler Kuppel.

Umringt von starkbesaiteten Freunden: Pink Pedrazzi. (Bild: Karin Portmann)

Pink Pedrazzi hat mit 58 Jahren sein erstes Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Ein Spätzünder? Vielleicht. Aber auch ein Marathonmusiker, der seit Jahrzehnten seinen Traum lebt.

Es hat ein wenig gedauert, bis dieser Mann sein erstes Soloalbum veröffentlichte: 35 Jahre, um genau zu sein. So lange schon ist Pink Pedrazzi als Rockmusiker unterwegs, an den Saiten, an den Songs, am Gesang und unterm Hut. Der Basler brach sein Jazzschul-Studium ab, nachdem ihn der New Wave elektrisiert hatte, wurde bei den für Schweizer Verhältnisse legendär gewordenen Wondergirls von Dominique Alioth Rhythmusgitarrist. Er erlebte deren Aufstieg, zuerst von innen, dann – unfreiwillig – von aussen. 1981 ersetzte ihn Alioth durch einen Keyboarder. Rausgeschmissen. Eine schmerzhafte Erfahrung, die Pedrazzi schwören liess, dass ihm das niemals mehr widerfahren solle. Also nahm er die Zügel fortan meist selber in die Hand, gründete seine eigenen Formationen.

Tatsächlich wurde der Sänger und Songwriter Pink Pedrazzi, den man vor 58 Jahren auf den Namen Peter getauft hatte, zur treibenden Kraft zahlreicher Bands, die sich in und um Basel einen Namen gemacht hatten: The Zodiacs, Twang Gang oder die Voyageurs, um nur einige zu nennen, die der musikalisch Reisende mitgeprägt hat. Am längsten währte The Moondog Show mit Pascal Biedermann. Ihre vier Alben und ihre Tourneen trugen dazu bei, Songwriter Pedrazzi von Moderatoren und Journalisten immer wieder als «ewiger Geheimtipp» bezeichnet wurde. Ein Claim, auf den er gerne verzichten würde (so wie sich Wondertoys’ Dominique Alioth einst zur Aussage hinreissen liess, dass er all die positiven Kritiken lieber mal für einen veritablen Hit eintauschen würde).

Frust, Freude und Wille

Aus der schattigen Nische der Geheimtipps ist Pink Pedrazzi mittlerweile herausgetreten. Er, der so viele Bands kommen und gehen sah, der im Unterschied zu vielen Freunden die Gitarre nie an den Nagel hängte, auch nicht, als in den 80er-Jahren die zwei Kinder zur Welt und damit neue Verantwortungen auf ihn zukamen, er schaltete plötzlich einen Gang höher. Und das in einem Alter, man darf das ruhig sagen, wo sich andere wieder auf die Modelleisenbahn konzentrieren.

Aus der schattigen Nische der Geheimtipps ist Pink Pedrazzi mittlerweile herausgetreten.

«Musikmachen ist eine Willensentscheidung», sagt Pedrazzi, der die typisch schweizerische Reaktion auf die Bezeichnung Musiker längst leid geworden ist: «Musiker? Interessant! Und was arbeitest Du?» «Ich kann es nicht mehr hören», sagt er, und man kann ihn verstehen. «Get Out Of That Hole» singt er denn auch im Opener auf seinem neuen Album. Tatsächlich zog er sich aus dem Schattendasein raus.

2008/09 verortet er den Wendepunkt. Die beiden Kinder waren erwachsen geworden (Susan, die Tochter, kennt man unterdessen auch in der Szene, als Schlagzeugerin bei Mother Razorblade), die Verpflichtungen weniger. Da ergab sich die Möglichkeit, beim Song Circus des Singer-Songwriters Coal mitzutun. Zuvor hatte er – einmal mehr – grossen Frust wegstecken müssen. Die vierte und letzte CD der Moondog Show ging nach der Veröffentlichung «unter wie ein Stein», Versprechungen eines Bookers erwiesen sich als warme Luft.

Fluch und Segen

Da stand er nun also, wieder am Anfang, an der Seite von jüngeren Schweizer Stimmen wie Heidi Happy oder Chris Wicky (Favez). Sang in Clubs wie dem Zürcher Moods – und hörte nach jedem Auftritt: «Sag, wo kommst Du denn her? Wo hast Du Dich all die Jahre über versteckt?» Komplimente, die ihm neue Hoffnung gaben.

Aufwind verliehen ihm auch die Kontakte zu den jungen Stars der Schweizer Singer-Songwriterszene. Das ermutigte ihn schliesslich dazu, alles in die eigene Hand zu nehmen und im Herbst 2013, erstmals nach 35 Jahren, ein Album unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen.

Damit ging er den gleichen Weg wie zuvor schon Roli Frei, der ebenfalls nicht aufhören will, nicht aufhören kann, weil nicht nur der Fluch sondern auch der Segen in der Musik liegt. Und der ebenfalls im stolzen Alter entschied, noch einmal alles auf die Karte Musik zu setzen.

«Ich entschied für mich, dass 30 Konzerte im Jahr einfach nicht genug seien, dass ich die Kadenz erhöhen musste», sagt Pedrazzi. Hatte er sich jahrelang mit Brotjobs auf Speditionen, im Schallplattenhandel oder als Taxifahrer durchs Leben geschlagen, warf er noch einmal alles in eine Waagschale, behielt die Kontrolle über alle Prozesse bei der Plattenproduktion und der Konzert. Und siehe da: Der Aufwand zahlte sich aus. Kaum war «A Calico Collection» erschienen, wurde er für den Basler Poppreis nominiert, stand auf der Bühne umringt von Musikern, die noch nicht geboren waren, als er mit den Zodiacs im Atlantis vor ausverkauften Rängen spielten.

Er hatte sich jahrelang mit Brotjobs auf Speditionen, im Schallplattenhandel oder als Taxifahrer durchs Leben geschlagen.

«Ich war in vielem ein Spätzünder», sagt Pink Pedrazzi lächelnd. Und ergänzt, auf diese bewundernswerte Willenskraft angesprochen: «Ich bastle mir noch immer meinen Traum. Vielleicht habe ich ihn ein bisschen zurechtgestutzt, die Bühnen sind kleiner, das Publikum überschaubarer als in den Wunschvorstellungen meiner Jugendjahre», bekennt er freimütig. Glücklich aber ist er, das wiegt stärker als existenzielle Sorgen, materielle Wünsche.

Die Liebe und das Leben

Dabei muss man erwähnen, dass die Geschichte von Pink Pedrazzis Musikerkarriere auch die Geschichte einer grossen Liebe ist: Nicht nur zur Musik, sondern auch zu einer Frau, seiner Frau, die ihn unterstützt, damit er seinen Traum leben kann. Im Wissen, dass er ein anderer Mensch wäre, wenn er nicht Songs aufnehmen und Konzerte geben könnte. Es berührt einen, wie offen er darüber spricht, wie er von den gemeinsamen Pilgerfahrten erzählt, die sie in den Süden der USA führten, seine musikalische Heimat, oder nach Kanada, zum Ursprung des Cajun. «Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen», sagte John Lennon einmal. Pink Pedrazzi hat die Ironie erkannt und Gegensteuer gegeben. Und der Erfolg gibt ihm recht: Allein im Januar wird er mehr als ein Dutzend Mal auf der Bühne stehen.

Die Geschichte seiner Musikkarriere ist auch die Geschichte einer grossen Liebe.

Er rückt sich die Brille zurecht. Ungewohnt sie zu tragen. Beim ersten Konzert in diesem jungen Jahr, in Adelboden, hat er sich eine Augenentzündung eingefangen, muss nach langer Zeit auf Kontaktlinsen verzichten. Die alte Brille aber entspricht nicht der Korrektur, die er eigentlich benötigt. Das sei es auch, was ihn als einziges besorge vor seinem Heimspiel, vor der Plattentaufe in der Basler Kuppel, sagt er: «Dass ich auf der Bühne mal ins Leere greife.» Sollte das geschehen, dann weiss er eine Band um sich, die greift. Ebenso erfahrene Profis, die sonst mit Patent Ochsner, Stop The Shoppers oder Sina auftreten: Gitarrist Oli Hartung, Schlagzeuger Andi Hug, Organist Peter Wagner und die Bassistin Sandra Merk.

Sie bringen den Americana, den amerikanisch gefärbten Sound, der Pedrazzis persönlicher Reife und Gelassenheit wunderbar entspricht und vielleicht deshalb so harmonisch, so glaubwürdig, so natürlich erscheint, auf die Bühne. Und sie begleiten ihn, den ewigen Geheimt… Voyageur auf dieser Etappe, die ihn seinem Ziel, glücklich und erfolgreich und nichts anderes mehr als Musiker zu sein, so nahe bringt wie noch nie. Chapeau!

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Live: Kuppel, Basel. 9. Januar, 21.30 Uhr. (Support: Karin Portmann, ab 20 Uhr)

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